Justin Hibbeler, Andreas Guglielmetti, Franziska Beyer, Insa Jebens, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Franziska Beyer, Insa Jebens, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Lucas Riedle, Franziska Beyer, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Andreas Guglielmetti, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Andreas Guglielmetti, Insa Jebens, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund

Orlando

Nach dem Roman von Virginia Woolf · In einer Fassung von Annette Müller


Schwäbisches Tagblatt, 4. Oktober 2022

Stillgestellte Emotionen, magisch abstrakt beleuchtet

(von Peter Ertle)

"ein sehr formalisiertes, ironisches [...] Traumspielmärchen aus einem Spielzeugzimmer, en miniature"

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Reutlinger General-Anzeiger, 4. Oktober 2022

Vier Jahrhunderte im Spiegel einer Seele

(von Thomas Morawitzky)

"kleinste Gesten werden zu großen Ereignissen"

Durch vier Jahrhunderte führt diese Reise, durch Liebe, Kunst und Politik, von einem Leben als Mann zu einem Leben als Frau. Freilich: Orlando entstammt dem Adel, ist privilegiert, ist auch in dieser Hinsicht Ausnahme. Gerade deshalb jedoch ist er (oder sie) eine ideale Kunstfigur.

Virginia Woolf schrieb »Orlando« vor nahezu hundert Jahren; ihr Buch ist Entwicklungsroman eines idealisierten Menschen und zugleich ein Zeitbild, das die Moden und Meinungen der Jahrhunderte voller Ironie spiegelt. Nun hat Annette Müller »Orlando« für das Landestheater Tübingen inszeniert – und bleibt dabei sehr nahe am Buch, bringt Virginia Woolf als kondensierten Text auf der Bühne.

Diese Bühne (Oliver Kostecka, auch Kostüme) ist ein leuchtendes Spielfeld, meist in blassem Grün, mit weißer, blauer, roter Umrandung. Wenige Utensilien werden eingebracht – ein bizarres kastenförmiges Kleid, das Königin Elisabeth (die Erste) tragen wird, ein Reifrock, andere Kleider für den verwandelten Orlando.

Die Figuren im Spiel sind die Schauspieler – Franziska Beyer, Andreas Guglielmetti, Justin Hibbeler, Insa Jebens, Lucas Riedle. Sie werden ihre Rollen tauschen, so wie Orlando. Sie schreiten geschlossen dem Publikum entgegen, verteilen sich dann. Ihre Bewegungen wirken oft wie ein langsames Ballett, ein höfischer Tanz. Die Gesichter der Schauspieler spechen, kleinste Gesten werden zu großen Ereignissen. Ein leise schwirrender Ton liegt über dem Geschehen.

»Er, denn es konnte keinen Zweifel über sein Geschlecht geben, auch wenn die Mode der Zeit einiges tat, um es zu verhüllen« – so beginnt der Roman, so beginnt das Stück. Insa Jebens tritt hier auf, als Sprecherin, Justin Hibbeler ist Orlando, der auf den Kopf eines Mauren einsäbelt, längst tot, abgeschlagen schon von einem kriegerischen Vorfahren: ein junger Mann, keine Frage. Franziska Beyer wird bald zu Natasha werden, einer russischen Gräfin, seine erste Liebe und Enttäuschung. Auch die Rolle des Erzählers kreist. Gedichte werden zitiert, John Donne zum Beispiel: »No man is an Island.«

Angeklagt als Frau

Orlando, enttäuscht von Liebe und Dichtung, zieht als Botschafter nach Konstantinopel, schläft sieben Tage lang, erwacht, derselbe Mensch in anderem Körper, mit kleinen Gedächtnislücken. Insa Jebens spielt ihn nun, mit Perücke. Der junge Adelige, der zur Frau wurde, lernt, welch unsinnige Hindernisse die Welt ihm in den Weg stellt in dieser Rolle. Die Verwandlung selbst nimmt er als Selbstverständlichkeit. Aber er – nun sie – sieht sich angeklagt: »Erstens, dass Sie tot sind, zweitens, dass Sie eine Frau sind.«

Annette Müller zeigt »Orlando« am LTT als einen poetisch schillernden Text, ausdrucksstark gesprochen von allen Darstellern, mit fein gesetzten überraschend humoristischen Momenten, verwandelt in sehr schlichte, aber eindringlich klare Bilder. Malik Diaos leise changierende Musik verleiht dem Stück einen schwebenden, von der Zeit gelösten Charakter.

Orlando langt an im 20. Jahrhundert, mit den Erfahrungen von Mann und Frau und vier Jahrhunderten. Auch Jonathan Green, der eitel-rückwärts gewandte Schriftsteller, dem sie vor Zeiten begegnete, ist noch da, ein unsterblicher Typus auch er.

Irgendwann sitzt Orlando als preisgekrönte Schriftstellerin in einem Automobil, unterwegs in eine Zukunft. Das Stück, das seine/ihre Geschichte erzählt, endet als heitere Meditation über das Wesen des Menschen, der immerzu versucht, die vielen Persönlichkeiten, die in ihm wohnen, zu versöhnen. Und der verstummt, sobald ihm dies gelungen ist.


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