Franziska Beyer, Konrad Mutschler · Foto: Martin Sigmund
Julia Staufer, Andreas Guglielmetti, Franziska Beyer, Rolf Kindermann, Stephan Weber · Foto: Martin Sigmund
Stephan Weber, Dennis Junge · Foto: Martin Sigmund
Sabine Weithöner, Franziska Beyer, Konrad Mutschler · Foto: Martin Sigmund
Stephan Weber, Franziska Beyer, Dennis Junge · Foto: Martin Sigmund
Andreas Guglielmetti, Konrad Mutschler · Foto: Martin Sigmund
Andreas Guglielmetti, Dennis Junge, Rolf Kindermann · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Sabine Weithöner, Konrad Mutschler, Julia Staufer · Foto Martin Sigmund
Konrad Mutschler, Rolf Kindermann, Sabine Weithöner, Franziska Beyer · Foto: Martin Sigmund
Andreas Guglielmetti, Franziska Beyer, Dennis Junge, Sabine Weithöner, Konrad Mutschler · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Andreas Guglielmetti, Julia Staufer, Stephan Weber, Franziska Beyer, Dennis Junge, Sabine Weithöner, Konrad Mutschler, Rolf Kindermann · Foto: Martin Sigmund

Der gute Mensch von Sezuan

Schauspiel von Bertolt Brecht · Musik von Paul Dessau


Schwarzwälder Bote, 29. September 2020

Pointierte Aussagekraft im filigranen Fingerspiel

(von Christoph Holbein)

Die Inszenierung von Brechts »Der gute Mensch von Sezuan« überzeugt

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Schwäbisches Tagblatt, 28. September 2020

Etwas muss falsch sein in eurer Welt

(von Peter Ertle)

Theater Spielzeitauftakt am LTT: Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ als sichere Nummer in den Grenzen eines Klassikers.

Der gute Mensch von Sezuan ist eines der populärsten Stücke Brechts. Formal hat das viel mit der Doppelrolle und dem hin- und herswitchenden Versteckspiel zu tun. Inhaltlich gesehen: Dass ein guter Mensch sich nur durch Hartherzigkeit sprich Schlechtigkeit davor schützen kann, ausgenutzt zu werden, ist ein nachvollziehbarer Topos. Und ob die unbarmherzigen Regeln des Kapitalismus befolgt werden müssen, um erfolgreich zu sein, ist ein heute wieder vieldiskutiertes Thema. Wer sich nicht anpasst oder verstellt, geht unter? Ist das so? Muss das so sein? Und wie könnte es anders werden?

Tumbe GötterBei den Göttern ist die Beantwortung solcher Fragen schlecht aufgehoben, schon die Fragen sind nicht die ihren, und von Wirtschaftlichem haben sie keinen blassen Schimmer. Es reicht ihnen, alibimäßig ein einziges gutes Exemplar zu finden, um einen positiven Haken hinter das Projekt Mensch setzen zu können. In dieser Inszenierung taumeln und wackeln die göttlichen Toren (Rolf Kindermann, Dennis Junge, Andreas Guglielmetti) als tumbe Coronaraumfahrer durch die Szenerie, an der Schnittstelle zwischen Brecht und Monty Python. Der Mensch, auf den sie zuerst treffen, ist Wang, der Wasserverkäufer, ein verdrehter Batman mit großem W für Wasser und einem abgebildeten Wassertropfen auf dem Leibchen. Stefan Webers Wang möchte man immerzu knuddeln.

Sandra Fox hat für die Inszenierung ein großes Gerüst aus Eisengestängen gebaut, das zunächst mit kleinen Vorhängen versehen die Häuser und Wohnungen der Stadt abbildet. Lagerleben, Armeleutebaracken. Später wird die Anlage zur Tabakfabrik, noch später die fahrbare Regaltreppe zum Gefängnisgitter. Einfach, multifunktional.

Die Bühne grundiert das drollige Sozialmärchen mit einer gewissen Hintergrundshärte. Das zweite Märchen sprengende Hallowach stammt aus einem anderen, aber ebenso ernsthafter einbrechenden Reich: Der Musik. Was Dominik Dittrich aus den Melodien Paul Dessaus macht – und wie das überaus musikalische und im Instrumentenspiel versierte Ensemble das intoniert – gehört mit zum Besten dieser Inszenierung.

Passgenau verschnittenDie Lieder sperren sich, gleichzeitig greifen und verstören sie, während das Stück längst so handhabbar geworden ist wie die für Shen Tes Kiosk passgenau zugeschnittenen Bretter des Schreiners: Verschnitten. Dafür kriegste nicht mehr viel. Am besten im Museum moderner Klassiker aufgehoben. Wobei es ja so ist, dass die Liedtexte sprich die Lyrik Brechts auch ohne Musik seinen mitunter putzigen Dialogen weit überlegen sind.

Weil sie nur sich selbst und nirgends sonst hingehören, aber überall gut passen, schneien die Songs immer schräg, fremdvertraut und austauschbar in die Stücke – was denen guttut. Seine Kraniche aus dem berühmten Gedicht „Die Liebenden“ hätten hier aufgrund des Fliegers Yang Sun besser gepasst als in „Mahagonny“, der Elefantensong hätte in „Mahagonny“, „Mann ist Mann“ und ein paar weiteren Stücken mindestens so gut gepasst wie hier. Und was Polly in der „Dreigroschenoper“ sagt über „Wo du hingehst will auch ich hingehen“ – Shen Te hätte es genauso sagen können.

Der Flieger Yang Sun ist der bekannte, leidenschaftliche Halodri, auf den kein Verlass ist, dem aber gerade deshalb die Herzen zufliegen, eine weitere Ausgabe der Herren Peachum, Surabaya Johnny und tutti quanti . Entweder gehören sie dem Verbrechen oder der See oder dem Himmel. Oder (beim Autor selbst) der Literatur.

Konrad Mutschler gibt als Yang Sun ein starkes Debut, Julia Staufer ein ebenso gelungenes als Witwe Shin. Franziska Beyer – schön, dass sie wieder da ist! – verleiht Shen Te zu wenig Zerbrechlichkeit. Aber vielleicht ist es ja falsch, dass wir sie uns so vorstellen. Es funktioniert schon. Wie die beiden Liebesleute mit dem Seil, an dem sich Yang Sun aufknüpfen wollte, die ersten zarten Bande knüpfen, gehört zu den glücklichen Regieeinfällen Dominik Günthers. Anderes wie ein kurz anchoreographierter Formationstanz irritiert in seiner Zusammenhanglosigkeit eher. Und das sich durchziehende Winkewinkemotiv oder ein (Tatütata die Polizei ist da) auf Kasperlfigur reduzierter, dafür aber schonungslos prügelnder (soll das etwa ein Aktualitätsbezug sein?) Polizist (Dennis Junge) sind der Albernheiten zu grob und viel.

Dann geht die Luft ausDafür verleiht Rolf Kindermann seinem bürgerlichen Shu Fu als Gegenspieler zum proletarischen Yang Sun die rechte Kontur. Erst Shu Fu, die Tabakfabrik (es könnte auch ein Lager von Amazon sein) und die Wandlung des Fliegers zum Fabrikkarrieristen (da wird er sogar für Susanne Weckerles Hausbesitzerin Mi Tzü wieder interessant) führen in unser (post)industrielles Zeitalter. Da sollte es doch jetzt richtig interessant werden!

Doch außer dem aus jeder Pore schwitzenden Mutterstolz von Yang Suns Mama (Sabine Weithöner), einem Da-capo-Hingucker fürs Publikum – kämpft das letzte Drittel der Inszenierung mit der Spannung. Brecht tut da mit immer noch einer weiteren schicksalhaften Verstrickung des Guten und Schlechten zu viel.

Wir haben eh längst verstanden. Dass wir die Verhältnisse ändern müssen. Jeden Tag. Jeder von uns. Warum fangen wir nicht an? Was hindert uns? Oder was unterscheidet ein Brechtstück von der Welt?

Unterm Strich

Starkes Bühnenbild, starke Musik eines an Instrumenten versierten Ensembles. Ein Stück, so zeitlos aktuell wie etwas einfach gestrickt - Brecht eben. Eine Inszenierung mit gelungenen und albernen Einfällen, die existenzielle Dramatik blitzt zu selten auf, die letzte halbe von zwei Stunden wird etwas lang. Oh je – jetzt klingt es zu schlecht, nein: Schon ganz passabel, die Produktion.


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Reutlinger Generalanzeiger, 28. September 2020

Regalbewohner auf dem Egotrip

(von Armin Knauer)

Kapitalismus-Gleichnis mit schrägen Liedern: Bertolt Brechts »Der gute Mensch von Sezuan« am LTT

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