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Ein Kunststück über die Leistungsgesellschaft · Klassenzimmerstück von Annette Müller
Uraufführung
12+
Reutlinger General-Anzeiger, 21. Februar 2020
(von Armin Knauer)
Junges LTT mit Stück im Klassenzimmer
[…] Es geht um das Gefühl, dass der Akku leer ist. Die Panik, abgehängt zu werden, wenn man mal „nur“ chillt. Um die Angst, die Ziele nicht zu erreichen. Aber welche Ziele überhaupt? Für wen oder was macht man das alles? […] Das ist witzig, surreal, vielschichtig und kunstvoll in sich selbst verschlungen. […]
Schwäbisches Tagblatt, 20. Februar 2020
Was wurde hier eigentlich aufgeführt?
(von Miriam Plappert)
„Harder, Faster, Stronger“ – das Junge LTT beschäftigt sich mit seinem neuen Stück, das gestern in der Kirchentellinsfurter Graf-Eberhard-Schule aufgeführt wurde, mit dem Leistungsdruck.
Die Klassenzimmertür geht auf, und ein Typ im neongelben Trainingsanzug kommt herein. Er hat einen großen Ghettoblaster dabei, aus dem eine jazzige Frauenstimme ertönt: „My love has no beginning, my love has no end. No front no back, my love won’t bend“. Der junge Mann sagt kein Wort, stellt sich ans Fenster, holt ein Vesperbrot heraus und beginnt langsam zu kauen.
Die Neuntklässler der Kirchentellinsfurter Graf-Eberhard-Schule sind sichtlich irritiert. Die Frage „Was soll das?“ steht ihnen förmlich in die Gesichter geschrieben. Sie sind die ersten Zuschauer, die das neue Theaterstück des Jungen LTTs mit dem Titel „Harder, Faster, Stronger“ zu sehen kriegen.
Wie der Titel bereits andeutet, handelt das Stück vom Leistungsdruck, den viele Schüler spüren. Für die gestrige Premiere sind die Schauspieler nach Kirchentellinsfurt direkt ins Klassenzimmer der neunten Klasse gekommen.
Die Protagonisten von „Harder, Faster, Stronger“ sind zwei Jugendliche: der Junge im neongelben Trainingsanzug (Jonas Breitstadt) und sein Kumpel (Elias Popp), der durch einen nicht weniger ausgefallenen Kleidungsstil in Form einer Jeansjacke mit pinken Flicken auffällt. Die beiden unterhalten sich über ein Theaterstück, das sie gerade mit der Schule gesehen haben. Vielleicht das gleiche Stück, das die Neuntklässler der Graf-Eberhard-Schule gerade ansehen? Jedenfalls beschweren sich die beiden Hauptdarsteller über die uncoolen Outfits und über die Schauspieler an sich. „Die haben doch gar nichts geleistet, oder? Einfach nur da stehen und atmen kann doch jeder.“
Im Laufe des Stücks beginnen die Protagonisten über ihre eigene Situation zu reflektieren und kommen auf Gedanken wie „Ich definiere mich durch meine Leistung“ oder „Wer sagt denn eigentlich, dass wir alles immer schaffen müssen?“ Die prompte Antwort folgt: „Ja alle, die Eltern, das System, einfach alle.“
Das Schauspiel wechselt zwischen verschiedenen Ebenen: Da sind offensichtlich die zwei Schüler, die sich über ein Theaterstück zum Thema Leistungsdruck unterhalten. Währenddessen fallen die beiden aber immer wieder aus der Zeit: So bleiben die Hauptdarsteller mitten in ihrer Bewegung hängen und wiederholen die gleichen Gesten und Worte wie eine hängengebliebene CD. Sie verfallen in einen „Slowmotion-Modus“ und bewegen sich nur noch in Zeitlupe. Und manchmal erstarren sie ganz.
In einer Zeitlupenszene zieht sich Elias Popp über einen Schülertisch und macht vor den sitzenden Schülern einen Kopfstand. In einer anderen Szene tanzen die Darsteller mit Wrestling-Masken durchs Klassenzimmer. Das Ende bleibt sehr offen.
„Was wurde hier eigentlich aufgeführt?“, fragen die beiden Schauspieler, bevor sie das Klassenzimmer verlassen. Noch einmal ertönt die jazzige Frauenstimme vom Beginn durch den Raum. Die Musik wird immer schneller, der Bass immer dröhnender, dann auf einmal Stille. Das 45-minütige Stück ist vorbei. Um die durchaus gewollte Irritation der Schüler aufzufangen, kommen die Schauspieler anschließend umgezogen und als sie selbst zurück ins Klassenzimmer. Gemeinsam mit der Regisseurin Annette Müller nehmen sie sich eine weitere Schulstunde Zeit, um mit den Jugendlichen das soeben Erlebte aufzuarbeiten. Dabei fragen sie die Schüler, welche Momente sie besonders beeindruckt und berührt haben.
Wie sich zeigt, können sich fast alle Neuntklässler mit dem Druck, den die Hauptdarsteller im Stück fühlen, identifizieren. Eine Schülerin antwortet auf die Frage, wo konkret sie sich im Stück wiederfinde: „Eigentlich bei fast allem“.
Die Neuntklässler der Kirchentellinsfurter Gesamtschule haben aber auch einige Strategien parat, mit denen sie Druck abbauen: Viele machen Sport, gehen raus in die Natur, treffen Freunde oder spielen ein Musikinstrument. Positiv überrascht zeigte sich Annette Müller darüber, dass einige der Neuntklässler kein Handy haben. Die ständige Beschäftigung in digitalen Medien und das damit einhergehende Fehlen von Langeweile hält sie für problematisch.
„Harder, Faster, Stronger“ zeigt sehr glaubhaft auf, wie eine Spirale aus Angst und Druck in der Schule entstehen kann. Gleichzeitig weist das Stück, besonders in Kombination mit der Nachbesprechung, Wege auf, mit dem Stress umzugehen.
Unterm Strich
Das Junge LTT, das mit seinem Stück „Harder, Faster, Stronger“ in Klassenzimmern auftritt, macht den Leistungsdruck, unter dem viele Schüler stehen, erschreckend erlebbar: Die Erwartungen, die von außen in Form von Klassenarbeiten, Eltern und Lehrern kommen, aber auch die eigenen Ansprüche, die oft noch viel strenger sind, werden auf glaubhafte Weise thematisiert.