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Farce von Rosa von Praunheim
Schwäbisches Tagblatt, 8. April 2023
Und es lacht doch jemand, bei jedem einzelnen Furz
(von Moritz Siebert)
Friedrich der Große jagt Adolf Hitler mit einem Riesenpenis, die AfD kämpft gegen das Gesinnungstheater: Das LTT zeigt Rosa von Praunheims „Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs“. Und wo sind da die Grenzen?
Es ist alles eine einzige Zumutung. Friedrich der Große jagt Hitler mit einem Riesenpenis quer durchs Haus. Zusammen sitzen sie, Hitler im Abendkleid, am Klavier und trällern: „Morden muss sich lohnen, Millionen Tote haben einen Sinn“. Zuvor lässt sich Onkel Adolf von seiner Nichte Geli ankacken und verkehrt mit einer Ziege. Überall sind Hakenkreuze zu sehen und ununterbrochen wird gefurzt.
Skandal? Na ja, das Publikum weiß wohl, worauf es sich hier einlässt. Dass sich „Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs“ jenseits der Gürtellinie bewegt, Fäkalhumor und Trash feiert, dürfte bekannt sein. Uraufgeführt wurde Rosa von Praunheims Nazi-Farce 2020 am Deutschen Theater Berlin. Nun inszeniert es LTT-Intendant Thorsten Weckherlin in Tübingen. Premiere war am Donnerstag.
War Hitler schwul? Hatte er nur einen Hoden? Hatte er überhaupt jemals Sex? Und biss ihm eine Ziege als Kind bei einer Mutprobe den Pimmel ab? Weiß man alles nicht. Die Gerüchte und Legenden um Hitlers Sexualität greift von Praunheim als zentrale Motive auf, um sich eingehend mit ebendieser Facette der Figur Hitler auseinanderzusetzen. Verborgene Homosexualität und beschädigte Männlichkeit als Ursache für Massenmord: So könnte man das nun interpretieren. Den Anspruch, eine psychologische Abhandlung zu sein, stellt das Stück aber nicht.
Was die Homosexualität Friedrichs des Großen angeht, der zweiten historischen Figur, die hier in unhistorischem Kontext auftritt, ist die Quellenlage etwas deutlicher. Außerdem litt er an Hämorrhoiden, das spielt für die Handlung zwar keine allzu große Rolle, aber bietet eben ein weiteres Element im Reigen an Ekligkeiten. „Ich war stockschwul und habe es genossen“, so stellt sich Friedrich vor, als ihm Hitler im Himmel begegnet. Gesprächsthemen sind das ausgeprägte Sexleben Friedrichs, das verhunzte des Führers. Die beiden musizieren und blicken auf die Zukunft Deutschlands und auf eine lächerliche AfD. „Selbst wir waren in unserer Anfangszeit besser.“
Weckherlin greift Praunheims Vorlage mit allem Klamauk ziemlich genüsslich auf, man merkt dem Team die große Freude am Stoff an. Er inszeniert mit Tempo, die Szenen wechseln abrupt, Realitätsebenen verschwimmen, ebenso die Grenzen zwischen Publikum und Bühne, zwischen Garderobe und Bühne, zwischen Theater und Realität. Detailreich sind Bühne (das wichtigste Requisit ist ein Furzkissen) und Kostüme mit Uniformen und Hakenkreuzsocken gestaltet (Vinzenz Hegemann). Die Darsteller Justin Hibbeler und Stephan Weber wechseln permanent und überzeugend die Rollen, spielen Musik (Jörg Wockenfuß) live mit Klavier, Gitarre und Loop-Gerät, und performen die Chansons und Kampflieder mit ihren grauenvoll primitiven Texten großartig. Beeindruckend ist Hibbelers Darstellung des gedemütigten, bloßgestellten, auf seine Schwächen reduzierten Hitler. Weber glänzt mit einem Spektrum an Dialekten und Akzenten und humoristischen Momente, etwa wenn er mit dem Souffleur kommuniziert.
Was den Humor angeht, bleibt die Tübinger Ausgabe aber ansonsten auch irgendwo zwischen Analphase und Pubertät stecken. Und dennoch ist die Inszenierung mehr als ein Höllentrip durch die Abgründe der Sexualität von Oberschurken und ihren Körperfunktionen.
Wie können diese lächerlichen Figuren Vorbilder sein? Das is t eine zentrale Frage, die Rosa von Praunheim stellt. Die Zusammenhänge mit der Gegenwart, die mit einem erstarkenden
Nationalismus kämpft in Gestalt einer AfD, bleiben auch am LTT recht lose, bekommen hier aber Gewicht.
AfD-Figuren, die teils an reale Personen angelehnt sind, auch wenn sie nicht so heißen, führen und moderieren durch die groteske Welt und halten eine ständige Verbindung in die Realität. Am Anfang verteilt ein sorgfältig gescheitelter AfD-Mann (Weber) Wahlwerbung, auf der die Vorstellung der Partei vom Theater beschrieben steht, ohne Minderheitenmeinungen, neutral – und ja nicht woke. Sie träumen vom starken Schwulen, Hitler und Friedrich, das waren „Tunten, die vor nichts zurückschrecken“, und von einem Hitlermuseum, das den wahren Hitler zeigt, den homosexuellen Hitler. Sie schwingen Reden und Deutschlandfahnen und immer wieder erklingt ihr Kampflied „AfD, Arschlöcher für Deutschland“. Na, klatscht da jetzt wirklich jemand mit? Wir sind ja im Theater. Oder?
Die Zuschauer müssen viel aushalten, das Stück setzt viel auf Konfrontation, hinterfragt eigenes Verhalten. Zum Beispiel: Warum beschäftigt uns eigentlich die Sexualität von AfD-Politikern? Oder welche Vorstellung von Humor haben wir eigentlich? Natürlich ist das überhaupt nicht lustig, wenn die Hauptfigur Hitler ununterbrochen furzt. Aber es lacht halt doch immer jemand. Bei jedem einzelnen Furz.
Unterm Strich
Nichts für schwache Nerven – und nichts für Fans von feinsinnigem Humor, von politischer Korrektheit und historischer Präzision. Auch AfD-Anhänger könnten ihre Schwierigkeiten mit dem Stück haben. Aber reizt nicht allein das alles schon zum Theaterbesuch? Die Zuschauer müssen zwar einiges aushalten, belohnt werden sie mit starken schauspielerischen Leistungen.
Südwest-Presse, 8. April 2023
Spießgesellen an der Scherzgrenze
(von Wilhelm Triebold)
Was macht eigentlich das Tübinger Landestheater? Der Laden läuft wieder solide, dem Intendanten wurde verlängert bis ultimo, sodass Thorsten Weckherlin am Ende der längstgediente Chef der LTT-Geschichte sein wird. Gelegentlich inszeniert der Hausherr selbst. Und scheut dabei kein Fettnäpfchen. Ausgerechnet er, der sich vor Jahren Ärger mit seiner Truppe einhandelte, als er im eigenen Theater – rein provokant und theoretisch, versteht sich – Sympathien mit der AfD witterte, knöpft sich jetzt die rechtsnationalen Saubermänner vor. Wie könnte man das besser als mit Rosa von Praunheims schräger Scharteke „Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs“, in der nicht nur historische Oberschurken ihr Fett abkriegen, sondern eben auch jene Partei am rechten Rand, mit ihrem „Vogelschiss“-Ehrenspielführer und homophoben Anwandlungen?
„Hitlers Ziege“ ist ein enthemmt geschmackloses Machwerk und dabei zugleich ein Kunstwerk vom äußersten Rand aller Schmerz- und Scherzgrenzen. Ein zotiger Unterleibswitz, gegen den Mel Brooks’ „Frühling für Hitler“ wohlerzogen daherkommt: Lustvoll stürzt sich Praunheims Stück in Abgründe menschlicher Abstrusitäten. Wobei dem selbstredend schwulen Bühnen-Hitler von Sodomie über Sadomasochismus, von Kot-Notstand bis Verstopfung und Verschwörung so ziemlich alles angedichtet oder untergeschoben wird, was an fäkaler Fantasie und Fake-News denkbar ist.
Es geht also um Gerüche und Gerüchte. Die Fama, eine Ziege habe den aufdringlichen Jung-Adolf mit herzhaftem Biss entmannt, wird weidlich ausgekostet – ein Ritt auf der Kastrierklinge. Überhaupt funktioniert die ganze bühnenreife Zumutung des 80-jährigen Rosa von Praunheim, des wohl immer noch größten Amoralisten der Schwulenszene, im LTT bestens. Dafür sorgen mit Justin Hibbeler und Stephan Weber zwei wunderbar wandelbare Darsteller, die sich mit Schmackes und dafür ohne Skrupel und Tabus in die 80-minütige Zumutung schmeißen. Hibbeler oft wie aufgezogen, während Weber gern sein energisches Mussolini-Profil in Stellung bringt.
Anfangs verteilt Weber als geschniegelter AfDler noch Werbekarten, was neutrales Schauspiel und „kraftvolle Kunst“ aus Sicht der Rechtspartei bedeuten müsse. Deshalb doch noch eine Triggerwarnung, zumindest für die Anhänger des gediegenen AfD-Kulturordnungsbetriebs: Meiden Sie diese Aufführung unbedingt! Oder Sie sprechen über Risiken und Nebenwirkungen mit Ihrem örtlichen Theater-Therapeuten.
Reutlinger General-Anzeiger, 8. April 2023
Zwischen Beichtstuhl und Toilette
(von Christoph B. Ströhle)
Es ist vor allem eine Abrechnung mit der AfD geworden: Rosa von Praunheims Bühnenstück »Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs« in der Inszenierung von Intendant Thorsten Weckherlin am Landestheater Tübingen spiegelt in Form einer polternden Theaterfarce nicht zuletzt neu-rechte Tendenzen, greift tief hinein in den Abort der Geschichte, lässt eine der Figuren Weihwasser mit der Klobürste versprühen.
Man mag das geschmacklos nennen – und würde bei der Schwulenikone Rosa von Praunheim (»Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt«) wohl auch keinen Widerspruch hören. Der gebürtige Rigaer will provozieren, allein schon auch dadurch, dass er das Thema unterdrückte Homosexualität anhand der historischen Figuren Friedrich II., König von Preußen (genannt »der Große«) und Adolf Hitler mit Frauenhass und Antihumanismus verknüpft. Und vulgärpsychologisierend unter die Gürtellinie blickt. Historie prallt in seinem 2020 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin uraufgeführten Stück hemmungslos auf Trash, Klamauk auf holzschnitthafte Drastik. Nicht umsonst nennt das LTT den unübersehbar auch kabarettistischen Abend augenzwinkernd »eine Zumutung«.
Die Schauspieler Justin Hibbeler und Stephan Weber gehen die Provokation nicht zuletzt musikalisch an. Weber spielt die Tonfolge a, f, d auf der Gitarre, dann singen beide »Arschlöcher für Deutschland sind wir gern«. Jörg Wockenfuß, musikalischer Leiter, hat die Darsteller nachgerade auf eine Revue eingeschworen, mit Textzeilen wie »Morden muss sich lohnen«, »Schluss mit der albernen Demokratie« und »Wir machen Deutschland wieder groß«.
Justin Hibbeler betritt an einer Stelle als Wiedergängerin von Magda Goebbels die Bühne, mit Puppenhänden, die sich an sie klammern. Stephan Weber, der in diesem Moment Hitler ist –?diesem wird unterstellt, dass er einen Narren an Magda Goebbels gefressen hat?–, findet es, ein wenig überraschend, »sehr krank«, dass sie ihm Treue bis in den Tod gehalten und ihre Kinder umgebracht hat.
Die Tour de Force durch deutsche Geschichte und Zeitgeschichte schließt häufige Perspektiv- und Rollenwechsel ein. Da sieht man den durch eine Ziege entmannten Hitler mit pathologischen Sexfantasien seiner minderjährigen Nichte Angelika Raubal nachsteigen. Vom Ufa-Star Renate Müller will er verprügelt und am Hundehalsband herumgeführt werden. Beide Frauen sterben später unter nie ganz geklärten Umständen. Der faule Geruch aus seinem Mund, so brüstet sich Hitler, sei »Balsam für meine Fanatiker«.
Die Anspielungen auf die AfD sind in Rosa von Praunheims Stück bereits angelegt; Thorsten Weckherlin baut sie weiter aus, aktualisiert auch die Rede, die ein gewisser Ernst Vogelschiss hält. So redet dieser unmissverständlich Putin das Wort, fordert, dass der die Ukraine als Wiedergutmachung geschenkt bekommen müsse, für all das, was er habe durchmachen müssen.
Das Publikum sitzt in der kleinsten der drei Theaterspielstätten (LTT-Oben) dicht am beziehungsweise mitten im Geschehen, zwischen Beichtstuhl und Toilette (Ausstattung: Vinzenz Hegemann), amüsiert sich über ein immer wieder zum Einsatz kommendes Furzkissen, zuckt angesichts des drall-beherzten Spiels des Duos Hibbeler/Weber mitunter aber auch mächtig zusammen. Am Ende sieht man die Schauspieler in einem Nachspiel auf der Bühne als biedere Normalos, die sich scheinbar auch im Privaten an der Radikalität neu-rechter Parolen erfreuen.