Susanne Weckerle · Foto: Martin Sigmund
Stephan Weber, Susanne Weckerle · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Stephan Weber · Foto: Martin Sigmund
Stephan Weber · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Stephan Weber · Foto: Martin Sigmund
Stephan Weber, Susanne Weckerle · Foto: Martin Sigmund
Stephan Weber · Foto: Martin Sigmund

Quartett

von Heiner Müller · 18+


Theater der Zeit, 3. April 2022

Krankhafte Leidenschaft in der Apokalypse

(von Elisabeth Maier)

Brigitte Maria Mayer inszeniert Heiner Müllers „Quartett“ am Landestheater Tübingen

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Merkur, 17. März 2022

Ein Parforceritt der Symbolik

(von Susanne Greiner)

Beide Schauspieler meistern dieses Wort-Monsterwerk in gestochen scharfer Brillanz

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Schwarzwälder Bote, 16. Februar 2022

Wirkgewaltung und nicht selten verstörend

(von Christoph Holbein)

Inszenierung von Heiner Müllers Stück „Quartett“ in Tübingen lotet Grenzen aus  

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SÜDWEST-PRESSE, 14. Februar 2022

Schlacht ohne Krieg

(von Wilhelm Triebold)

Merksätze wie geronnener Büchner

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Die Deutsche Bühne online, 13. Februar 2022

Die Gier und der blutende Erlöser

(von Thomas Morawitzky)

Heiner Müllers dichter, elegant abgründiger Text, der sie in die Spirale der Selbstvernichtung treibt: Die Darsteller brillieren ausdrucksstark, facettenreich in dieser Inszenierung

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Nachtkritik, 13. Februar 2022

Erbarme dich

(von Thomas Rothschild)

Ein großer Wurf für die kleine Spielfläche der Werkstatt im Tübinger Landestheater

Heiner Müllers "Quartett" über zwei miteinander und anderer Leute Verführung spielende Adlige wird oft inszeniert. In Tübingen gibt es nun aber ein besonderes Regiedebüt: Brigitte Maria Mayer, Müllers Witwe und von Haus aus Fotografin und Kamerafrau, inszeniert das Stück voller religiöser Anleihen.

Ein großer Wurf für die kleine Spielfläche der Werkstatt im Tübinger Landestheater: Gustav Mayer hat sich einen (scheinbar) schweren Steinblock vor Lichtwänden mit wechselnden Farben ausgedacht, der an einen in der Mitte gekerbten überdimensionalen Amboss erinnert und mit seiner Symmetrie das Gegenüber und Gegeneinander zweier ebenbürtiger Antagonisten vorwegnimmt. Darüber hängt eine dürre Figur, die aussieht wie der Gekreuzigte ohne Kreuz. Blut fließt aus einer Herzwunde. Aus den Boxen ertönt Johann Sebastian Bachs "Erbarme dich" aus der Matthäuspassion und das Vaterunser. Die Figur lässt den Stein als Altar erscheinen. Eine Frau, eben noch bäuchlings betend, schlägt der Figur mit einem Stock die Beine ab.

Heiner Müller lokalisiert sein "Quartett" von 1980 in einem "Zeitraum: Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg". Er verleiht ihm gerade dadurch eine Zeitlosigkeit und zugleich eine dystopische Düsternis, die der Romanvorlage von Laclos fehlt. Schon die hat es in sich. Von den Weltkriegen freilich, geschweige denn einem dritten, der uns in diesen Tagen gar nicht so undenkbar scheint, weiß sie noch nichts. Dafür zielt sie, anders als Heiner Müllers Transformation, ausdrücklich auf die Aristokratie, die nach dem dritten Weltkrieg wohl eine geringe Rolle spielt.

Zynisch sind die Protagonisten von Choderlos de Laclos' "Les Liaisons dangereuses" (aber nicht der Roman selbst und seine an diesen Protagonisten geübte implizite Kritik) und von dem auf diesem Briefroman beruhenden kurzen Stück.

Heiner Müllers Bearbeitung hat sich einen festen Platz im Repertoire erobert. Mit der Selbstreflexion des Mediums – die Marquise de Merteuil wird, Theater auf dem Theater, zum Vicomte de Valmont, Valmont selbst zur Madame Tourvel – enthält "Quartett" ein grundlegendes Merkmal der Moderne, mit dem Geschlechtertausch befindet es sich, 40 Jahre nach der Uraufführung und 26 Jahre nach dem Tod des Autors, auf der Höhe der Zeit. Verhandelt wird die Kunst der Verführung. Und was wäre Theater anderes, als Kunst und Verführung?

Weiter können Dialoge vom Schlag-auf-Schlag des von vielen bewunderten Netflix-Naturalismus kaum sein als die ellenlangen Wortwechsel Heiner Müllers. Für sie bedarf es einer Sprechtechnik, die im Ausverkauf des Theaters an die Fernsehästhetik und des Redestils an die Kunstlosigkeit auszusterben droht. Was Müller über Elfriede Jelinek gesagt hat, gilt heute mehr denn je auch für ihn selbst: "Was mich interessiert an den Texten von Elfriede Jelinek, ist der Widerstand, den sie leisten gegen das Theater, so wie es ist."

Die Tübinger Akteure – Susanne Weckerle und Stephan Weber – beherrschen die erforderliche Sprechtechnik. Allerdings hält sie die Regie zu einem nahezu unveränderten langsamen Tempo an. Bewegung kommt in der Sprechmelodie nicht auf, trotz einem brenzligen Anklang von Klamauk in den Rollentausch-Szenen. Ob man an eine Litanei denken sollte? Der Gedanke scheint nicht abwegig. Bei Heiner Müller sagt Valmont an einer Stelle: "Lassen Sie mich Ihr Priester sein." Die Regie nimmt die Anregung beim Wort und baut die Szene als sexuellen Missbrauch durch einen Kirchenmann aus, der an Drastik nichts zu wünschen übrig lässt. Der Bezug zur Gegenwart ist offensichtlich.

Renommierte Regisseur*innen von Robert Wilson bis Barbara Frey, vom Filmemacher Michael Haneke und dem dieser Tage verstorbenen Hans Neuenfels bis zum Autor selbst haben sich des "Quartetts" angenommen. Für Brigitte Maria Mayer ist es das Debüt als Theaterregisseurin. Von Haus aus sind Foto und Film ihr Metier. Aber sie hat eine Bindung besonderer Art an das Stück: Sie war Heiner Müllers letzte Ehefrau, und sie hat Müllers Theaterarbeit mit der Kamera begleitet.

Ganz ohne Video geht es auch hier nicht, aber die Projektionen werden sparsam eingesetzt. Sie erfüllen eine assoziative Funktion, drängen sich aber nicht auf. Das gilt auch für die Musik – die Klavierbegleitung zu Schuberts "Erlkönig", einem, wie wir wissen, begnadeten Verführer, und andeutungsweise "Isoldes Liebestod".

Das Publikum war erkennbar angetan von Stück und Aufführung mit einem unerwarteten fragmentarischen Anhang, betitelt "Tod einer Hure". Und was die blasphemischen Schnörkel angeht, die anderswo Ärger bewirken könnten: Tübingen ist schließlich die Stadt von Ernst Bloch, Jürgen Moltmann und Hans Küng. Ein bisschen Aufklärung darf man hier schon voraussetzen.


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