Nach der Novelle von Heinrich von Kleist · 15+
Schwarzwälder Bote, 6. Oktober 2023
Mit dem Florett im Worte-Dschungel
(von Christoph Holbein)
Eine äußerst textlastige Premiere hat das Stück „Michael Kohlhaas“ nach Heinrich von Kleist in einer Fassung von Annette Müller am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen gefeiert. Das Schauspieler-Trio gibt dabei sein Bestes.
Eines ist den drei Akteuren auf der Bühne – Dennis Junge, Rolf Kindermann und Lucas Riedle – ins Stammbuch zu schreiben: Sie haben die Kleistsche Sprache bestens erarbeitet und untermalen das Gesagte immer wieder pantomimisch. Annette Müller sorgt in ihrer Fassung der Novelle von Heinrich von Kleist immer wieder für ein kurzes Ausbrechen aus der literarischen Vorlage mit modern-sprachlichen Einsprengseln.
Schwäbisches Tagblatt, 2. Oktober 2023
(von Peter Ertle)
Drei Männer: Ein Kohlhaas. Regisseurin Annette Müller lässt sie zu dritt erzählen, nur ganz leicht ins Dialogische gewendet, indem die jeweils Zuhörenden mal ein „krass“ oder „Scheiße, Scheiße, Scheiße“ einstreuen, eine Verständnisfrage haben und das Gehörte mit ihren Emotionen begleiten. Oder als Erzähler kurz den Sprung zur Rollenaneignung, zum Figurwerden, zum Schauspiel vollführen. Das machen sie richtig gut, Dennis Junge, Lucas Riedle, Rolf Kindermann, charmant, trocken, witzig oder auch mal angefasst.
Reutlinger General-Anzeiger, 2. Oktober 2023
Wie ein Pferdehändler zum Massenmörder wird
(von Achim Tennigkeit)
Ein karges Bühnenbild (wie bei einem Harold-Pinter-Drama) erwartet die gespannten Zuschauer. Vorn eine abgesessene Couch, auf der meist drei Männer in schwarzer Lederkluft lümmeln. Hinten ein riesengroßer, außen verdreckter Kühlschrank, aus dem sie immer wieder Bier holen, bis der Kasten schließlich leer ist. Rundherum ein hoher schwarzer Vorhang, der die Szenerie umgibt und begrenzt. Am Anfang überraschend: Die drei unterhalten sich nicht, sondern tragen abwechselnd den Text von Heinrich von Kleists Erzählung vom Rosshändler Michael Kohlhaas vor, der aus verletztem Rechtsgefühl heraus zum mörderischen Rächer wird.
Wie ein Pferdehändler zum Massenmörder wird
Heinrich von Kleists »Michael Kohlhaas« in der Inszenierung von Annette Müller wirft am LTT zeitlose Fragen auf
Von Achim Tennigkeit
Ein karges Bühnenbild (wie bei einem Harold-Pinter-Drama) erwartet die gespannten Zuschauer. Vorn eine abgesessene Couch, auf der meist drei Männer in schwarzer Lederkluft lümmeln. Hinten ein riesengroßer, außen verdreckter Kühlschrank, aus dem sie immer wieder Bier holen, bis der Kasten schließlich leer ist. Rundherum ein hoher schwarzer Vorhang, der die Szenerie umgibt und begrenzt.
Am Anfang überraschend: Die drei unterhalten sich nicht, sondern tragen abwechselnd den Text von Heinrich von Kleists Erzählung vom Rosshändler Michael Kohlhaas vor, der aus verletztem Rechtsgefühl heraus zum mörderischen Rächer wird.
Die chronologische Handlung der 1810 veröffentlichten Erzählung beginnt damit, dass Kohlhaas auf dem Gebiet des Junkers Wenzel von Tronka angehalten wird und, obwohl er diese Stelle schon x-mal unbeanstandet passiert hat, unberechtigterweise nach einem Passierschein gefragt wird. Schließlich muss er seinen Knecht und zwei Pferde als Pfand dalassen, um in Dresden den geforderten Passierschein besorgen zu können. All das ist auf der Bühne nicht szenisch zu sehen, das Publikum bekommt die Handlung von den drei Akteuren – Dennis Junge, Rolf Kindermann und Lucas Riedle – (nur) erzählt.
Als Kohlhaas damit zurückkehrt, trifft ihn fast der Schlag. Seine Pferde sind durch knallharte Ackerarbeit total abgemagert, sein Knecht in einem desolaten Zustand, eine Situation, die einer der drei im ganzen Stück namenlos bleibenden Akteure lapidar mit dem Wort »Scheiße« kommentiert, die anderen nicken zustimmend.
Einer soll Bier holen und stößt sich am Kühlschrank schmerzhaft den Kopf an, wird aber von einem der Kumpel getröstet. Man verständigt sich darauf, dass Gerechtigkeit ein menschliches Grundbedürfnis sei, und knackt gemeinsam die zweite Flasche Bier. Doch die Klage, die Kohlhaas einreicht, damit das Unrecht gesühnt wird und er den Schaden ersetzt bekommt, wird zunächst unbeantwortet gelassen und dann abgewiesen.
Lisbeth, Ehefrau und Mutter seiner fünf Kinder, bietet Kohlhaas an, dem Kurfürsten über Vitamin B (sie kennt den Verwalter) seine Sache vorzutragen, er geht darauf ein, doch der Versuch endet im Desaster. Ein Wachposten tötet Lisbeth, weil sie sich aus seiner Sicht dem Kurfürsten zu schnell genähert hat.
Kohlhaas rastet aus, als er davon erfährt, und beschließt, sich gnadenlos zu rächen. Nun kommt erstmals so richtig Leben auf die Bühne. Die drei Kumpels agieren wie eine Rockband ohne Instrumente, einer simuliert den Schlagzeuger, einer spielt Bass, der andere Luftgitarre. Der Kühlschrank springt auf und eine kurz aufflackernde, gelbrote Feuerglut zeigt, wie Kohlhaas eine ganze Stadt anzündet, dichter Bühnennebel legt sich wie aufsteigender Brandrauch über die Szenerie. Der optische Höhepunkt des ganzen Stücks.
Was danach folgt, ist dann weniger theatralisch und weniger aufregend. Im nun etwas zäh gewordenen Erzählduktus der drei kommt der Reformator Martin Luther ins Spiel, der den Rachefeldzug von Kohlhaas zwar entschieden missbilligt, dann aber doch eine Vermittlerrolle einnimmt, die letztlich aber fehlschlägt.
Kohlhaas wird der Prozess gemacht. Das freie Geleit, das ihm zugesagt wurde, entpuppt sich als Farce, er wird zum Tod verurteilt. Auch sein Kontrahent Junker Wenzel von Tronka wird bestraft, was für Kohlhaas inzwischen das Wichtigste geworden ist, und muss für zwei Jahre hinter Gitter. Inzwischen haben die drei auf der Bühne den ganzen eisgekühlten Kasten Bier geleert, einer ist sichtlich betrunken, der Zweite fällt in tiefe emotionale Betroffenheit, der Dritte grinst beschwipst pseudocool vor sich hin. Es ist evident: Die drei sind am Ende mit ihrem Latein und hocken nur noch ratlos herum.
Kohlhaas landet auf dem Schafott. Immerhin: Seine Kinder machen Karriere, das Stück endet mit der Botschaft: Kohlhaas hat bis heute Nachkommen.
Regisseurin Annette Müller hat mit den Fragen zu Recht und Gerechtigkeit, staatlicher Sühne versus persönliche Rache sich ein spannendes Themenfeld gesucht, die Inszenierung bleibt jedoch manches schuldig. Zu schablonenhaft agieren die namenlosen Akteure, wo weit mehr kontroverse Auseinandersetzung von drei echten Individuen mit der Thematik möglich gewesen wäre. Stattdessen bleibt es weitgehend bei Typisierungen. Das Experiment, fast alles auf das akustische Moment zu setzen und auf szenische Umsetzung zu verzichten, geht letztlich nicht auf und macht die Aufführung zunehmend langatmig. Die Musik von Malik Diao bleibt dezent im Hintergrund, ohne dramaturgisch Akzente zu setzen.
Während des Stücks kaum Reaktionen und kein Szenenbeifall vonseiten des Premierenpublikums. Doch der Applaus kommt dann noch und hält lang an, als nach der Aufführung alle Mitwirkenden die Bühne betreten.
Culture - Der Kulturblog für Tübingen und Reutlingen, 30. September 2000
(von Martin Bernklau)
TÜBINGEN. Heinrich von Kleist wird schon gewusst haben, warum er diesen „rechtschaffendsten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ nicht dem Käthchen, der Amazonen-Königin Penthesilea, dem Prinzen von Homburg oder dem Dorfrichter Adam an die Seite gestellt hat – auf die Bühne. Das Landestheater geht das Wagnis ein und macht den Versuch, die Erzählung „aus einer alten Chronik“ des 16. Jahrhunderts in ein Drei-Personen-Stück zu dramatisieren.