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Schauspiel von Heinrich von Kleist · 15+
Reutlinger General-Anzeiger (GEA), 1. Dezember 2025
(von Thomas Morawitzky)
Heinrich von Kleists Lustspiel »Der zerbrochne Krug« wird am LTT zum Drama über abgründige Doppelmoral
Dörflicher, gemütlicher, geselliger könnte der Saal, in dem hier zu Gericht gesessen wird, gar nicht sein. An der Wand lehnt eine Leiter, daneben hängt ein Kranz und ein Kalender, eine Waschmaschine wird hereingeschoben. Die Tür ist in verblichenen Holzfarben ausgemalt, über ihr stehen Pokale, in der Mitte des Raums steht ein geräumiger Tisch.
Eine Reinigungskraft im Batiklook geht umher und putzt. Der Schreiber Licht radelt mit Signalweste am Fenster vorbei, zur Tür herein und einmal um den Tisch. Der Richter Adam indes, arg mitgenommen von der letzten Nacht, bringt sich erst noch in Form. Zuerst sitzt er da im Unterhemd, dann schlüpft er in die Robe und gewinnt damit an Autorität. Nur die Perücke fehlt ihm. Sie wird ihn später überführen.
Huisum, das fiktive Dorf, in dem Heinrich von Kleist sein Drama »Der zerbrochne Krug« spielen lässt, liegt in der niederländischen Provinz. In Alexander Maruschs Inszenierung fürs LTT könnte es ebenso bei Tübingen sein. Cornelia Stephan gestaltete eine Bühne, die überaus vertraut wirkt.
»Der zerbrochne Krug« ist eines der meistgespielten Stücke auf deutschen Bühnen nach wie vor, Sternchenthema, Klassiker – eine Komödie, ein leichter, aber doppelbödiger Stoff. Alexander Marusch hält sich eng an den Text, treibt dem Stück aber mit einem perfekt besetzten Ensemble und mit zurückhaltendem Einsatz von Licht und Klang jede Heiterkeit aus. Plötzlich erklingt leise bedrohliche Musik von Marco Nola, plötzlich scheint die Szene unmerklich düsterer, rückt das Geschehen in die Ferne.
Die Dorfgesellschaft hat sich zurückgezogen an einen Tisch in der Nische. Dort gibt es Brot und roten Wein, dort zieht der Richter Adam die Frau Marthe Rull an sich und küsst sie, brüllt jedes Mal, wenn die Gläser klirren, lauthals »Prostata!« Eve Rull, die Tochter, sitzt derweil weit vorne am Bühnenrand und blickt stumm und voller Ekel vor sich hin.
Marthe Rull kam zum Gericht, um anzuzeigen, dass ihr ein Krug zerbrochen wurde. Beschuldigt wird Ruprecht Tümpel, Sohn eines Bauern, Verlobter von Eve. Tatsächlich war es der Richter Adam, der den Krug zerbrach. Er log Eve vor, Ruprecht solle zum Militär eingezogen werden, versprach ihr, ihm ein Attest zu beschaffen, und schlich sich in der Nacht in ihre Kammer. Die Schrammen, die er sich zuzog bei seiner überstürzten Flucht, sind weithin sichtbar. Der Richter, der sich selbst anklagen sollte, die Schuld aber einem anderen zuschiebt, behauptet frech, er sei am Morgen über die eigenen Füße gestolpert.
»Der zerbrochene Krug« wird oft als ein schlichter Schwank gespielt. Dabei – und dies bringt die Tübinger Inszenierung geschickt zur Geltung – erzählte Kleist vor mehr als 200 Jahren unter dem Deckmantel eines Lustspiels von Machtmissbrauch und sexuellem Übergriff. Martin Bringmann lässt in der Rolle des Dorfrichters Wendigkeit in Verschlagenheit, Jovialität in Dominanz kippen, erschafft eine Figur von erschreckender Doppelgesichtigkeit.
Sarah Liebert als Eve mit ihrer stillen, verletzlichen Betroffenheit bildet das Gegengewicht zu dieser selbstbewusst angesoffenen Männlichkeit, zeigt die Tochter stumm gequält, während der Richter, der ihr eben noch nachstellte, drüben am Tisch schon die Mutter an sich zieht und ihr den Rock hochschiebt.
Leo Kramer gibt Ruprecht, ihren Verlobten, sehr überzeugend als robusten Dorfburschen mit Vokuhila-Frisur. Friederike Pöschel ist mit aufmerksamer Skepsis die Gerichtsrätin Walter, Sabine Weithöner die klagende Frau Marthe Rull, die mit dem Richter gerne trinkt und seine Avancen erwidert. Emma Stratmann ist die Frau Brigitte, eigentlich Zeugin, Nachbarin und Tante, hier auch die Haushälterin und Putzfrau. Und Rolf Kindermann kurvt als Schreiber Licht vorbei und setzt sich an die Schreibmaschine.
Viele der komischen Momente, die sich bei Kleist finden, bringen auch im LTT das Publikum zum Schmunzeln – und doch setzt die Inszenierung ihren Schwerpunkt anders, kehrt immer wieder Dunkelheit ein in die Amtsstube, zuletzt auch drückende Stille, während der rote LED-Schriftzug überm Jahreskalender einlädt – zum »Kaffeekranz«.
Schwäbisches Tagblatt, 1. Dezember 2025
(von Von Peter Ertle)
Dorftrottelszenerie mit Dramaschluss, etwas unausgewogen, aber mit ein paar schönen Szenen und Entscheidungen:„Der zerbrochne Krug“ am LTT.
Die besten Szenen dieser Inszenierung sind die, in denen nichts gesagt wird. Es ist dies vielleicht kein schmeichelhaftes Urteil über eine Produktion. Zumal das Stück vor einigen Jahren am Lindenhof mit einem schwer überbietbaren Bernhard Hurm in der Hauptrolle reüssierte.
Wobei, um das gleich anzumerken: Dieser Adam – und an dem hängt beim Krug immer viel – ist auch nicht schlecht. Man kann sich im LTT-Ensemble außer Martin Bringmann und Gilbert Mieroph auch niemanden vorstellen, der ihn spielen könnte. Hier nun wird man auf Bringmanns Adam erst fünf bis zehn Minuten nach Stückbeginn aufmerksam, als sich unter irgendwelchen Decken und Müll etwas regt. Vorher gehörte die Szenerie Schreiber Licht (Rolf Kindermann), der ein paar Hu-hu-hus vor sich hin trällert. Sympathy for the devil? Beelzebub wird später auch mal tatverdächtig.
Noch ein bisschen vorher, also ganz zu Beginn, gehört die Bühne der subalternsten aller Rollen, Brigitte (Emma Stratmann), die hier als Reinigungskraft sauber macht. Mit ihr beginnt es, mit ihr wird es aufhören, und das ist programmatisch. Frau und unterste soziale Schicht: eine Nochmalverstärkung des Regieansatzes, der die Schwächste, Gedemütigtste der Figuren ins Zentrum rückt: Eve.
Dieser Ansatz, der sehenswert verkörperte Dorfrichter, das Schweigen: Schon mal drei Pluspunkte der Aufführung. Zum Schweigen: Regisseur Alexander Marusch baut es ein paar Mal ein, fast als hätte jemand einen Text-Hänger. Da versteht jemand nicht, muss jemand Ausflüchte suchen, haben wir Zeit nachzudenken, was das bedeutet. Kurz: Da passiert was, gerade weil nichts passiert. Das längste Schweigen dann eingebaut in Eves Schlussmonolog, der sogenannte Variantschluss.
Kleist fügte ihn der Druckfassung hinzu, nachdem Regisseur Goethe das Stück aufgeführt hatte, eine Premiere, die beim Publikum durchfiel, das für solch sprachfixierte, nicht idealistisch überhöhte Stücke (noch) keine Ader hatte, genauso wenig wie Goethe, der mit all den jungen Romantikern oder schwer einzuordnenden Systemsprengern, genialischen Problemkindern und Neuerern nichts anfangen konnte, hießen sie nun Lenz, Hölderlin oder Kleist. Von Regisseur Goethe zu Regisseur Alexander Marusch: Der sucht das Pendant zum Dorfrichterhaus in einem ländlichen Mehrzweckraum, wo tags zuvor noch der FC Tübis seine Pokalfeier abgehalten hat und Menschen mit Vokuhila und anderem Provinzdesign ihr Leben fristen (Bühne, Kostüme: Cornelia Stephan). Nett. Nur liegt die Gerichtshoheit heute halt nicht mehr im Dorf.
Aber geschenkt, wir spielen mit. Auch als die übergeordnete Frau Kontrolletti zu Besuch kommt, um die Dorfbehörde zu überprüfen. Gerichtsrat Walter, hier Gerichtsrätin (Friederike Pöschel), ist schon mal großstädtischer angezogen und hat auch feinere Manieren als das übrige Dorfkomödienpersonal. Freilich, eine Burleske ist es schon bei Kleist und sie wird hier durchaus bedient – man hätte das aber gerne noch saftiger ausspielen dürfen, gekoppelt mit einem Gegengewicht an Schrecken, Verstörung, Diabolik. Fehlt weitgehend, das Stück bleibt zu flach, eine gute Dorf- oder Schultheateraufführung mit den Standardtypen einer derben, immergeilen Frau Marthe (Sabine Weithöner), einem „Hannes und der Bürgermeister“-ähnlichen Duo aus Schreiber und Dorfrichter, einer Tochter Eve (Sarah Liebert), die von Beginn an den einen stoischen Ton des traumatisierten, armen Fassmichnichtan-Dings spielt, neben ihr der immer eine Ton des Daswarichnicht-Ruprecht.
Von ein paar Lichtstimmungen, dem erwähnten Schweigen, ein paar zarten akustischen Atmosphären und ein paar Sekunden eines Facetoface zwischen Dorfrichter und Eve abgesehen ist da wenig, was unter die Haut geht. Zu wenig für den Abschlussmonolog Eves, der dann – Spot on Eve, alle anderen Figuren stehen wie eingefroren da – zum Stückessenz-Pathos wird. Ohne es herbeizuzitieren, sind in diesem Moment Metoo, Weinstein, Epstein präsent. Das wurde durch die vorhergehende Dorftrottelei nicht so recht vorbereitet.
Dabei, was für ein Schluss! Man darf ihn, für sich genommen, den gelungenen Szenen der Inszenierung hinzufügen. Und, ach: Frau Marthe, die mit ihrem kaputten Krug letztlich die verlorene Jungfräulichkeit ihrer Tochter juristisch beklagte, will angeblich vors nächsthöchste Gericht ziehen, ein Vorwand, sich vom Acker zu machen, nachdem ein ihr nicht genehmer Täter entlarvt wurde. Auch die Gerichtsrätin verlässt den Ort des Grauens ohne Ankündigung weiterer Konsequenz, wir ahnen: Der Dorfrichter, der – die Zuschauer wissen es von Anfang an – auch der Schuldige ist, wird ungeschoren davon kommen. Er muss nicht mal eine Spende an den Verein „Frauen helfen Frauen“ zahlen.
Bleibt die Frage, warum Kleist das Thema männlicher Übergriffigkeit vulgo Vergewaltigung so beschäftigte, dass er es hier und in der Marquise von O... thematisierte. Die andere Frage, nämlich warum das LTT das Stück auf den Spielplan nahm, lässt sich leichter beantworten: Es ist wieder mal Sternchenthema.
Cul-Tu-Re.de (online), 30. April 2002
(von Martin Bernklau)
Am Tübinger LTT hatte am Freitag „Der zerbrochne Krug“ nach Heinrich von Kleist seine Premiere
Fast nichts Neues unter der Sonne. Übergriffige Männer in Machtpositionen hat sich Heinrich von Kleist schon anno 1811 vorgenommen – ohne Empörung allerdings, sondern als Lustspiel. „Der zerbrochne Krug“ hatte am Freitagabend seine ganz gut besuchte Premiere im Großen Saal des Tübinger LTT. Gastregisseur Alexander Marusch hat die Posse um den Dorfrichter Adam trotz traditionellen Ansatzes noch ein bisschen zur Comedy zugespitzt. Das Stück ist immer noch Schulstoff und Abi-Thema. Ganz zu Recht. Man sah das am Publikum bei der Premiere.
Wer jetzt zwecks Aktualisierung eines dieser elegant abstrakten LTT-Bühnenbilder erwartet hatte, sah sich enttäuscht: Cornelia Stephan zeigte ein leicht verjüngtes Zimmer mit ziemlich viel Müll. Im Mehrzweckraum hatte eine Pokalfeier der Sportler stattgefunden. Es wird durchgewischt, gewaschen und aufgeräumt, dann wird per Leuchtschrift zum Gerichtssaal umgewidmet. Brigitte (Emma Stratmann) kann das. Dass der Dorfrichter Adam (Martin Bringmann) mit seinen blutigen Blessuren am Kopf in der Ecke noch seinen Rausch ausschläft, klärt sich bald.
Der Schreiber Licht (Rolf Kindermann), so ehrgeizig wie eilfertig bis zur Unterwerfung, ist mit dem Rad zur Arbeit gekommen, brav behelmt und mit Warnweste. Als er seinen lädierten Dienstherrn anzureden beginnt, ist schnell zu hören, dass hier das inzwischen etwas gravitätisch klingende Deutsch von damals gesprochen wird. Das Ohr gewöhnt sich flott dran. Und dass die ganze Komödie in fünfhebigen Blankvers-Jamben durchrhythmisiert ist, fällt auch nicht weiter auf. Das setzt allerdings echte Schauspielkunst voraus, soll diese Strenge nicht steif und nach Schülertheater klingen.
Noch ein paar andere Updates leistet sich die Inszenierung. Der Gerichtsrat Walter, der da zufällig zum Supervising in die Provinz kommt und in den Prozess hereinschneit, ist Gerichtsrätin. Friederike Pöschel spielt die gestrenge Dame. Der Krug, um den es geht, ist ein Familienstück von ideellem Wert. Die robuste – und auch mal anmachehalber kräftig zupackende – Frau Marthe Rull (Sabine Weithöner) verdächtigt ihren designierten Schwiegersohn Ruprecht Tümpel, den Leo Kramer als einen gutwilligen Vokuhila-Jüngling gibt, der bald in den Krieg geschickt werden soll, diesen Krug im Zimmer seiner Verlobten Eve (Sarah Liebert) zerdeppert zu haben.
Aber die Sachlage ist anders. Kleist weiht seine Zuschauer von Beginn an ein. Damit wird der Fall vom possierlichen Kleinkrimi zur Studie. Nicht wer ist die spannende Frage, sondern wie. Wie windet er sich heraus, der Metoo-Macho? Aber nicht nur beim Dorfrichter ist echte Charakterdarstellung gefragt, sondern auch bei den anderen Figuren. Die Story hat Kleist so klug und clever konstruiert, dass alle Beteiligten ihre fragwürdige Rolle haben und ihre eigenen Konflikte mit sich herumschleppen. Der Witz übrigens, den die Regie mit feinen und gröberen Methoden bis hin zu Slapstick und Blödelei herauskitzelt, liegt schon im Text – nicht nur als Wortwitz, sondern als echte Komik.
Und Kleist, der dramatische Titan im langen Schatten der Klassiker, bietet seinen Interpreten vorab noch mehr an. Er bettet die Monologe und Dialoge situativ ein. Da wird eben nicht einfach nur erzählt – ein Problem der vielen Adaptionen von nicht-dramatischen Texten (und von schlechten Dramen) für die Bühne auf dem aktuellen Theater. Es wird nicht nur berichtet und referiert, sondern Klage erhoben, händeringend verteidigt, eine Zeugenaussage gemacht oder ein Geständnis abgelegt. Das erlaubt Blickwechsel, Einwürfe, Handlung, Szene.
Aber es kommt immer noch drauf an, was man draus macht. So kurz und kompakt Alexander Marusch und Dramaturgin Christine Richter-Nilsson das Stück auf gute anderthalb Stunden komprimiert und konzentriert haben (der Bauer Tümpel etwa, Ruprechts Vater, fiel ganz weg): Es erlaubt sich lange, ganz geduldige Pausen. Und dass sogar in dieses reglose Innehalten hinein gegluckst wird auf den Rängen, auch das zeigt: Die Sache ist geglückt.
Der verkaterte Dorfrichter steht bedröppelt und doof in seinen Unterhosen da, weiß, Marke Feinripp. Mit der puren Comedy, also dem – natürlich völlig legitimen – platten bis plumpen Holzhammer-Humor, hatte Martin Bringmann anfangs viel mehr Mühe als mit der komödiantischen Feinzeichnung und Tiefenschärfe, in die er schnell hineinwuchs. Auch Friederike Pöschel musste sich sehr anstrengen. Aus dem männlichen Charakter der Vorlage einen weiblichen zu machen, ist einfach mal ein schauspielerisches Problem an sich. Oder, neudeutsch, eine Herausforderung. Und dann soll die Gerichtsrätin noch stimmig und facettenreich werden, eben mehr als nur ein Typus. Es dauerte, es gab kleine Rückfälle ins Unsichere, aber es gelang ihr doch.
Andere Aufgaben stellten die Nebenrollen der jungen Leute. Als Tochter Eve muss Sarah Liebert ein Frauenbild verkörpern, das es eigentlich gar nicht mehr gibt: die Liebende, Dienende, sich Aufopfernde, die in ihrer jungfräulichen Reinheit und Ehre Angegriffene, für den Geliebten sogar zum Meineid bereit. Auch dem Part des Schwiegersohns Ruprecht aus Kleists Vorlage muss mittlerweile Manches geopfert werden, weil es als „toxische Männlichkeit“ in Verruf geraten ist: umwerben, erobern, beschützen, erst recht Besitz und Eifersucht (er hat die Verlobte zu Unrecht als „Metze“, also Hure beschimpft und muss sich entschuldigen). Vom Soldatischen und allem Heldenhaften nicht zu reden. Da bleibt nicht mehr viel übrig, schlimmstenfalls nur noch die Funktion im Plot. Daran gemessen holte Leo Kramer doch noch viel aus der ihm zugewiesenen Rolle als Beklagter und Opfer heraus und gab ihr Kontur.
Absolut großartig, zumal auch in ihrer Sprachkunst, traten Sabine Weithöner als Mutter Marthe Rull und Emma Stratmann in der vermeintlich so unscheinbaren Rolle der dienstbaren Brigitte auf die Bühne, in Kleists Text ursprünglich die hilfreiche Tante, hier die Magd und einzig verbliebene von den Bediensteten. Vom schweigend schaffigen Mädchen für Alles bis zum hochdramatischen Auftritt als entscheidende Zeugin zeigt Emma Stratmann von den Figuren vielleicht die meisten, die weitesten Facetten. Und nicht nur ihre Stimme hatte Kraft und Intensität.
Der resoluten Witwe und Hebamme Marthe hat Regisseur Alexander Marusch noch einen ganz besonderen Touch gegeben. Sie geht auch, mit einem Schlag ins Vulgäre, ganz forsch ran an die Männer, in diesem Fall, beim Umtrunk in der Verhandlungspause, an den kläglichen Dorfrichter Adam. Diese künstlerische Freiheit war bei Sabine Weithöner in den besten Händen. Da war alle denkbare weibliche Power versammelt. Sie verdichtete ihre Marthe-Figur mit einer elektrisierenden Präsenz so, dass deren Gewicht weit über das hinausging, was Kleist der zornigen Klägerin zugemessen hatte. Und die Sprachbildung, die Stimmstärke und Vielfalt in der Artikulation: phänomenal! Auf einem imaginären Siegertreppchen standen ganz klar diese beiden Frauen, den Titeldarsteller Martin Bringmann an der Seite. Das von der situativen Komik immer wieder verzückte Publikum bejubelte die Darsteller und das Team lang.
