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Von William Shakespeare · Deutsch von Thomas Brasch
Reutlinger Nachrichten, 10. Juli 2019
Heftig Lieben, schöner Sterben
(von Kathrin Kipp)
Das LTT zeigt Shakespeares „Romeo und Julia“ als wuchtige Percussion-Tragödie auf der Platanenallee.
„Gehen heißt leben, bleiben heißt sterben“: In „Romeo und Julia“ sind Liebe und Tod zwei Seiten derselben Medaille. Das eine geht nicht ohne das andere. Zumindest in der Veroneser Hassgesellschaft. Was immer uns das erzählen will. Kann sein, dass wir hinterher mehr wissen, „kann aber auch sein, nicht viel“ mehr, verkündet die Präsidentin im Prolog. Bis aber die Nachtigall - oder wars die Lerche? - die erste und einzige Liebesnacht von Romeo und Julia zwitschernd beendet, ist beim Tübinger Sommerspektakel einiges los, unter der Regie von Christoph Roos, der die blut-, pech- und giftgetränkten Verwicklungen abwechselnd ironisch, archaisch, albern, pathetisch oder hochdramatisch spielen lässt und dabei jede Menge mehr oder weniger sinnstiftende, aber unterhaltsame und neckische Effekte unterbringt. Am Eingang prankt ein Riesenherz, ansonsten besteht die Bühne von Markus Maria Jansen fast nur aus wuchtigen Musikinstrumenten. Denn die hitzköpfigen und streitlustigen Jugendabteilungen der rot-rosa kostümierten Montagues und der türkis-blauen Capulets fighten nicht nur mit Fäusten und in Form von Capoeira-Schau-Kämpfen, sondern führen auch musikalisch Krieg: die Montagues klopfen vorwiegend auf Holz und bringen sich mit überdimensionierten Klangstäben, Rasselkästen und Trommelschränken auf Gemetzeltemperatur, während die Capulets für den Battle-Soundtrack vorwiegend Metall bearbeiten: Mit Mallets und Glockenspiel sorgen sie für unheilvolle Vibraphonik. Das archaisch anmutende, an- und abschwellende Getrommel und Gedröhne sorgt für Rhythmus, Hektik und Dramatik. Unter viel Getöse und stinkendem Dampf fahren die beiden Clans außerdem auf instrumentalen Gladiatoren-Karrossen ein: die Blue Man Group hätte ihren Spaß an diesen düster brachialen Nummern. Aber gefühlsmäßig geht’s ja auch ums große Ganze, und so stehen Mercutio und Benvolio irgendwann auf dem Bug ihres Wagens, knutschen und trällern die Titanic-Melodie: „Ich kann fliegen“. Die größte Euphorie herrscht immer die kurz vor dem Untergang. Jürgen Herolds Mercutio wütet ansonsten als explosionsbereiter Testosteron-Punk über die Bühne, während Jens Lamprecht als Strumpfhosenheld Benvolio mit weiß-rosa Glitzerpumpgun eine etwas andere Variante von Männlichkeit repräsentiert. In einem hormonell aufgeladenen, metaphernstrotzenden Stück voller frivoler Anspielungen, das nicht nur sämtliche physischen, romantischen und idealisierten Spielarten der Liebe, sondern auch des Gender-Spektrums durchexerziert. Der Romeo von Rinaldo Steller kommt als leichtfüßiger, impulsiver und liebestoller Luftboy daher, ein extrem entzündlicher Schönling, der nur lieben will (egal wen), aber dummerweise auch morden muss: so will es die patriarchale Hassgesellschaft im legendärsten Pech-Drama der Welt. Tybalt (Nicolai Gonther) tritt ebenso martialisch auf wie Mercutio, ist aber noch böser geschminkt. Mattea Cavic wiederum als Julia gibt sich zunächst jung, naiv und pathetisch, setzt sich später aber immerhin gegen ihren cholerischen Vater (Gilberth Mieroph) und den Rest der herzlosen Welt durch. Sie ist so getrieben und wie geblendet von der Liebe, vielleicht aber auch von den vielen drehbaren Brenngläsern, Vexierspiegeln, Reflektierscheiben und Verzerrfolien, mit denen Jansen die Bühne vielsagend ausstaffiert hat. Und die im doppeltödlichen Finale mit viel Nebel und Licht ein astreines Gruft-Design abgeben: Je heftiger die Liebe, desto sch&a mp;ouml;ner das Sterben. Julia liegt dabei vor lauter Liebe scheintot auf dem Multifunktionssarg, (der zuvor noch als Trommelgehäuse gedient hat), als auch schon der uninformierte Romeo auf den schön morbiden Schein hereinfällt und sich ebenfalls vergiftet. Woraufhin sich die kaum erwachte Julia mit Romeos Messer ersticht. Ein perfekter Lusttod. Das hätte alles so nicht kommen müssen, hätte es die ganzen Missverständnisse, die dummen Zufälle, den Bandenkrieg, die Umstände und das Schicksal nicht gegeben. Aber ein Grund für die ganze Hektik ist ja auch, dass Julia den gockeligen Grafen Paris (Patrick Slanzi) heiraten soll. Julias kaltherzige Beton-(Frisur-)Mutter (Sabine Weithöner) steht dabei brillant bröckelig, aber untätig daneben und verdreht die Augen, während Susanne Weckerle als pragmatische Amme hektisch hin und her rennt und es allen recht machen will. Sie kann aber genauso wenig ausrichten wie Pater Lorenzo (Stephan Weber), der als tätowierter (Bad) „Religion“-Rock'n'Roller zwar auf eine friedensstiftende Heirat hofft, mit seinen ausgeklügelten Plänen aber grandios scheitert.
Schwarzwälder Bote, 9. Juli 2019
Am Ende verliert es sich doch sehr im Konventionellen
(von Christoph Holbein)
Inszenierung von Shakespeares „Romeo und Julia“ hält nicht, was sie anfänglich verspricht
Die Geschichte ist rasch erzählt: Die einzigen Kinder zweier verfeindeter Familien verlieben sich mit großer Intensität ineinander, heiraten heimlich, scheitern aber letztlich daran, dass durch den Hass der beiden Familien aufeinander die Welt ihre Liebe nicht toleriert, und gehen deshalb gemeinsam in den Tod, um im Grab vereint zu sein, sterben also lieber, als die Liebe aufzugeben. Beim Tübinger Sommertheater des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) feierte das Stück „Romeo und Julia“ von William Shakespeare Premiere. Und der Auftakt der Freilicht-Inszenierung des Regisseurs Christoph Roos unter den dichten Bäumen auf der Neckarinsel ist vielversprechend.
Im Schatten eines aufgehängten großen roten Herzens entwickelt das Ensemble, gewandet in historisierten und skurrilen Kostümen, für die Anita Könning und Natalia Nordheimer mit feinem Sinn für Ironie und Komik verantwortlich zeichnen, ein Spiel voller Liebe, Hass und Leidenschaft - immer untermalt und begleitet vom pulsierenden Trommel-Rhythmus der Percussion und des Glockenspiels: Markus Maria Jansen sorgt für Bühne und Musik. Dass es um den Krieg zwischen zwei Familien geht, wird gleich zu Beginn plakativ deutlich, wenn die beiden rivalisierenden Gruppen in originellen Vehikeln, die an altertümliche Streitwagen erinnern, mit viel Qualm auffahren, um sich dann entlang der Kampfchoreografie von Daniel Martins-Hegele und Jonathan Tekle auf dem kiesigen Boden zu schlagen und zu wälzen. Regisseur Roos legt dabei Wert auf kleine Details und Ausrufezeichen: Die Montagues sind in Rottönen, die Capulets in Blautönen gekleidet. Die Protagonisten – als Typen ziseliert - spielen mit dem Publikum, klettern, kämpfen, agieren auch in der zweiten Etage des filigranen Turms und präsentieren sich komödiantisch. Ein tragendes Element im ersten Teil ist auch der Tanz in der Gruppe – choreografiert von Mattea Cavic, die zudem die Julia mimt.
Roos streut kleine groteske Szenen ein, etwa wenn Benvolio, ein Freund Romeos, einen überzähligen veganen Hot Dog einer jungen Dame im Publikum reicht. Und Beichtvater Bruder Lorenzo hat auf seinem T-Shirt Religion stehen und ist am gesamten Oberkörper tätowiert. Da greift der Regisseur auch liebend gerne in die Kiste mit den schrägen Tönen, mit Slapstick, derben Bildern unter der Gürtellinie, Anspielungen und langgezogenen Sterbe- und Tötungsszenen.
Doch was im ersten Teil vor der Pause noch Drive besitzt und Erwartungen weckt auf eine amüsante Durchdringung des Theaterstoffs mit der Hoffnung auf eine andere, neue Sichtweise auf das Shakespearesche Werk, entpuppt sich nach der Pause im zweiten Part dann doch ein wenig enttäuschend als eher pathetisch und herkömmlich dramatisch. Es scheint fast so, als seien dem Regisseur etwas die Ideen ausgegangen, habe er den Mut verloren, das Stück gegen den Strich zu bürsten. Damit kommt die Inszenierung ein wenig in Schieflage, ist nicht mehr stimmig, verliert an Konsequenz und versucht sich in etwas zu echauffiertes, zu überdrehtes Gehabe zu retten. Das nimmt dem Spiel und der Atmosphäre die Kraft, die durchaus in der Inszenierung steckt, wenn auch manches aufgesetzt und wenig innerlich wirkt und nicht wirklich berührt.
Somit bleibt am Ende nach dem wohlwollenden Schlussapplaus des Publikums ein zwiespältiges Gefühl für Stück und Inszenierung, denn wie sagt doch der Prinz als Fazit: „Faul ist der Frieden, den der Morgen bringt.“
Generalanzeiger Reutlingen, 8. Juli 2019
Stille Magie und Prügler-Sphäre
(von Martin Bernklau)
Christoph Roos hat da für das LTT eine sehr solide, sehr schöne, sehr angemessene Arbeit abgeliefert, der das Premierenpublikum am Freitagabend ganz zurecht lang und laut applaudierte; Bravorufe und Jubelpfiffe inklusive.
Schwäbisches Tagblatt, 8. Juli 2019
Das Herz ist eine miese Gegend
(von Wilhelm Triebold)
Tübinger Sommertheater: Es waren Nachtfalter und nicht die Leichen: Shakespeares Liebestragödie "Romeo und Julia" zerfällt auf der Neckarinsel mit Christoph Roos' LTT-Inszenierung allzu sehr in zwei Teile.
Beim Silcher-Rondell, am Ende der Platanenallee, prangt in der Luft ein riesiges Herz. Und wer sich dem freundlichen LTT-Personal im "Romeo-und-Julia"-Unilook nähert, den blinken von den T-Shirts kleine Herzchen freundlich an. Das Landestheater, diesjähriger Ausrichter des Tübinger Sommertheaters, setzt ganz aufs unverzichtbare, überlebensnotwendige Körperorgan. Doch hält es auch den Kreislauf der Aufführung in Schwung, das Herz?
Sagen wir so: die erste Hälfte ist zu laut, zu flach, zu aufgesetzt, zu ausgestellt - und, wie das Symbolherz am Eingang, auch ein bisschen zu aufgeblasen. Also halbherzig. Die zweite Halbzeit wird besser, punktgenauer, kammerspielerisch verdichteter - auch weil die Nacht sich auf diese Aufführung senkt und dem Spielort unter grünen Platanenblättern doch noch etwas Magisches abgerungen wird. Da tanzen sogar, als Romeo und Julia auf dem Hochbett unter die Decke schlupfen, ganz poetisch Glühwürmchen - doch halt, es sind nur Nachtfalter, mit reflektierenden Flügeln im Scheinwerferkegel.
Sommertheater, so die Faustregel, ist zu 70 Prozent Illusion oder Kulisse und zu 30 Prozent reines Handwerk, um all die Probleme in den Griff zu kriegen, die solch ein Außenspielort mit sich bringt. Wobei Shakespeares "Romeo und Julia", hierzulande neben "Faust" und "Nathan der Weise" eines der am häufigsten gespielten Stücke auf den Spielplänen, die Herzenssache schlechthin sein dürfte, das hat das LTT richtig erkannt. Das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur lässt die Herzen sprechen, um Hass zu überwinden (und natürlich: um zueinander zu finden). Ein ganz zentraler Satz fällt irgendwann: "Die Mutter aller Liebe ist der Hass." Hier sind es gleich ganze Familien, die liebevoll hassen.
Was könnte eine Inszenierung unter freiem Himmel da alles falsch, was richtig machen? Regisseur Christoph Roos macht gleich mal mächtig was los und seine Jungs einen auf dicke Hose. "Romeo und Julia" fährt auf der Neckarinsel eine beeindruckende Batterie an elektronisch verstärktem Schlagwerkzeug auf, auf das agile Schauspieler lustvoll eindreschen, mit dem sie lospreschen. Es kloppen sich welche im Rund, das kommentieren klöppelnde Kollegen am Rand. Kräftig, mit Inbrunst und rhythmischem Feeling.
Den eigenen, eigentlichen Rhythmus findet der Abend da noch nicht so ganz. Wenn der erste Schwung der angezettelten Battle of Drums verraucht, der Qualm in Markus Maria Jansens Bühnenbildelementen sich verzieht, lärmt die Inszenierung trotzdem weiter, trotz Mikroport-Einsatzes (für die leiseren Augenblicke).
So also geht's auf der Neckarinsel zu: Cliquen (oder Gangs) von testosterongesteuerten, notgeilen Jugendlichen prügeln und vermöbeln sich, rauflustiges Haudrauf-Theater, Stunts mit vollem Körpereinsatz, bis es ernster wird und ihnen das Kraftmeier-Lachen aus dem Gesicht fällt, bis der Prinzregent (hier mit Susanne Weckerle eher eine strenge Königin) als Anwohnerin und Autoritätsperson die "Ruhestörung" unterbindet und für Ordnung sorgt.
Die erste Halbzeit der zweieinhalbstündigen Vorstellung verflüchtigt sich als schrill ausgestelltes Spektakel. Wobei mancher Einfall überzeugen mag - etwa, wenn die agile Schauspielmusikercombo bei einem Zeitlupen-Zumbakurs im Hause Capulet, bei Romeo und Julias erstem Kennenlernen, deren Herzklopfen aufnimmt und sanft pochend wiedergibt.
Doch insgesamt erweist sich das Herz als eine miese Gegend. Unbekanntes Terrain, immer für Überraschungen gut. In Shakespeares Drama wird es stetig herbei zitiert und beglaubigt so den LTT-Ansatz: Romeo spürt es, in seinem blinden Liebeskummer wegen Rosalind. Graf Paris soll um Julias Herz ebenso kämpfen wie die Amme auf das ihre aufpassen ("Verflucht sei euer Herz, das mich so jagt"). Auch Julia verspürt zwischenzeitlich den "Schmerz/ denn an den schlimmsten Feind häng ich mein Herz." Und Romeo verspricht ihr alles, "wenn Liebe tief...in meinem Herzen ist...", um bald darauf dem geistlichen Beistand Lorenzo zu beichten: "Ich sags dir klar, dass ich mein Herz ankett/ ans Tochterherz des reichen Capulet". Worauf der Pater mahnt: "Die Liebe junger Männer, o Natur,/ wohnt nicht in ihrem Herz, im Auge nur."
Julia wiederum barmt: "Vergib ihm Gott, ich tus von ganzem Herz./ Und doch beschwert es kein Mann wie er." Während Romeo, auf dem Weg zu ihr, später ausrufen wird: "Das Herz in meiner Brust schlägt leicht und frei". Als Julia sich von Romeo getäuscht sieht, ruft sie: "O Schlangenherz, im Milchgesicht versteckt". Und bevor Romeo an ihrer vermeintlichen Leiche diesmal den richtigen, tödlichen Gifttrank kippt, prostet er ihr zu: "Auf Dich, mein Herz."
Viele Textstellen also, die belegen, dass sich das LTT da die richtigen Gedanken gemacht hat. Und dass mit Thomas Braschs handfester, treffsicher verknappender Übersetzung auch die richtige Testversion ausgesucht wurde.
Vor allem Mattea Cavic als ernsthafte, konzentrierte Julia nimmt die Vorlage am besten beim Wort, weiß mit ihr etwas anzufangen. Rinaldo Steller ist dagegen ein hübsches, unbedarftes Jüngelchen, Rolf Kindermann als Vater Montague zu sehr ein Sonnenbrillen-Wichtigtuer. Gegenspieler Capulet(Gilbert Mieroph) verhält sich besitzergreifend wie der Emir von Dubai, hat die kühl-beherrschte Gattin (Sabine Weithöner) weitgehend im Griff. Graf Paris ist mit Patrick Slanzi ein Blumenmusterknabe auf Freiersfüßen, während Susanne Weckerle als Julias Amme ersatzstiefmütterlich verlässlich erscheint. Stephan Webers Bruder Lorenz waltet als eine Art Rocker-Pater seines Amtes, hat aber böse Adels-Jungs wie Mercutio (Jürgen Herold), Benvolio (Jens Lamprecht) und Tybalt (Nicolai Gonther) kaum unter Kontrolle.
Kurzum: keine Aufführung, die einen von den harten Schalensitzen reißt. Dafür, zumindest über weite Strecken, in ihrer effekthaschenden Umtriebigkeit zu anbiedernd. Der Premierenapplaus fiel trotzdem ausgiebig aus, fast erleichtert. Und kam bei den meisten wohl auch von Herzen.
Unterm Strich
Erst viel Clinch und Geschrei, viel Kampf und Getrommel: Das LTT setzt zu Beginn mehr auf Action als aufs gesprochene Wort. Nachher wird's besser. Aber eine Sternstunde der Sommertheater-Historie ist "Romeo und Julia" beileibe nicht. Eher Mittelmaß. Wenn überhaupt.