Komödie frei nach Fontanes Romanklassiker von Moritz Franz Beichl
Reutlinger General-Anzeiger, 8. Oktober 2025
Von Männern und Vanillesoße: »Effi, ach Effi Briest« am Tübinger LTT
(von Claudia Reicherter)
Der tragische Stoff aus wilhelminischer Zeit klamottig entstaubt: Ein junges Team zeigt am LTT Moritz Franz Beichls Fontane-Überschreibung »Effi, ach Effi Briest« bunt, schrill, überdreht – mit Musik und Tiefgang.
Vom explosiven Überschwang zur melancholischen Nachdenklichkeit: Wirbelt die gerade 17 gewordene Titelfigur zu Beginn des zweieinhalbstündigen Stücks »Effi, ach Effi Briest« am LTT noch euphorisch verspielt auf Inlineskates über die Bühne, so liegt sie am Ende im Schoß ihrer Freundin. Am Boden. Müde, aber gereift. Kann da Vanillesoße helfen? Fest steht: »Deine Story handelt nicht von Männern« – das macht die unter anderem auch als Erzählerin, Musikerin und Amme auftretende Roswitha der blonden Effi klar – und auch nicht von Glück. Aber anders als in Theodor Fontanes Roman »Effi Briest« besteht die Chance, dass sie weitergeht.
Wovon also handelt diese Story? Wie in Effis Lieblingsbuch »Anna Karenina« von einer jungen Frau, die ihren gesamten gesellschaftlichen Status verliert, bloß weil sie ihren Mann betrügt?
In der LTT-Version von Moritz Franz Beichls dramatischer Überschreibung des Klassikers verweigert die lebenshungrige Effi (Emma Stratmann) zunächst sogar »kapitalistische Fußgefängnisse«. Doch will auch der Gen-Z-Wildfang bei aller Gendervielfalt die perfekte Frau werden. »Zuhören und nicken.« Bald trägt sie zwar keine so horrende Perücke wie die andern, aber einen steifen Kopfschmuck à la Nofretete oder Marge Simpson, in Rosa.
Mama (Susanne Weckerle) und Papa Briest (Andreas Guglielmetti) machen sich schon Gedanken, was aus Effi wird, versinken aber in libidinöser Selbstverwirklichung und bleiben am Ende feige. Der linkisch-langweilige spätere Ehemann Innstetten (Roman Majewski) möchte sich durchaus über das »penistragende Geschlecht« erheben. Er akzeptiert in der von der Hamburger Regisseurin Meera Theunert neu geschriebenen Hochzeitsnacht gar Effis Nein zu gewaltsamer Penetration, scheitert aber an seiner Fantasielosigkeit.
Auch wenn Effi verbal ihre Mutter spiegelt, so sind doch die Musikerin und der Major ihre wahren Gefährten: Denn die abgeklärte Roswitha (nicht nur stimmlich toll: Robi Tissi Graf) und den sensiblen Beau Crampas (Sebastian Fink) verbindet die Fähigkeit, Gefühle zu zeigen. Auch Unsicherheit. So bieten sie Resonanzräume, in denen die Heldin wachsen kann. Über Reue und Scham hinaus. Zur Wut.
Der österreichische Autor und Nestroy-Preisträger Beichl reduziert in seiner Effi-Entstaubung das Personal, passt das zeitlose Thema an heutige Lebenswirklichkeiten an, indem er moderne Identifikationsfiguren schafft, die flotten Dialoge und komischen Elemente herausschält. Auch Regisseurin Theunert, die mit Laura Robert (Bühne), Annabelle Gotha (Kostüme) und Christopher Ramm (Musik) ein eingespieltes Team bildet, kennt ihren Fontane aus dem Effeff: Glitzerfolie und alusilbrig schimmernde Mäntel für die Wassersymbolik, runde rotierende Elemente fürs Rondell, sogar die efeuumrankte Platane senkt sich – zum Dahinterpinkeln – ins minimalistische Set. Eine schiefe Ebene ermöglicht bedeutsame Verrenkungen, Akrobatik, Ausrutscher. Zu den wenigen Original-Zitaten kommen zigfache Andeutungen, die aufzuschlüsseln Spaß macht.
So erschafft die junge Truppe am LTT aus der 2022 uraufgeführten Gesellschaftssatire – wie 2024 am Theater Augsburg musikalisch ergänzt – eine bunte, schrille, aber vor allem im zweiten Teil auch tiefgründige Komödie. Stratmann überzeugt zwischen Zerbrechlichkeit und Kraft, Übermut und Reflexion. Guglielmetti begeistert mit kräftezehrenden Clownerien und Flöte, Majewski mit mimischem Slapstick. Höhepunkte der Inszenierung sind eine Geburtsszene und das Duell hilflos rivalisierender Männer. Frech, jung, antipatriarchal: Diese »Effi« funktioniert. Das bestätigten bei der Premiere Lacher und stehende Ovationen.
Schwäbisches Tagblatt, 7. Oktober 2025
„Effi, Ach, Effi Briest“ Ein Inliner-Kid verfängt sich in Konventionen
(von Dorothee Hermann)
Fontanes Effi Briest wird am Landestheater Tübingen in einer queeren Überschreibung zur Protagonistin einer Tragikomödie.
Ein Inliner-Kid aus der Gegenwart rollt 131 Jahre in der Zeit zurück und verfängt sich in einer düsteren Skandalgeschichte samt Ehebruch und Duell. So viel Nähe zum Original muss schon sein, auch wenn „Effi, Ach, Effi Briest“ als queer feministische Komödienüberschreibung des bekanntesten Fontane-Romans angekündigt ist. Der 32-jährige österreichische Regisseur und Autor Moritz Franz Beichl hat sich den Stoff vorgenommen, den darin angelegten Gendertrouble auf die Spitze getrieben und mit eigenen Facetten angereichert.
Schon die Schauwerte dürften den Besuch des turbulenten Spiels um Geschlechterstereotype und die mit ihnen verbundenen Zwänge lohnen, das mit jeder Wendung zu fragen scheint: Und wer bin ich? Und in welcher Zeit lebe ich eigentlich? Fast spürt man einen Hauch des Instituts für theatrale Zukunftsforschung, das Tübingen mittlerweile verlassen hat, durch die Inszenierung wehen (Regie: Meera Theunert).
Cul-Tu-Re.de online, 4. Oktober 2025
(von Martin Bernklau)
Meera Theunert inszeniert am Tübinger LTT „Effi, Ach, Effi Briest“, Moritz Beichls komödiantisch queere Farce fast ohne Fontane.
Schwarzwälder Bote, 31. August 2000
Im Witz der Ehrlichkeit auf der Spur
(von Von Christoph Holbein)
Die Komödie „Effi, Ach, Effi Briest“ frei nach Fontanes Romanklassiker von Moritz Franz Beichl erweist sich bei der Premiere im Landestheater Tübingen (LTT) als eine Inszenierung voller effektvoller Auftritte und schwungvollem Spiel der Protagonisten.