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Von Nikolai Gogol · Deutsch von Ulrike Zemme · 14+
Schwarzwälder Bote, 6. Dezember 2023
Die Regie brennt ein Feuerwerk der Einfälle ab
(von Christoph Holbein)
Es ist eine grellbunte Inszenierung, welche die Zuschauer bei der Premiere des Stücks „Der Revisor“ von Nikolai Gogol im Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen erleben. Die Verwechslungskomödie kommt flott-frisch daher und nimmt das Publikum mit auf die turbulente Reise.
Wenn jemand vor diesem Theaterabend am LTT die Befürchtung gehabt hatte, ein so klassisches, ja vielleicht sogar antiquiertes Werk wie Gogols „Revisor“ könne ja nur todlangweilig über die Bühne gehen, der sah sich nach rund zwei Stunden ohne Pause positiv enttäuscht. Die rasante und streckenweise aberwitzige Inszenierung von Regisseur Gregor Turecek schöpft aus dem Vollen der theatralisch-komödiantischen Möglichkeiten und darf dabei auf die enthusiastische Spielfreude des gesamten Ensembles bauen, das mit großer Intensität sein Bestes gibt.
Skurriles und groteskes Spiel mit tollen Einlagen sorgt für einen unterhaltsamen Theaterabend
Großen Anteil am Gelingen der Premiere haben das opulente Bühnenbild und die nicht minder fantasievoll-pointierten Kostüme, wofür Juliette Collas mit ihrer schier unerschöpflichen Kreativität verantwortlich ist. Da eröffnen sich in der Schwimmbad-Atmosphäre mit Becken-Nostalgie zahlreiche Varianten der Auf- und Abgänge und entstehen, wird der Duschvorhang zur Seite geschoben, dahinter immer neue Welten – mal eine Telefonzelle, mal eine Toilette, mal ein Aufzug.
In diesem Ambiente entwickelt sich ein flottes Spiel mit Slapstick-Einlagen, wenn sich die Protagonisten im Netz aus Obrigkeitshörigkeit, Schlitzohrigkeit, Faulheit, Schein und Sein verheddern. Das ist skurril und grotesk, ein bisschen comicartig und gespickt mit Klamauk. Super gemacht in hoher Professionalität sind die immer wieder eingespielten Videosequenzen von Julia Novacek, die mit ihrem Ideenreichtum fast schon cineastisch glänzen, absoluten Humor beweisen und voller Musikalität stecken. Die Schauspieler untermalen ihre Figuren mit ausladenden Gesten, mit Grimassen und Albernheiten, mit circensischen Einlagen und Gags. Regisseur Turecek hat ihnen mit vielen Details und starken Einfällen enormes Tempo, viel Bewegung und noch mehr Drive auferlegt. Das Ensemble würzt das mit aussagekräftiger Mimik und spielt die originellen Vorgaben genüsslich aus. Bereichert mit aktuellen Bezügen und Anspielungen mausert sich die Inszenierung zu einem amüsanten und rasanten Erlebnis.
Da offeriert der Regisseur auch manche überraschende Pointe, komponiert alles sehr schön und gruppiert es fein auf der Bühne. Das ist auf die Spitze getrieben, aber nicht albern überzogen, wenn das Schlaflied „Guten Abend, gute Nacht“ mit Blockflöte, Gitarre und Gesang erklingt, wenn es gruselig wird im Funzeln der Taschenlampen, wenn die Geschäftsleute, die im Hintergrund auf ihren Teil des Kuchens lauern, als Zombies über die Bühne wanken. Turecek schreckt dabei auch nicht vor Nacktheit zurück und plakativer Erotik in der Badewanne.
Im Regen der Geldscheine entwickelt sich ein Feuerwerk der Einfälle, ein Theaterabend pur, der elektrisiert und in seiner Dynamik das Publikum mitnimmt bis zum kuriosen Ende der sich überschlagenden Ereignisse, wenn alles auffliegt und im witzigen Tohuwabohu mündet.
Reutlinger General-Anzeiger, 4. Dezember 2023
Zombies im Freizeitclub: Gogols »Der Revisor« am LTT in Tübingen
(von Thomas Morawitzky)
Das LTT verwandelt Gogols Satire »Der Revisor« in eine überschäumende Kleinstadtfarce mit bitterem Unterton. Warum das nicht nur schrill, sondern auch sehr aktuell ist.
Diese Kleinstadt war möglicherweise ein Narrenhaus, schon ehe der Revisor kam. Wobei der Revisor ja eigentlich gar keiner ist, sondern nur für einen gehalten wird. Der falsche Revisor wird seinem Freund in der Stadt davon erzählen, wie es war in der Kleinstadt. Und dieser Freund, ein Schriftsteller, wird das Berichtete verarbeiten. Weshalb das LTT nun eine reichlich schrille Provinzposse im Programm hat. Nikolai Gogols »Der Revisor« ist nach wie vor ein oft gespieltes Stück, eine bösartige Satire, zeitlos zudem: Nur ab und an ein Wort musste das LTT streichen, so Dramaturgin Christine Richter-Nilsson, um einen Gegenwartsbezug zu schaffen, um etwa aus »Häftlingen« »Asylbewerber« werden zu lassen.
Das Gerücht vom Revisor, der inkognito kommt, eilt ihm voraus; Iwan Alexandrowitsch Chlestakow, ein liederlicher junger Mann aus reichem Hause, wird für ihn gehalten. Eben noch sitzt er, gespielt von Stephan Weber, pleite im Gasthaus, schon biedert sich die verkommene Kleinstadtgesellschaft ihm an. Er weiß erst nicht, wie ihm geschieht, begreift dann aber doch sehr schnell.
Gregor Turecek setzt bei seiner Inszenierung immer wieder auf Videos, verwandelt den Revisor so in eine trashige Klamotte. Ein Vorspann präsentiert die Schauspieler und ihre Rollen, lässt Chlestakow mit seinem Diener Ossip als Sozius per Zweirad anreisen, ein eitles Duo. Ossip (Andreas Guglielmetti) im dunklen Anzug scheint fortan der einzig Seriöse zu sein. Chlestakow selbst im kanariengelben Anzug mit ebensolcher Brille und steiler Frisur erlaubt sich alles.
Gilbert Mieroph ist Stadthauptmann Anton Antonowitsch, stets in kurzen Hosen, mit Stirnband, T-Shirt, Bart, teils grünen Taucherflossen. Juliette Collas schuf Kostüme und Bühnenbild, hat die Kleinstadtblase in einen schrägen Leisure-Club verwandelt, die Schauspieler in seltsam nostalgische Sportmode gepackt, mit Tennissocken in Rot-Weiß, schmutzig-gelben Gummistiefeln, kurzen Röcken, Polohemden. Jennifer Kornprobst als Antonowitschs Gattin trägt schimmernde Perücke und gelben Kunstpelz; Emma Schoeppe als Krankenhausdirektorin steckt im blauen Sportanzug mit Rüschen. Justin Hibbeler und Jonas Hellenkempner spielen zwei Figuren mit Badekappe, die sich den Rang ablaufen möchten.
Rosalba Salomon ist Antonowitschs Tochter, mit der sich der vermeintliche Revisor vermählen möchte, ehe er überstürzt abreisen muss – aus einem Brief, den die neugierige Postbeamtin öffnet, erfahren alle zuletzt die Wahrheit: »Ich bin drauf und dran, sowohl die Tochter als auch die Gattin des Stadthauptmanns aufs Kreuz zu legen. Ich kann mich nur nicht entscheiden, welche ich zuerst vernaschen soll, aber ich glaube, ich mach es zuerst mit seiner Frau, die ist für jede Schweinerei zu haben!«
Emma Schoeppe und Rolf Kindermann spielen jeweils mehrere Rollen, sind Krankenhausdirektorin, Postmeisterin, Schulinspektor, Kellner Polizist. Chlestakow räkelt sich lasziv in einer Badewanne, nimmt von jedermann dicke Geldbündel entgegen. Figuren verstecken sich in gekachelten Duschkabinen, recken Köpfe aus Bodenklappen, schreien sich über Brüstungen an. Irgendwann treten die Zombies auf: Ominöse Geschäftsleute mit Golfschläger machen sich an den Revisor heran.
Unverkennbar ist die Kleinstadt auf dem Lande bei Sankt Petersburg im LTT ein Gehege voller Knallchargen. Dem Ensemble bereitet diese Clownerie das allergrößte Vergnügen. Gogols Text in aktualisierter Form ist bitter genug. Emma Schoeppe kämpft sich kreischend aus ihrer Postbotinnen-Uniform, über Gilbert Mierophs Gesicht rauschen Wutanfälle, und Rolf Kindermann tritt als existenzialistischer Kellner auf, ruft, nur mit Schürze und Baskenmütze bekleidet: »Nichts gibt es sonst, nichts!«
Schwäbisches Tagblatt, 4. Dezember 2023
Fake News und eine Gesellschaft am Abgrund
(von Moritz Siebert)
Es geht um falsche Nachrichten, Korruption und Hochstapelei: Nikolai Gogols „Der Revisor“ passt ziemlich gut in unsere Zeit. Das LTT macht eine hyperaktive Slapstick-Show daraus.
Wo sind wir hier eigentlich gelandet? Badeanstalt, Irrenhaus, Turnhalle – oder ist es doch ein sinkendes Kreuzfahrtschiff? Von allem ein bisschen vermutlich. Sicher ist, in dieser Welt scheint jeder jeden jederzeit beobachten zu können, dieser Ort ist geradezu zum Beobachten angelegt: Der Duschvorhang reicht nur für eine Kabine, Rundfenster geben von hinten gute und geschützte Sicht auf das Geschehen – und vom Balkon aus überschaut man sowieso die ganze Szenerie.
Das LTT inszeniert Nikolai Gogols Verwechslungskomödie „Der Revisor“ aus dem Jahr 1836. Angesiedelt hat Gogol das Stück in der russischen Provinz, in einem kleinen Städtchen mit stereotypen, ziemlich naiven und einfältigen Figuren. Als das Gerücht in diese Welt kommt, ein Revisor komme inkognito in die Stadt, um nach dem Rechten zu schauen, gerät alles durcheinander, weil, ist ja klar, hier hat jeder Dreck am Stecken.
Regisseur Gregor Turecek jagt in seiner LTT-Inszenierung die Dorfbewohner als völlig alberne Figuren über die Bühne, im Grunde parodiert er Konstellationen, Beziehungen und Charaktere, die bereits Parodien sind – und lässt kaum Gelegenheiten aus, Slapstick-Elemente und Klamauk einzubauen. Die Dorfbewohner Bob- tschinskij (Justin Hibbeler) und Dobtschinskij (Jonas Hellenkemper) tragen lächerliche Kostüme, stoßen sich die Nase, einer hat falsche Zähne. Der Schulinspektor (Rolf Kindermann) trägt eine Brille mit flaschenbodendicken Gläsern, Stadthauptmann Antonowitsch (Gilbert Mieroph) stolpern in Flossen über die Bühne, Postfrau und Krankenhausdirektorin agieren maximal hysterisch. Es herrscht eine permanente Überdrehtheit, die zu verfolgen streckenweise einfach nur anstrengend ist.
Die verblödete Gesellschaft verfällt nun kollektiv dem Irrglauben, beim mondän gekleideten Chlestakow (Stephan Weber), gelber Anzug, weiße Sneaker und schicke Frisur, handle es sich um den Revisor. Alle Figuren schleimen sich bei ihm ein, sie schmieren ihn, stecken ihm Scheine zu, baden ihn am Ende sogar nackt im Geld. Der falsche Revisor spielt mit, für ihn muss es sich wie die große Wendung seines Schicksals anfühlen. In Wirklichkeit ist Chlestakow ein einfacher Beamter auf der Durchreise, der völlig abgebrannt in die diese Kleinstadt kommt und nicht einmal seine Rechnung im Gasthaus bezahlen kann. Er nutzt die Freigiebigkeit der in Panik verfallenen Leute hemmungslos aus.
Atempausen bieten projizierte Videos (Julia Novacek), die die Figuren einführen, Chlestakow und sein Diener Ossip (Andreas Guglielmetti) sind da in kitschiger Musikvideo-Ästhetik in vertrauter Bromance auf ihrem Roadtrip mit Motorrad zu sehen. Die Frau des Stadthauptmanns (Jennifer Kornprobst) taucht als Influencerin auf, wie sie einen neuen Föhn präsentiert und ihre Tochter (Rosalba Salomon) stylt. Etwas Selbstironie, die ein angenehmes Gegengewicht ist zum sonst recht flachen Humor.
Die Bühne (Bühne und Kostüme: Juliette Collas), die ein bisschen einem Wes-Anderson-Film entlehnt wirkt, ist mit ihrer wenig Vertrauen erweckenden Cleanheit, ihrer Symmetrie und Farbe (rosa) ein Kontrast zum Chaos und der Überdrehtheit der Gesellschaft. Das Bild der Badeanstalt, das am prägnantesten ist, zeigt auf, je nach Perspektive und Interpretation, ob wir uns noch knapp über der Wasseroberfläche oder schon kurz vor dem Ertrinken befinden. Und sie zeigt die Figuren eben gläsern, unter Dauerbeobachtung ohne Privatsphäre – was tatsächlich nicht allen etwas auszumachen scheint.
Wer den Humor des Stücks mag, wird große Freude an den schauspielerischen Leistungen des Ensembles haben: Für Gilbert Mieroph ist der Stadthauptmann eine Paraderolle. Das trifft auch auf Gegenspieler Stephan Weber als Chlestakow zu. Jennifer Kornprobst spielt die Ehefrau und Mutter als eine Figur, die zwischen Selbstdarstellung, Manie und purer Naivität pendelt, Rosalba Salomon gibt deren ziemlich abgeklärte Tochter, die in dieser Welt noch am ehesten den Überblick behält. Dazu kommen die Mehrfachrollen: Rolf Kindermann spielt Schulinspektor und Polizist so trottelig, wie man sich es nur vorstellen kann, dafür einen ziemlich coolen Kellner mit österreichischem Dialekt. Emma Schoepe wechselt zwischen einer opportunistischen Krankenhausdirektorin und einer ziemlich nervigen Postmeisterin, für die es normal ist, Briefe zu öffnen. Und so fliegt am Ende das Verwechselspiel auch auf.
Dass der Stoff gut in unsere Zeit passt, darauf spielt Regisseur Turecek an, etwa mit der Inszenierung von Antonowitschs Frau als Influencerin oder mit Geschäftsleuten, die das Stadtoberhaupt als korrupt denunzieren und es als Zombies bis auf den Golfplatz verfolgen. Wenn es aber darum geht, den Spiegel auf unsere Gesellschaft zu richtet hinsichtlich der Frage nach Falschmeldungen, bleibt die Inszenierung unbefriedigend. Die Figuren stecken in ihrer aufgesetzten Welt fest, sie verlieren die Beziehung zur Realität komplett, am Ende wird ihnen die Verwechslung bewusst: Träume zerplatzen, die Blamage ist perfekt. Die gesellschaftliche Tragweite von Fake News in einer realen Welt ist da leider wenig thematisiert.
Unterm Strich
Das LTT zeigt Nikolai Gogols Verwechslungskomödie „Der Revisor“ sehr schrill und überladen mit Klamauk und Slapstick. Wer diesen Humor mag, hat großen Spaß an den schauspielerischen Leistungen des Ensembles.
cul-tu-re.de, 2. Dezember 2023
Gogol im LTT – Kritik und Klamauk
(von Martin Bernklau)
Das Tübinger Landestheater schärft die satirische Komödie aus russischer Zarenzeit mit viel Aktuellem und viel Multimedia an
Gogols „Revisor“ ist an sich schon ein starkes Stück, von der satirischen Anlage über groteske Situationskomik bis hin zum Wortwitz. Ein echter Klassiker, inzwischen fast 200 Jahre alt – was sich auch daran zeigt, wie leichthändig es der LTT-Inszenierung von Gregor Turecek gelingt, das zeitkritische Potenzial aus der Zarenepoche, die von Korruption, Untertanengeist und Verblödung gekennzeichnet ist, voll auszuschöpfen. Wobei sie tolle Ideen, aber nicht immer ein ganz glückliches Händchen hat.
Die Hochstapler-Geschichte von Nikolaj Gogol um den falschen Revisor, einen Regierungs-Kontrolleur, den ein gutgläubiges, abgrundtief bestechliches und unterwürfiges Landstädtchen-Volk geradezu in seine Rolle als Betrüger drängt, kam 1836 auf die Bühnen der Metropolen St. Petersburg und Moskau und feiert seither seine Erfolge an den Bühnen Europas, ja weltweit. Das Stadt-Land-Gefälle, im Russland Gogols und der Zaren ein ganz großes Thema, tritt in der Tübinger Version ein wenig zurück.
Es wirkt wie das Resultat eines Brainstormings, eine fixe Idee, in die man sich dann schließlich festgebissen hat: Regisseur Turecek, Dramaturgin Christine Richter-Nilsson und Ausstatterin Juliette Collas lassen alle fünf Akte der Handlung in einem Ambiente spielen, das irgendwo zwischen den klinischen Kacheln von Krankenhaus, Freibad und Wellness-Oase angesiedelt scheint. Zwei Rampen, den Übergängen zwischen Flachwasser und Schwimmerbahnen nachempfunden, schließen einen umzäunten Kernbereich ein, zwei sanitäre Funktionsräume am oberen rechten Rand, Klo und Dusche, dienen mit ihren Vorhängen einem munteren Rollenwechsel. Eine Bodenklappe rechts und ein Balkon linkerhand mit Leiter, dazu zwei zusätzliche Hintertürchen, sie alle eröffnen weitere Auf- und Abtrittsmöglichkeiten.
Keine ganz schlechte Idee zwar, sehr originell. Aber zum einen fehlt diesen Räumen zuweilen die nötige Plausibilität, etwa wenn sie die Amtsstube, das Schlafgemach oder den Speisesalon darstellen sollen; zum anderen fesseln sie die ganze Inszenierung fast wie einen Gefangenen. Immerhin lässt sich die weiße Kachelwelt durch Licht farbig verwandeln.
Zentral allerdings prangt eine Leinwandfläche über der Szenerie, auf der sich die zweite Ebene des Stücks abspielt, die multimedial Manches ausgleichen und ins Offene, auch ins Aktuelle erweitern kann. Das ist der Clou, die Pointe der Inszenierung. Hier werden als Intermezzi Videos eingespielt, die mit der Theatertruppe im echten Tübinger Freibad, auf dem Golfplatz Kressbach oder im Spiegelkabinett einer Mom-Influencerin – Jennifer Kornprobst als möchtegern-mondäne Gattin des Stadthauptmanns Anton samt Tochter Marja (Rosalba Salomon) oder mit dem Bike auf den Easy-Rider-Straßen des Landkreises – abgedreht worden sind.
Der falsche Revisor Iwan – im stylisch gelben Anzug am gedeckten Gasthaustisch oder nackt in die Badewanne steigend – wird von Stephan Weber gegeben, sein Diener Ossip von Andreas Guglielmetti, der speichelleckerisch-korrupte, aber auch befehlsgeile Stadthauptmann von Gilbert Mieroph. Das sind Hauptrollen, die durchaus auch für Vertiefung zum Charakter über den Typus hinaus taugen könnten. Solches Potenzial können sie aber nur selten ausschöpfen. weil sie sich mehr einem lauten, schnellen, bis zum Klamauk und Slapstick scharfgezeichneten Tempo unterordnen müssen, das dem Publikum ebenso Laune macht wie die Musik und die Choreografie. Klar, das hat auch was. Selbst wenn es oft in überdrehtes Gestammel, pantomimisches Gestakse, Geschrei überging – oder schlicht in Rock’n‘ Roll („Up in Town“).
Die vielen Nebenrollen in stetem Wechselspiel sind mit Emma Schoepe, Rolf Kindermann, Justin Hibbeler und Jonas Hellenkämper prima besetzt und gut gezeichnet. Die Trash-Klamotten sind vom Feinsten. Auch sonst spart die Regie nicht mit guten Ideen: die alptraumhafte Nachtszene mit Taschenlampen-Schlaglichtern, der gruselige Auftritt der Geschäftsleute-Gespenster, das Schwimmen in Bestechungs-Geldscheinen, sportive Einlagen mit Leucht-Rollschuhen, die vielen Klassiker-Zitate und Hinweise auf Lokales („Man kann auch in einem Kaff glücklich sein!“) und sogar auf die zeitgleichen Eigenproduktionen, das sprühte vor Einfallsreichtum, Ironie und Selbstironie.
Gegen Ende schwärmte die Truppe sogar ins Publikum aus, das diesen Tübinger Gogol-„Revisor“ mit langem Applaus, mit Jubel und Bravos feierte, der die ätzende Zeitkritik alter Satire im jungen, neuen Gewand und in scharfem, multimedialem Licht vorführt.