Aber im Prinzip beginnt es mit einem Schiff, das noch da ist, als Bühnenmittelpunkt (Bühne: Kathrin Krumbein), mit Musikfetzen, die Atmosphäre vermitteln, die Szenerie verorten: Wir sind in Marseille, im von den Nazis unbesetzten, von der Nazi-freundlichen Vichy-Regierung verwalteten, letzten Überseehafen, von dem aus die Flucht möglich ist – wenn man die dafür nötigen Papiere hat.
TAGBLATT-Theaterkritiker Ernst Müller soll in den 50er Jahren manchmal bereits nach einer Minute ein vernehmbares „Schon faul!“ gerufen haben. Das fällt einem ein, als die ersten Sätze fallen. Zu laut, zu aufgedreht, zu theatralisch, zu sehr ins Komische gespielt. Und als Seidler, die flüchtende Hauptfigur, von der Nachricht des Untergangs der Montreal erfährt, spielt sich auffallend wenig in ihm ab – oder sie zeigen nicht genug, dass er es gut versteckt. Immerhin ist auf dem Schiff die Frau, an der eben noch sein Herz hing. So sieht man gleich zu Beginn zwei Schwächen dieser Inszenierung: Eine ins Komische spielende Lautheit und ein zu cooles Understatement auf der anderen Seite. Auf die der Regisseur vermutlich setzt, weil er der Gefahr des Sentimentalen und der ungebremsten Tragik entgehen möchte und eine Bildsprache sucht, die die Not der Menschen anders übersetzt. Die Frage wäre, ob es gerade bei diesem Stück nicht besser gewesen wäre, mehr auf Realismus und Verletzlichkeit zu setzen.
Was den Arzt und Marie betrifft, gelingt das der Inszenierung. Der Arzt (Dennis Junge) ist dieser liebende, verantwortungsvolle, durch ihr ewiges Zögern (und wohl auch ihr nachlassendes Begehren) enttäuschte, allmählich loslassende Mann, Dennis Junge spielt ihn genau in diesem Zwischenreich. Und Marie hat dieses Ruhelose, Verlorene, Florenze Schüssler legt es in ihren Gang, vor allem aber in ihren Blick, einen oft weit aufgerissenen, der immer etwas ins Leere geht. (…)
Dass Seidler, den sie jetzt liebt, mit der Identität des von ihr gesuchten Schriftstellers unterwegs ist – dieses Verwechslungsmoment ist die vielfach interpretierbare Ironie der Geschichte. Transit: Sogar Identitäten gehen vom einen auf den anderen über.
Jürgen Herold als Seidler ist diese Kreuzung aus einem bindungslosen, coolen Helden und jenem, den die Verliebtheit zu Marie fast aus der Spur bringt. Das transportiert sich schon, auch wenn etwas mehr unverstellter Einblick in seine Gefühlswelt schön gewesen wäre. Er ballert lieber nervös-gelangweilt mit Tennisbällen gegen die Schiffswand. So sind sie, die Kerle. Aber wenn er sich den Text, mit dem er die sehnsüchtig erwartete Marie im Café ansprechen möchte, so lange vorsagt, dass er ihn ihr schließlich in den Befehlston verrutscht entgegenschmettert – also das ist dann mal eine Pointierung, die sitzt. Und wenn er überraschend und so zart wie bestimmt nach ihrer Hand fasst oder wenn sie ihre roten Schuhe anzieht und sich aufs Bett legt und alle wissen, dass sie sich jetzt lieben, auch wenn es nicht gezeigt wird: Da gelingt der Inszenierung mit ganz wenig sehr viel. Auch die getanzte ménage a trois zwischen Arzt, Seidler und Marie lässt man sich als Bühnenübersetzung gefallen. (…)
Was rüberkommt: Die Unmenschlichkeit im Wirrwarr von benötigten Visa, Bürgschaften und unterschiedlichen Gesetzeslagen. Den Weg zum Konsulat als roten Teppich zu gestalten, ist dabei ein durchaus gelungener Sarkasmus. Was ebenfalls klar wird, ohne dass es bespielt werden müsste: Dass hier auch das Schicksal der heute Flüchtenden mitverhandelt wird. (…)