Emma Schoepe, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Susanne Weckerle, Stephan Weber, Dennis Junge, Konrad Mutschler · Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Emma Schoepe · Foto: Martin Sigmund
Emma Schoepe, Susanne Weckerle, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Stephan Weber · Foto: Martin Sigmund

Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui

Schauspiel von Bertolt Brecht


Schwarzwälder Bote, 25. Februar 2023

„Gegen Hass und Hetze“

(von Christoph Holbein)

Bertolt Brechts Schauspiel „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ am Landestheater Tübingen in einer erfrischend kurzweiligen Inszenierung

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Reutlinger Generalanzeiger, 20. Februar 2023

Gemüsehändlers Next Topmodel

(von Thomas Morawitzky)

Das LTT hat Bertolt Brechts »Arturo Ui« in den Supermarkt geschleppt und lässt ihn singen.

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Schwäbisches Tagblatt, 20. Februar 2023

Der Schoß ist fruchtbar noch.

(von Peter Ertle)

Warum die zahlreichen Uis nicht aufgehalten werden, ist gerade heute wieder sehr die Frage. Das LTT wählt für Brechts Gangster-Parabel einen Supermarkt und weiß vor allem nach der Pause zu gefallen – mit einem furiosen Artisto Arturo.

Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ scheint wie geschrieben für die heutige Zeit – und ist als theatrales Analysemittel doch nicht hinreichend. Weil Brecht nach der für ihn typischen Auffassung den diktatorischen Popanz vor allem als brauchbaren Büttel des Großkapitals sah. Irgendwann schwingt er sich dann zum Herrscher auf. Ist was dran. Reicht als Erklärung aber nicht.

 

Dominik Günthers Inszenierung aktualisiert Brechts Grundgedanken, indem er den in Absatzschwierigkeiten steckenden Gemüsehändler-Trust zu einem Supermarkt wandelt – den Sandra Fox aus Stellwänden und Stoffen gebaut hat, die mit einer Regallandschaft bedruckt sind. Dazwischen fahren Einkaufswagen hin und her. Das Gangster-Spektakel, das Brecht im Prolog ankündigt, ist es erst mal nicht. Sondern (Exposition): ein einflussreicher Politiker, der mit extra für ihn stark verbilligten Aktien in einer Reederei des Gemüsetrusts einsteigt, dem er dafür eine Anleihe für den Bau von Kaianlagen gewährt, ahnend, dass die nie gebaut werden. Das zieht sich. Man versteht, warum dieses Stück, das Brecht 1941 für den amerikanischen Markt übersetzen ließ, bei einer Probelesung dort durchfiel – obwohl es in Chicago spielt und sich an Al Capone genauso orientiert wie an Hitler. Hollywood und Brecht mögen grundsätzlich inkompatibel sein, für dieses Stück gilt das zweimal.

 

Es wird aber schon noch turbulent, auch im LTT, nach der Pause nimmt die Inszenierung Fahrt auf. Zeugen sterben. Der Politiker wird erpresst. Wie er, immer bleicher und apathischer, schließlich vollkommen ausgeliefert nur noch im Einkaufswagen-Rollstuhl herumgeschoben wird: Die Performance, vor allem das Gesicht Susanne Weckerles, wird in Erinnerung bleiben. Justin Hibbeler wiederum gibt nicht nur eine schöne Leich, er ist in all seinen Rollen sehr präsent – und hat die meisten. Wie er, am Premierenabend für den erkrankten Lucas Riedle eingesprungen, sich das innerhalb von zwei Tagen draufgeschafft hat, wissen nur die Götter.

 

Die Versuche, das Stück musikalisch ein bisschen aufzulockern, wirken erst ein bisschen unterfordernd. Später finden sie (Musik: Leo Schmidthals) den Dreh und stellen einen super Musical-Mix aus Rap und Oper (Dennis Junge: Der hat ein Organ!) auf die Bühne, der Text wird genau eingetaktet.

 

Andere Höhepunkte: Rolf Kindermann als Richter. Freisler hin oder her, das geht einem in dieser Beiläufigkeit, Glätte und Kälte durch Mark und Bein. Schauerlicher wird’s nur noch, als eine Rede Arturos, also die Stimme Emma Schoepes, tontechnisch mit einer Männerstimme doppelbedunkelt wird: der Führer, simultan immer mit dabei.

 

Damit wären wir beim Arturo: Der spielt hier nicht sein Außen so, dass der Zuschauer das Innen mitsieht, wie es meistens bei Figuren der Fall ist, je realistischer, desto mehr. Nein, sein Außen ist sein gänzlich nach außen gestülptes Innen, dann wird sozusagen nochmal ein Brennglas draufgelegt. Genauer gesagt, ist es oft sogar das Innen, das die Schauspielerin auf der Suche nach der Figur in sich selbst findet und es der Figur leiht. Also nochmal eine Brechung. Wer einen Diktator sucht, wie wir ihn zu kennen glauben, wird enttäuscht. Dafür gibt es einen manchmal an der Grenze zum Overkill siedelnden Reichtum an differenzierter Sprunghaftigkeit und facettenhafter Genauigkeit auf einer Parallelspur. Manchmal kommt es zu Kreuzungen, Teilmengen. Dann hört man diese Figur tatsächlich bellen, sieht sie förmlich in den Teppich beißen, werden aus den Arm- und Handbewegungen Zitatbruchstücke, Eckchen einer uns bekannten Redengestik. Und sonst: Ui als Nervösling, Zappelarturo, bebend vor Ungeduld und Gier. Ein Furor. Die berühmteste Arturo-Ui-Inszenierung der deutschen Theatergeschichte, jene Heiner Müllers aus dem Jahr 1995, war auch exzentrisch auf den in dieser Rolle wahnsinnigen, heute gerne als Kommissar durchs TV geisternden Martin Wuttke zugeschnitten.

 

Was die Stückentstehung angeht: Walter Benjamin berichtet schon 1934 von Arbeiten am Stoff. Die Hauptsache wurde dann aber 1941 innerhalb von drei Wochen im finnischen Exil runtergeschrieben. Brecht schob es also lange vor sich hin, dann wollte er es rasch hinter sich bringen. Und dann ließ er es liegen. Premiere war erst nach Brechts Tod. In welchen Jahren er dran schrieb, lässt sich am breiten Raum ablesen, den die Dullfeet(=Dollfuß)-Episode im Stück einnimmt: Nach dem Anschluss Österreichs 1938.

 

Ja, in diesem Stück können allen Figuren und vielen geschilderten Geschehnissen reale Menschen (von Hindenburg bis Goebbels) und Vorkommnisse (etwa der Reichstagsbrand) des NS-Reichs zugeordnet werden. Die Aufschlüsselung führt leicht dazu, das Ganze nur noch als Schlüsselstück über die Hitlerei zu deuten, was ein Missverständnis wäre. Man muss keinen Röhm aus der Figur des Roma machen, in der sich Hannah Jaitner sehenswert durch den Abend schreit, eine viel unverstelltere Fratze als ihr Capo Ui. Der gemeinsame Machtrausch wird in einem Bruder(schwester)kuss besiegelt: Ein starkes Gespann. Bis, zack, Roma hinterrücks gemeuchelt wird, hier nicht in einer Nacht der langen Messer, sondern unter einer übergestülpten Plastiktüte. Gilbert Mierophs Givola agiert nicht nur hier als versierter Todesengel, favorisiertes Werkzeug: rote Tüten. Das passt zum Blut so gut wie zum Blumenhändler. Auch Kollege Giri (Andreas Guglielmetti) ist so ein sanft lächelnder Tunichtgut. Konrad Mutschlers Butcher, man hört es schon am Namen, ist die handfestere Variante.

 

Hitler ließ sich für seine Reden von einem Schauspieler unterweisen, hier übernimmt das der Supermarkt-Verkäufer (Stephan Weber, wieder mal ein wunderbar komisches Element) mit dem Hinweis, er sei ja auch Schauspieler. Stimmt. Und Prima V-Effekt. Dann wird Stehen und Gehen geübt, dass es eine Freude ist. Jahrzehntelang war es im Zusammenhang mit Arturo Ui eine unvermeidlich gestellte Frage, ob lustig in dem Zusammenhang erlaubt oder verharmlosend ist. Das dürfte heute durch sein.

 

Aber vielleicht sind Brechts Stücke (im Gegensatz zu seinen Gedichten) mit ihrem Hang zum lehrhaft-lustigen Gangstertum als Allegorie aufs Großkapital insgesamt zu holzschnittartig und einseitig. Es fehlt etwas. Es fehlt nicht ganz. Immer dann, wenn Arturo Ui vom Glauben, vom Vertrauen spricht, immer dann wenn er mit einem „Wir sind Ui“ den Einpeitscher des Kollektiven gibt, ist es da. Aber warum gelingt diese Manipulation? Was ist das, diese immer rückwärts gewandte Sehnsucht nach Zugehörigkeit, einfachem Weltbild, Glauben und einer starken Führerhand, unter der man sich aufgehoben fühlt? Die jeweiligen Ideale (Arier, großrussisches Reich, America first, whatever) und Feindbilder (vorzugsweise: Juden, Intellektuelle, linke Politiker, die sogenannte Elite) mögen austauschbare Software sein für die ewigmenschliche Hardware Bereicherung, Machtstreben, Korruption, Erpressung, Feigheit, Verführbarkeit, Angst. Bloß: Gab es schon immer. Kein Ungetüm namens Kapitalismus hat sie hervorgebracht.

 

 

Unterm Strich

Das richtige Stück für die heutige Zeit, in der Politiker als Demokratieverächter Erfolg haben und EU-Politiker mit Taschen voller Geld gekauft werden? Nein, passt nicht ganz. Die LTT-Inszenierung schleppt sich bis zur Pause, danach wird’s stellenweise richtig gut. Ein bis in jede Faser geladener Arturo Ui inmitten eines Supermarkt-Bühnenbilds und einer Geschichte von Gier, Erpressung, Korruption. Und Lügen – die in ihrer Dreistigkeit doch hinter der gegenwärtigen Realität zurückbleiben.


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DIE DEUTSCHE BÜHNE, 18. Februar 2023

Wer oder was ist Arturo Ui?

(von Manfred Jahnke)

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