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Stückentwicklung von Hannah Frauenrath und Ensemble · Uraufführung · 14 +
Schwäbisches Tagblatt, 5. Juli 2027
Die Lust am Trash, und wer dafür zahlt
(von Dorothee Hermann)
Das Junge LTT präsentiert in Tübingen den „Kampf der Reality Shows“ als schillernd-doppelbödige Inszenierung
Sie sehen aus wie geklont in ihren identischen, smarten Hosenanzügen in einer undefinierbaren Farbe irgendwo zwischen Beige, Orange oder Rosa, dafür aber mit seidigem Schimmer. Das wirkt einerseits overdressed und scheint andererseits „Wow, hochwertig!“ signalisieren zu sollen. „Kampf der Reality-Shows“, die neue Inszenierung am Jungen LTT, dem Kinder- und Jugendensemble am Landestheater Tübingen (LTT), ist voll von solchen Ambivalenzen, als würde das Stück ständig problematisieren, was es vorführt, und die Frage aufwerfen: Hä, was ist hier eigentlich los?
Den drei Figuren geht es nicht um eine bestimmte Show, sondern darum, was in Fernsehstudios abgeht, wo solche Sendungen mit Publikum produziert werden: Was sich zwischen den Kandidaten und Kandidatinnen abspielt, und wie sie bei den Studiogästen ankommen. Am Mittwoch war Premiere in der LTT-Werkstatt, mit den überwiegend jugendlichen Zuschauern in der Doppelrolle als Theaterpublikum einerseits und als Showpublikum andererseits.
Wie austauschbar die drei Figuren trotz ihres bieder-schnieken Outfits sind, und wie unsicher darüber, ob sie auch genug hermachen in dem für sie scheinbar ungewohnten Setting, signalisiert die Ansage, die sie nacheinander ganz am Anfang machen: „Hallo, ich bin 24, und ich komme aus einem kleinen Ort, den eh niemand kennt.“ Durch die dreifache Wiederholung wirkt der Satz mechanisch und beliebig, oder er setzt einfach eine Vorgabe der Showmaster im Hintergrund um, sich bitteschön erstmal kleinzumachen.
Der Aufbau auf der Bühne ist ziemlich ausladend. Beinahe fragt man sich, wo da noch Platz für Action sein soll? Dann geht ein diffuses, pinkfarbenes Licht an, die weißen Vorhänge in einer Art Gehäuse werden aufgezogen, und das Spiel kann beginnen. Dass es für drei Personen nur zwei Betten gibt, löst eine dermaßen fiese Psychodynamik aus, dass auf einen Schlag schon alles zu Ende sein könnte.
Regisseurin Hannah Frauenrath hat die Inszenierung gemeinsam mit dem Ensemble entwickelt, rund um das genretypische Setting mit Villa, Rasenfläche und Lagerfeuer. Dieses Element des Vorgefertigten deutete sich schon in den uniformähnlich gleichen Outfits an. Da kann einer der Kandidaten noch so beiläufig einwerfen, er ziehe immer an, worauf er Lust habe. Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Andererseits sind es solche Widerhaken, die die Aufführung interessant machen. Aber im rasanten Stakkato der Dialoge muss man sehr genau hinhören, um sie in allen Nuancen mitzubekommen. In ihren besten Momenten ist die Inszenierung schillernd doppelbödig: zugleich Reality-Show und deren Travestie.
Allerdings weckt das vorgebliche Aufregerthema Reality-Show trotz seiner kalkulierten Tabubrüche laut Umfragen gar nicht so viel Interesse, wie es häufig kolportiert wird. Wem der ganze Rummel um diese Art der TV-Unterhaltung eh schon zu viel ist, könnte sich fragen, warum sie nun auch noch ein Jugendtheater entern muss, kritische Untertöne hin oder her. Die LTT-Ankündigung gibt sich knallig: „Das Format der Reality-Shows ist seit Jahrzehnten Plattform für alle, die sich zeigen wollen.“ Ist sie das wirklich? Oder sollen Jugendliche mal schauen, wie seltsam (junge) Erwachsene sich verhalten, die bei solchen Shows mitmachen, und welche fragwürdigen Mechanismen und Zwänge dabei wirken?
Sätze wie „Ich muss wissen, dass ihr mich seht, damit ich weiß, dass ich da bin“ klingen nach eisiger Entfremdung – und auch sehr nach dem ständigen Beobachten, Vergleichen und Bewerten in den sogenannten sozialen Medien.
Allerdings spielen Anna Golde (A), Sophie Aouami (B) und Michael Mayer (C) das Ganze mit so viel Energie und Lust am Trash, dass sie die begrenzte Bühnenfläche beinahe sprengen und schier überlebensgroß rüberkommen. Sie agieren auch das Fragwürdige, das nur inszeniert Authentische solcher Shows aus: Wenn sie zwischendurch ihren Körper optimieren müssen, und wenn sie vorführen, wie es zugeht, wenn eine oder einer rausfliegen soll, und welche banalen Anlässe darüber entscheiden können.
Das Publikum könnte darüber nachdenken, ob es wirklich anonym darüber abstimmen möchte, ob jemand zum Loser wird oder nicht. Dabei gilt: Wer kein Smartphone hat, kann ohnehin nicht mitentscheiden.
Kritik Reutlinger General-Anzeiger, 5. Juni 2027
Schrill und doppelbödig: Landestheater Tübingen zeigt »Kampf der Reality Shows«
(von Christoph B. Ströhle)
Der »Kampf der Reality Shows« ist vielschichtiger, als man das von TV-Formaten kennt. Am Landestheater Tübingen ist die Stückentwicklung jetzt uraufgeführt worden.
Drama ist nötig - für die Quote. Das wissen A, B und C, als sie in der Villa, die Schauplatz eines Reality-Formats ist, ankommen. Also wird erst mal konfliktreich geklärt (und später überdacht), wer sich mit wem das Zimmer teilt.
Es ist nicht ein bekanntes Fernsehformat, das hier Pate steht; es sind viele. Daher wohl auch der Titel des neuen Stücks des Jungen LTT, »Kampf der Reality Shows«. Die Regisseurin Hannah Frauenrath hat es zusammen mit dem Ensemble entwickelt. In die Rollen von A, B und C schlüpfen auf der Bühne Anna Golde, Sophie Aouami und Michael Mayer - und finden sich in Situationen wieder, wie man sie aus »Big Brother«, »Der Bachelor«, »Germany's Next Topmodel« oder »Sommerhaus der Normalos« kennt.
Die Szenen rauschen collageartig vorbei, wobei das Publikum im Theatersaal - die Uraufführung war am Mittwoch in der LTT-Werkstatt - schon früh informiert ist, dass es beim Voting die Macht hat. Die auf Zuschauerinnen und Zuschauer ab 14 Jahren zielende Persiflage geht der Frage nach, was an Reality-Shows echt ist und warum sich, abgesehen vom Preisgeld, Menschen als Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewerben. »Kampf der Reality Shows« stellt diejenigen in den Mittelpunkt, die gesehen werden wollen.
»Das ist echt intense«, stellen A und B fest. C offenbart den Zuschauerinnen und Zuschauern, dass er gesehen werden muss. »Damit ich weiß, dass ich noch da bin.« Wenn andere ihn nicht sehen würden, müsse er sich selbst beobachten. Oder sich vorstellen, dass andere ihn beobachten. Die Horrorvorstellung für ein Reality-Sternchen ist es, herausgeschnitten zu werden; in den ersten Folgen einer Staffel schlichtweg nicht vorzukommen. Dann lieber um jeden Preis auffallen.
Ein Tutorial mitten im Stück zeigt, wie das geht: Man muss polarisieren; zu jeder Zeit bereit für einen melodramatischen Auftritt sein; sich mit einem »Signature Move« oder einem wiederkehrenden Satz in Erinnerung bringen. »Sei du selbst - aber bitte in Content-Qualität«, lautet einer der Ratschläge. Auch sollte man sich ein dickes Fell zulegen. In der Villa oder im Container eine Freundin zu haben, sei okay; allerdings müsse man wissen, »wann man sie opfern muss«.
So wechselt das Bühnenstück, in dem Sophie Aouami eine starke Gesangsperformance hinlegt, aberwitzig zwischen ernsten Momenten und purem Zynismus. Erhellend ist das in jedem Fall. Die Spielfreude des Ensembles ist phänomenal. Vor allem dann, wenn es das Publikum mit seinen Kapriolen aufs Glatteis führt.
Bühne und Kostüme, die sich Hanga Balla und Polly Stephan ausgedacht haben, machen Laune. Die von Konstantin Sieghart zusammengestellte Musik öffnet emotional Räume und ist zudem für die Trailer und Werbefilmchen gut, die das Ensemble live auf der Bühne performt.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer (»Ihr habt eingeschaltet, um abzuschalten«) zücken nach einer Aufforderung die Smartphones und stimmen über einen QR-Code ab, wem der dreien sie am wenigsten trauen, wer ihrer Ansicht nach nicht zeigt, wer er oder sie wirklich ist, und wen man - wenn man es müsste - rausschmeißen würde. Fast wie in einer richtigen Reality-Show. Aber doch viel doppelbödiger.