Lucas Riedle · Foto: Tobias Metz
Sabine Weithöner, Jennifer Kornprobst, Andreas Guglielmetti · Foto: Tobias Metz
Jennifer Kornprobst, Sabine Weithöner, Julia Staufer, Andreas Guglielmetti · Foto: Tobias Metz
Sabine Weithöner, Lucas Riedle, Andreas Guglielmetti · Foto: Tobias Metz
Jennifer Kornprobst, Lucas Riedle · Foto: Tobias Metz
Sabine Weithöner, Lucas Riedle, Andreas Guglielmetti · Foto: Tobias Metz
Julia Staufer, Lucas Riedle · Foto: Tobias Metz
Julia Staufer, Lucas Riedle, Andreas Guglielmetti, Jennifer Kornprobst · Foto: Tobias Metz

Orest

Schauspiel von John von Düffel · Nach Sophokles, Euripides und Aischylos · Interlinear-Übersetzung von Gregor Schreiner


Schwäbisches Tagblatt, 2. Mai 2023

Der Fluch geht weiter

(von Peter Ertle)

John von Düffels „Orest“ in einer kompakten, stringenten Inszenierung am LTT.

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Reutlinger Generalanzeiger, 2. Mai 2023

Familie im Drahtkäfig

(von Thomas Morawitzky)

Dominik Günther setzt John von Düffels »Orest« am LTT bedrohlich grau und auf engem Raum in Szene

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nachtkritik.de, 30. April 2023

Im Kleinformat

(von Thomas Rothschild)

Kammerspiel – mit Lust am Effekt

Orest rennt. Er rennt im Kreis, stolpert auch, nicht nur, weil das zurzeit auf deutschen Bühnen en vogue ist, sondern weil er offenbar verfolgt wird. Elektronische Musik ersetzt das Bellen der wütenden Hunde der Rache.

Die Redaktion ist streng. Wie findet man das richtige Maß zwischen Kenntnissen, die man bei den Leser*innen voraussetzen zu dürfen meint, und Informationen, die zu verweigern arrogant wäre? Ist es eine Banalität oder eine Mitteilung, dass die Orestie zu den bedeutendsten Stoffen der Weltliteratur gehört? Alle drei großen Dramatiker der griechischen Antike, Aischylos, Sophokles und Euripides, haben ihn, unter unterschiedlichen Titeln und Perspektiven und jeder auf seine Art, auf die Bühne gebracht. John von Düffel, erfahren in der Bearbeitung kanonisierter dramatischer und epischer Werke, hat vor zehn Jahren eine synkretistische Fassung der Orest-Plots verfasst und diese dabei in sein eigenes Universum übertragen, das, wie man auch aus seinen anderen Adaptionen weiß, eher durch Demut gegenüber den Vorlagen als durch Originalitätseifer gekennzeichnet ist.

Mit den Überschreibern jüngeren Datums hat John von Düffel wenig gemeinsam. Dass er Anachronismen nicht scheut, bezeugt schon der Titel des ersten Teils: "Die Psychologie des Entschlusses". Das Wort "Psychologie", wenn nicht gar, was es bezeichnet, kam erst im 16. Jahrhundert auf. Jetzt hat Oberspielleiter Dominik Günther "Orest" im Landestheater Tübingen einstudiert.

Von Düffel beschränkt das Personal auf acht Rollen, von denen sechs auf drei Darsteller verteilt sind. Nur Orest und Elektra sind nicht als Doppelrollen konzipiert und bilden somit das Zentrum der Fabel. Agamemnon tritt bei von Düffel ebenso wenig auf wie Pylades, Kassandra, Apollon oder Pallas Athene. Von den Göttern ist zwar die Rede, Orest beruft sich auf sie und Elektra fleht die Eumeniden an, aber die Bühne überlassen sie in unserer säkularisierten Gegenwart den Menschen. Damit positioniert sich John von Düffel in diametralem Gegensatz zu den monumentalen Inszenierungen der "Orestie" von Peter Stein und, unter dem Titel "Die Atriden", von Ariane Mnouchkine, die nun einmal für die europäische Theatergeschichte der vergangenen Jahrzehnte Maßstäbe gesetzt haben. Auch die Lesart, welche die "Orestie" als politisches Drama über die Einführung der Gerichtsbarkeit im antiken Griechenland begreift, spielt bei von Düffel keine Rolle und beraubt somit Athene ihrer Funktion. Der fast kammerspielartige Charakter seiner auf 90 Minuten komprimierten Trilogie rechtfertigt zudem die Tübinger Entscheidung, "Orest" in der intimen Werkstatt des LTT aufzuführen.

Sandra Fox hat ein mit Maschendraht vergittertes, mit Müllsäcken gefülltes Hexagon auf ein Podest gestellt. Es steckt, in Übereinstimmung mit den Kostümen buchstäblich Grau in Grau, die Spielfläche ab. Klytaimnestra und Aigisthos stehen wie Statuen im Hintergrund. Wenn Orest, der später die Position von Aigisthos einnimmt, unerkannt bleiben soll, hält er sich eine Stabmaske vor's Gesicht.

Jennifer Kornprobst ist Elektra. Sie krümmt sich, zuckt, wirkt in einem fort exaltiert. Die Psychologie vergangener Zeiten hätte ihr vielleicht Hysterie diagnostiziert. Damit ist sie der Elektra von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauß näher als dem antiken Modell, dessen Mordlust wohl begründet, also zwar nicht entschuldbar, aber verständlich ist. Wie eine Wahnsinnige wiederholt sie das Wort "Besonnenheit", das ihr ihre Schwester Chrysotemis (Julia Staufer) abverlangt. Die Regie tut ein Übriges. Wenn der verkleidete Orest (Lucas Riedle) von sich selbst erzählt, dass er "stürzt", dann stürzt er. Immer wieder krankt der Abend an gestischer Überdeutlichkeit, als dürfte man nicht zu sehr auf die Rede vertrauen. Nur Sabine Weithöners Klytaimnestra bewegt sich wie in Zeitlupe. Dafür darf sie später als Helena das Divenklischee mit Shawl und Sonnenbrille bedienen. Jackie Kennedy Onassis? Elektra wiederum und Orest tanzen im Blutrausch einen Sirtaki. So sind sie halt, die Griechen.

Im dritten Teil – "Der Wahnsinn danach" – verwandelt sich das Einheitsbühnenbild in eine Mischung aus Disco und Guantanamo. Orest ist in einem Ganzkörpersack verfangen. Die Regie kann nicht genug von dem Effekt kriegen und verliert das Gefühl für Rhythmus. Dann tritt Menelaos (Andreas Guglielmetti) als Touristenkarikatur mit sechs Alukoffern auf. Da schrammt die Orestie an der Komödie vorbei. Aber John von Düffel ist nicht Jacques Offenbach. Oder haben wir etwas übersehen? "Wer Schlechtes tut, dem geht es schlecht", mahnt Menelaos. Da hat er recht. In der Orestie und darüber hinaus.

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