Komödie frei nach Fontanes Romanklassiker von Moritz Franz Beichl
Reutlinger General-Anzeiger, 8. Oktober 2025
Von Männern und Vanillesoße: »Effi, ach Effi Briest« am Tübinger LTT
(von Claudia Reicherter)
Der tragische Stoff aus wilhelminischer Zeit klamottig entstaubt: Ein junges Team zeigt am LTT Moritz Franz Beichls Fontane-Überschreibung »Effi, ach Effi Briest« bunt, schrill, überdreht – mit Musik und Tiefgang.
Schwäbisches Tagblatt, 7. Oktober 2025
„Effi, Ach, Effi Briest“ Ein Inliner-Kid verfängt sich in Konventionen
(von Dorothee Hermann)
Fontanes Effi Briest wird am Landestheater Tübingen in einer queeren Überschreibung zur Protagonistin einer Tragikomödie.
Ein Inliner-Kid aus der Gegenwart rollt 131 Jahre in der Zeit zurück und verfängt sich in einer düsteren Skandalgeschichte samt Ehebruch und Duell. So viel Nähe zum Original muss schon sein, auch wenn „Effi, Ach, Effi Briest“ als queer feministische Komödienüberschreibung des bekanntesten Fontane-Romans angekündigt ist. Der 32-jährige österreichische Regisseur und Autor Moritz Franz Beichl hat sich den Stoff vorgenommen, den darin angelegten Gendertrouble auf die Spitze getrieben und mit eigenen Facetten angereichert.
Schon die Schauwerte dürften den Besuch des turbulenten Spiels um Geschlechterstereotype und die mit ihnen verbundenen Zwänge lohnen, das mit jeder Wendung zu fragen scheint: Und wer bin ich? Und in welcher Zeit lebe ich eigentlich? Fast spürt man einen Hauch des Instituts für theatrale Zukunftsforschung, das Tübingen mittlerweile verlassen hat, durch die Inszenierung wehen (Regie: Meera Theunert).
Cul-Tu-Re.de online, 4. Oktober 2025
(von Martin Bernklau)
Meera Theunert inszeniert am Tübinger LTT „Effi, Ach, Effi Briest“, Moritz Beichls komödiantisch queere Farce fast ohne Fontane.
Genau: „Wer braucht schon Fontane, wenn man Effi hat?“ Alles ist da, jede Figur, der Plot, das weite Feld dieser wilhelminischen Spießergesellschaft in der preußischen Provinz. Der wilde junge Wiener Moritz Franz Beichl hat für die Bühne eine Paraphrase auf Theodor Fontanes Roman verfasst, die am Freitagabend unter der Regie von Meera Theunert ihre fast ausverkaufte Premiere im Tübinger LTT hatte.
Sie kommt ganz leichtfüßig daher, diese total vergegenwärtigte, völlig verspielte „queer-feministische Überschreibung“ des Stoffs. Oder genauer gesagt auf den Rollen von Effis Inline Skates, mit denen eine großartige Emma Stratmann über die Bühne kurvt. Es darf viel gelacht werden, auch über flachere Witze und allerhand Klamauk. Und das Publikum nutzt die Gelegenheiten weidlich aus.
Das ist schön formuliert: „Frei nach Fontane, frei von Fontane, mit fast keinem Satz von Fontane, wer braucht schon Fontane…“ So fängt der Untertitel an. Fontanes 17-jährige Effi Briest hatte nicht Freches. Nur den gleichen, den Normen angepassten Aufstiegswillen in der Gesellschaft wie Beichls Effi. Ihr Widerstand wuchs in Fontanes Roman still und gefügig ganz langsam als Widerwille gegen die gesellschaftlichen, ja, die „patriarchalischen“ Zwänge an, die jede weibliche Lebenslust erstickten und verdorren ließen. Ihr Fall, ihr tiefer Fall ist eine leise Tragödie. Nicht so hier. Da ist Effi ein knitzer, rebellischer Rotzlöffel, ein Girlie mit genuinem Selbstbewusstsein, voll Fantasie und Kraft und Chuzpe. Aber auch sie scheitert am Ende.
Meera Theunerts übermütige Inszenierung tobt sich schon äußerlich in der völlig frei fantasierenden Ausstattung von Laura Robert und den Kostümen aus, die Annabelle Gotha geschneidert hat: silberglitzernde Roben, groteske Kopfbedeckungen und Perücken, die vielleicht als Persiflagen auf die Moden jener Zeit um 1894 zu deuten sind, in der Fontane seine Effi verkümmern lässt. Und für den Muckimann und Major Crampas eine sportive Badehose.
Im Gegensatz zur rein männlich besetzten Uraufführung hat Meera Theunert eine genderkonforme Besetzung gewählt. Weil ihre Regie es locker – wir sind auf der Komödie – zugehen lässt, werden auch die linken und queer-feministischen Schlüsselbegriffe, sogar das gelegentliche Gendern leicht und mit viel Ironie gehandhabt: Schuhe sind „kapitalistische Fußgefängnisse“, Männer das „pernistragende Geschlecht“.
Diese Männer sind allesamt Loser, ausnahmslos Versager und Verlierer. Richtige Memmen sind diese Männer sogar. Sie sprechen und bewegen sich auch so: stottern und stammeln und stolpern meist slapstickhaft über die Bühne. Die Frauen nicht. Die behende, wortgewandte und schlagfertige Effi sowieso, ihre Verbündete, das Kindermädchen Roswitha (Robi Tissi Graf), aber auch Mutter Briest (Susanne Weckerle) haben weit mehr Eleganz und Würde.
Robin Tissi Graf, deren Figur Roswitha schon der Autor herausgehobene Kontur gegeben hat, ist auch als Gitarristin und Sängerin mit der Musik von Christopher Ramm betraut. Sie singt und spielt richtig klasse. Schade, dass ihre Sprechstimme vergleichsweise etwas schwächer ausgebildet ist.
Moritz Beichls Sprache übrigens, ganz heutig, flapsig und manchmal durchaus nah am Slang der Straße, ist nicht nur völlig ungebunden, verschmäht jegliches Versmaß, sondern konterkariert sogar noch die rhythmische und melodische Eleganz der Fontane-Prosa fast provokativ. Beichls durchgängiger Witz ist überschaubar (Flitterwochen in Nürnberg, zum Beispiel, Effis leitmotivischer Käse, die Sauna der Alten) und funkelt nur selten in geistreichem Subtext, federleichten Anspielungen oder Messerspitzen-Pointen. Den größten Brüller erreicht er mit dem Dialog um Instettens schmale Lippen, die dem Duellgegner so gefallen: „Ooch, die alten Dinger…“ Oder beim Wiedersehen: „Crampas, alte Wursthaut!“
Aber zusammen mit einer Regie, die auch Karikatur und Klamauk nicht scheut, wie beim tödlichen Duell der alten Männerfreunde, ist von Beginn an eine Comedy-Stimmung im Saal, deren Gluckser und Lacher nur selten für länger verstummen. So lassen sich unter luftig-leichten Segeln doch die Botschaften transportieren, die das Stück von Fontanes Vorlage unterscheiden: die sexistische Unterdrückung aller weiblichen Lebensenergie durch ein tumbes Patriarchat; und eine gefesselte Sexualität, eine erotische Sprachlosigkeit, worunter beide Geschlechter spiegelbildlich leiden. Dafür hat Meera Theunert sogar die Szene neu geschrieben, in der sich das frischvermählte Paar gegenseitig sein sexuelles Analphabetentum eingesteht.
Den Rollentausch und die Wechselperspektive lässt man sich natürlich auch nicht entgehen, und zwar tatsächlich als erhellende Episoden: Auch bei Männern gibt es diesen Widerspruch alter weiblicher Rollen, sich insgeheim führen, leiten, fremdbestimmen lassen, sich unterwerfen zu wollen. Effis Ende haben Stück und Inszenierung etwas abgewandelt: Die bei Fontane geschiedene, selbst von den Eltern wegen des Ehebruchs verstoßene Todkranke wird nicht wieder gnadenhalber aufgenommen, sondern Effi versucht bei ziemlich bester Gesundheit und resilienter Seelenstärke einen Neuanfang von Null an – in einer kargen Einzimmerwohnung, aber die taffe Roswitha an ihrer Seite: „Ich dachte, ich würde weinen.“
Es gab reihenweise Vorhänge und sogar stehende Ovationen für diese lange, aber nie langweilige Premiere.
Schwarzwälder Bote, 31. August 2000
Im Witz der Ehrlichkeit auf der Spur
(von Von Christoph Holbein)
Die Komödie „Effi, Ach, Effi Briest“ frei nach Fontanes Romanklassiker von Moritz Franz Beichl erweist sich bei der Premiere im Landestheater Tübingen (LTT) als eine Inszenierung voller effektvoller Auftritte und schwungvollem Spiel der Protagonisten.