Franziska Beyer, Stephan Weber, Lucas Riedle, Justin Hibbeler, Dennis Junge, Emma Schoepe · Foto: Tobias Metz
Franziska Beyer, Emma Schoepe, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Lucas Riedle, Stephan Weber, Emma Schoepe, Justin Hibbeler, Julia Staufer, Dennis Junge · Foto: Tobias Metz
Justin Hibbeler, Emma Schoepe · Foto: Tobias Metz
Franziska Beyer, Lucas Riedle · Foto: Tobias Metz
Dennis Junge, Justin Hibbeler, Emma Schoepe, Franziska Beyer, Julia Staufer · Foto: Tobias Metz
Emma Schoepe, Franziska Beyer · Foto: Tobias Metz
Emma Schoepe, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Lucas Riedle, Julia Staufer, Dennis Junge, Franziska Beyer · Foto: Tobias Metz
Franziska Beyer · Foto: Tobias Metz
Franziska Beyer · Foto: Tobias Metz
Emma Schoepe, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz

Endstation Sehnsucht

Schauspiel von Tennessee Williams · Deutsch von Helmar Harald Fischer


Reutlinger Generalanzeiger, 26. Juni 2023

In der rosaroten Hölle

(von Thomas Morawitzky)

Das LTT inszeniert Tennessee Williams’ Stück »Endstation Sehnsucht« als bunte Farce mit stillen Momenten

[mehr lesen]


Schwäbisches Tagblatt, 26. Juni 2023

Ein Alptraum in Rosarot

(von Moritz Siebert)

Wie wichtig ist uns unser Bild in der Öffentlichkeit? Was verbergen wir? Und wo beginnt die Fantasiewelt? Das LTT zeigt eindrucksvoll, wie gut Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“ in unsere Zeit passt.

Es ist eine Welt wie ein Spielzimmer: das Haus aufklappbar, beliebig verschiebbar, mit tollen Funktionen wie einem Ausklappbett und einer Veranda als Optionsbaustein. Darüber der Schriftzug „Desire“ im Disney-Stil, passend die Figuren, alles unangenehm künstlich, ihre Gespräche oberflächlich. Bis zum ersten hysterischen Gelächter muss man nicht warten, um zu merken, dass hier etwas faul ist. Da ist schon allein das Rosarot in dieser Fülle verdächtig genug.

Tennessee Williams thematisiert in seinem Erfolgsstück „Endstation Sehnsucht“ von 1947 die Veränderung sozialer Verhältnisse durch die Industrialisierung, die Lebenswirklichkeit der Menschen unterschiedlicher Schichten, ihre gescheiterten Träume, ihre Hoffnungen. Und was hat das heute mit uns zu tun? In der Inszenierung des Dramas von Regisseur Daniel Foerster am LTT wird deutlich: erschreckend viel. Premiere war am Freitag.

Blanche DuBois (Franziska Beyer), einst Südstaatenschönheit, zieht in diesen rosaroten Alptraum aus zwei Zimmern, Küche und Bad ein, als sie ihre kleine Schwester Stella (Emma Schoepe) besucht. Stella lebt hier – unter ihrem Stand – mit Ehemann Stanley (Justin Hibbeler), einem Sohn polnischer Einwanderer, der dominant, vulgär und gewalttätig ist. Dass Blanche aber keinesfalls besser dran ist als die Schwester, wird schnell klar. Sie hat das Familienanwesen und ihren Job als Lehrerin verloren, sie ist mittellos und, nach Stanleys Recherchen (er hat viele Freunde und Kontakte), in der Heimat geächtet.

Dass das Leben, das Tennessee Williams zeigt, das Gegenteil von Disney und Barbies Traumhaus ist, ist bekannt. Diese Welt ist brutal, morbide und trostlos. Stanley schlägt seine schwangere Frau, ähnlich Verhältnisse herrschen in der Beziehung des befreundeten Paars Steve (Dennis Junge) und Eunice (Julia Staufer). „Hat sie die Polizei geholt?“ – „Nein, sie holt sich etwas zu trinken.“ – „Ist auch viel praktischer.“ Und in der nächsten Szene ist alles wieder vergessen. Selfie!

Williams’ Figuren sind angreifbar und alle auf ihre Weise total am Ende. Sie sind bemüht, ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten, es geht um Selbstdarstellung, um Beliebtheit, Status und Bestätigung – „Sag ihr, dass sie gut aussieht!“ ¨– und um die Verdrängung der bitteren Realität.

Da ist der Schritt raus aus der Südsaaten-Tristesse der späten 1940er Jahre rein in unsere Lebensrealität plötzlich ganz klein. Daniel Foerster und Mariam Haas (Bühne und Kostüme) statten die Figuren mit Smartphones als wichtigste Accessoires aus. Aufgesetzt wirkt das nicht, sondern merkwürdig selbstverständlich. Eher fragt man sich, ob nicht umgekehrt diese Leute ohne Handy unwirklich wirkten. Gefilmt und fotografiert wird jedes vermeintlich wichtige Ereignis. Wenn Steve Eunice eine Kette schenkt, wird das genauso festgehalten wie das Anbandeln des Protagonistenpaars. Wenn Stella und Stanley zusammen mit Blanche deren Geburtstag feiern, der selbstverständlich nicht der 25. Geburtstag ist, starren alle drei bloß auf ihre Smartphones. Und nichts könnte das Verhältnis in dieser Konstellation besser beschreiben. Und die Follower? Sie lauern wie Geister und beobachten von außen, kommen beklemmend nahe, drehen erbarmungslos an der Zeit und vergegenwärtigen den unerträglichen Stillstand, die Isoliertheit und Gefangenschaft der Protagonisten in ihrer eigenen Welt. Die wechselnden Stimmungen und die Kontraste zwischen düsterer Realität und Fantasiewelt unterstützen Licht und Musik, meist dezent.

Trotz ihrer betont künstlichen Erscheinung kommt man den Figuren immer näher, und, so hart das ist, man kann nicht anders, als sich mit ihnen zu identifizieren. Sie sind stereotyp, selbstverständlich durchschauen wir ihre Entwicklung und ihr Handeln. Die Tragödie, in der das alles endet, ist vorhersehbar. Und dennoch fesseln sie, jede Figur auf ihre Weise. Das funktioniert in der Inszenierung so gut, weil das Ensemble – ob Wutausbruch, Depression oder oberflächlicher Austausch – sehr glaubwürdig und überzeugend spielt.

Sie lassen die Zuschauer rankommen – und überraschen dann doch immer wieder. Sie erzeugen ein permanentes Spannungsverhältnis zwischen Traum und Wirklichkeit, ein beklemmendes Widerspiel zwischen der ungeheuren Tragik der Geschichte und humoristischen Momenten wie den Annäherungsversuchen zwischen Blanche und Mitch (Stephan Weber). In dreieinhalb Stunden Spielzeit wird es keine Minute langweilig, diese Charaktere zu beobachten. Wie Franziska Beyer der Grat zwischen Wahn und Fassung, zwischen Fassade und Realität gelingt, wie sie nach manischen Momenten sofort wieder zurück in die Rolle der taffen Lady findet, die ihrem Umfeld glaubhaft machen möchte, dass sie diejenige ist, die die Oberhand in Beziehungen und Konflikten hat, das ist großartig. Man weiß oft nicht, ob man lachen oder weinen soll. Es bleibt die Sehnsucht – nach was auch immer.

 

Unterm Strich

Daniel Foerster gelingt eine überzeugende Verbindung der Geschichte mit der gegenwärtigen Lebensrealität und eine definitiv sehenswerte Inszenierung. Das Ensemble um eine herausragende Franziska Beyer als Blanche spielt fesselnd und sorgt trotz der Vorhersehbarkeit der Charaktere für permanente Spannung. Von dreieinhalb Stunden Spielzeit sollte man sich nicht abschrecken lassen.


[schliessen]






© 2016     Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Impressum