Andreas Guglielmetti, Susanne Weckerle, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Andreas Guglielmetti · Foto: Martin Sigmund
Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Dennis Junge, Jennifer Kornprobst, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Dennis Junge, Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund

Die Stadt der Blinden

nach dem Roman von José Saramago · Deutsch von Ray-Güde Mertin · 16+


Schwarzwälder Bote, 6. Oktober 2021

Brachiale Inszenierung in grellem Licht fordert

(von Christoph Holbein)

Premiere von „Die Stadt der Blinden“ / Publikum wird nicht verschont

Ich glaube nicht, dass wir erblindet sind. Ich glaube, wir sind blind; Blinde, die sehen, Blinde, die sehend nicht sehen“: Die Inszenierung „Die Stadt der Blinden“ nach dem Roman von José Saramago in einer Fassung für das LTT von Dominik Günther, der auch Regie führt, erweist sich bei der Premiere in der Werkstatt des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) als eine Arbeit mit hoher Brisanz und äußerst stringentem gesellschaftspolitischen Bezug auf die aktuelle Situation in Zeiten von Corona. Hinter einer Wand mit neblig-durchsichtiger Folie – Sandra Fox zeichnet für das Bühnenbild verantwortlich –, im immer wieder auflodernden blitzlichtartigen grellen Hell der Scheinwerfer und untermalt von Musik und stampfenden Tönen, für die Jörg Wockenfuß mit seinem Sounddesign sorgt, entwickelt sich ein von Wahnsinn und Eruptionen geprägtes Spiel des Ensembles, das durchweg eine starke Leistung offeriert. In dem Mikrokosmos - isoliert und hermetisch abgeschottet von der Außenwelt, um die Ansteckungsgefahr einzudämmen – kommt es unter den unmenschlichen Bedingungen zu Gewaltausbrüchen, Verteilungskämpfen um Lebensmittel, Vergewaltigungen und Mord, geht es um Regeln und Befehle und um das Pflichtbewusstsein der Bürger als ein Akt der Solidarität, die bald zerbricht, weil jeder sich selbst der Nächste ist. In dieser „Hölle“ bleibt die Frau des Augenarztes, die ihre Blindheit nur vortäuscht, ein Rettungsanker, eine stabile Größe, die einen Funken Hoffnung schenkt, als Sehende in einer demoralisierten Gesellschaft. 

Regisseur Dominik Günther schont sein Publikum nicht. Die echauffierte Inszenierung strengt an. Alles ist aggressiv: die Sprache, das Handeln, die harte Musik – eine brachiale, ja brutale Regiearbeit. Das Ensemble dokumentiert eindrucksvoll die Hilflosigkeit der Blindheit und projiziert in der Kakophonie, im Spiel von Licht und Musik das Erschütternde, was es bedeutet, wenn eine Gesellschaft in einer Pandemie jede Maske der Mitmenschlichkeit fallen lässt, gegen alle Regeln der Humanität verstößt. Das fordert die Sinne der Zuschauer. Im Gestampfe, Gehopse, Geklapper des archaischen Spiels auf der Bühne interpretiert Günther den visionären, klaustrophobischen Roman von Saramago in einer eindrücklichen Tiefe und Schärfe, welche die Schauspieler mit ihrem Agieren plakativ ausloten. Die Angst, die Hoffnungslosigkeit sind spür- und greifbar – übersetzt in charakteristische Körperlichkeit der Protagonisten. Und die Bezüge zur aktuellen Lage sind offensichtlich, wenn das Fazit lautet, dass die Regierung überfordert ist und ihre Strategie ständig ändert. Alle sind mit Blindheit geschlagen und damit ihrer Einfühlsamkeit entleert, denn „die Augen sind der einzige Ort des Körpers, wo sich vielleicht noch die Seele befindet“.  Bei aller tragödischen Schwere versteht es der Regisseur, einen gewissen leisen Witz einzustreuen. Die Szenen sind stark, die Sprache mitunter derb und gewalttätig. Die Würde kommt unter die Räder. 

Der starke Beifall des Publikums am Schluss zeigt, dass die LTT-Inszenierung einen Nerv getroffen hat.


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Reutlinger General-Anzeiger, 2. Oktober 2021

Zerrbilder auf einer Leinwand

(von Thomas Morawitzky)

Das LTT zeigt »Die Stadt der Blinden« nach dem Roman von Literaturnobelpreisträger José Saramago

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Schwäbisches Tagblatt, 2. Oktober 2021

Oh Mensch, du sehender Blinder

(von Peter Ertle)

Der Saisonauftakt „Die Stadt der Blinden“ am LTT geht trotz Pandemie-Aktualität gründlich schief. Ein Verriss.

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