Rolf Kindermann · Foto: Thomas Müller
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Tagebuch eines Wahnsinnigen

Monolog von Nikolai Gogol


Schwäbisches Tagblatt, 2. Juni 2021

Die Kontrolle verlieren

(von Dorothee Hermann)

Rolf Kindermann lässt am Landestheater Tübingen Gogols Monolog „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ funkeln.

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Reutlinger General-Anzeiger, 1. Juni 2021

Er läuft nicht mehr rund

(von Thomas Morawitzky)

Rolf Kindermann gibt in »Tagebuch eines Wahnsinnigen« auf der LTT-Hofbühne einen an der Welt Verzweifelnden

Erst setzt er sich ins Publikum, gerade so, als wolle er jedem damit sagen: Auch dich könnte es treffen. Schließlich aber steigt er zaudernd auf die Bühne, nimmt dort den Mundschutz ab und verliert den Verstand.

Das LTT macht aus der Not eine Tugend und zeigt, in einer Zeit, in der es nach wie vor gilt, Abstand zu halten, auch auf der Bühne, ein Stück, in dem nur eine einzige Person auftritt: Nikolai Gogols »Tagebuch eines Wahnsinnigen« ist ein Solo für den Schauspieler Rolf Kindermann, und Kindermann ist, ganz ohne Frage, die Idealbesetzung für die Rolle des Aksenti Iwanow Propristschin, dieses frustrierten Bürokraten, der an internen Hierarchien auf komisch grelle Weise zerbricht.

Gogols Text, entstanden 1835, besitzt eine denkbar einfache, zeitlose Handlung: Propristschin, eher unscheinbar, unsicher, wehrt sich nicht, wird gemobbt, flieht in eine Traumwelt, verliebt sich in die Tochter eines Vorgesetzten, beginnt einen Briefwechsel mit einem sprachbegabten Hund, glaubt schließlich fest daran, er sei der verschollene Erbe des spanischen Throns, endet im Irrenhaus – das unausweichliche Ende eines bockenden Zahnrädchens.

»Eigentlich«, gesteht Propristschin zu Beginn, »wollt’ ich gar nicht mehr ins Ministerium gehen. Sie laufen nicht mehr ganz rund, Kollege, das sagte der zu mir!« Im strahlend blauen Himmel über der Hofbühne des LTT kreist am Sonntag, dem Abend der Premiere, ein Schwarm schwarzer Vögel, gerade so, als wolle er mit seinem infernalischen Kreischen die Zersetzung dieses Bewusstseins weiter vorantreiben – Rolf Kindermann sieht mit dem Ausdruck arger Verzweiflung auf zu den Biestern, die ihm ständig ins Wort fallen.

Seine Bühne besteht aus Bretterwänden samt einer Wäscheleine, an die er Schriftstücke hängt. Einen Spiegel und einen Blecheimer voller Wasser gibt es außerdem – zuerst stolpert er über den, irgendwann will er in ihn hineinkriechen. Außerdem ist da eine Leiter, sinnbildlich Karriereleiter, mit einem Brett, auf dem er sitzt und sich verrenkt, von dem er glatt herunterrutscht. »Ich brauche Menschen um mich herum«, klagt er. »Ich habe kulturelle Bedürfnisse!«

Das »Tagebuch eines Wahnsinnigen« in der Spielfassung von Werner Buhss scheint so ein wenig zur Pandemie-Parabel zu werden. Es ist das erste Stück, das Sarah Larisch, Regieassistentin am LTT seit dieser Spielzeit, dort inszeniert hat. Die zugespielte Musik schlägt den Bogen vom bissigen Georg Kreisler (»Staatsbeamter möchte jeder gerne sein!«) zu Danger Dan; dazwischen, sehr spanisch, das berühmte Concerto de Aranjuez. Und Rolf Kindermann, schlaksig, panisch, unentwegt redend, zusehends unruhiger, wilder und komischer, gibt Gogols Monolog in jedem Augenblick einen auch sehr körperlichen Ausdruck: sein Ringen um Fassung, seine entgeisterten Blicke.

Irgendwann steht der Subalternde dann auch da, blickt auf zum ersten Stock des Landestheaters, träumt davon, der Intendant zu sein – als er dann, in seiner Unterwäsche, auf dem Balkon erscheint, ist er längst König Spaniens. Und zuletzt dann taucht er auf, auf dem Dach des Hauses, kräht wie ein irrer Hahn.

Dazwischen erklingt immer wieder, sachlich nüchtern und voll, ein Tagesschau-Gong, bringt Nachricht von der Welt. »Ohne diese gewisse Korrektheit im Ministerium«, sagt der Mitarbeiter, »hätt’ ich längst gekündigt!« 


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