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nach dem Hörspiel von Ingeborg Bachmann · 15+
Schwäbisches Tagblatt, 30. November 2021
(von Peter Ertle)
"Eine feine, ideenreiche, ästhetisch gelungene Inszenierung von Ingeborg Bachmanns Hörspiel."
Über diese Inszenierung kann nicht gesprochen werden, ohne gleich vorneweg zwei phantastische Elemente zu spoilern: Eichhörnchen zu Beginn und Schafe am Ende. Die Eichhörnchen gibt es auch bei Ingeborg Bachmann. Am LTT sind es wunderbare Kostüme (Marlene Rösch, Valentina Pino Reyes. Letztere hat auch die Bühne gestaltet.), in denen Schauspieler stecken. Die beiden Schafe aber sind echt.
Ohne Scheiß?
Ja, an diesem Abend ohne Scheiß, aber mit etwas Piesel. Oder war’s Eichhörnchenwasser?
Dazu später mehr.
Regisseurin Franziska Angerer verankert das Drama zunächst historisch als Hörspielansage. Auch optisch: Schauspieler vor den Mikros einer Rundfunkanstalt. In der Frage, wer Jan und wer Jennifer ist, wird dann kräftig durchgewechselt, durchgegendert.
Und das passiert im Stück: Der gute Gott von Manhattan hat eine Bombe auf ein Liebespaar geworfen. Erwischt hat er nur die Frau. Nun sagt er als Angeklagter vor Gericht aus und erzählt dabei die Geschichte von Jan und Jennifer, die eine so flüchtige wie sich immer mehr steigernde Liebesaffäre verbindet.
Der gute Gott (eigentlich ein böser Weltordnungshüter) darf hier in Form von Franziska Beyer phänotypisch eine Frau sein. Was nichts daran ändert, dass sie das männliche Prinzip verkörpert – welches ein Glaubenssatz dieser Inszenierung ist. Das Stück wird – wohl halb unter dem Einfluss von Bachmanns späterem Werk, halb den Zeichen der Zeit geschuldet – vor allem als Aufstand einer weiblichen Haltung gegen die von männlicher Ordnung verfügte Vernunftwelt gelesen, zumindest so akzentuiert.
Und bei Ingeborg Bachmann? Steht die Liebesekstase stellvertretend für das Absolute, die Entgrenzung, die „Gegenzeit“, eine andere Sprache mit Zugang zur sonst verstellten Natur. Deutlich existentiell-metaphysisch sprengt sie die Begrenztheit der Welt. Eben. Die Gegenprobe ist zwar nicht möglich: Aber auch eine matriarchale Geschichte hätte die Welt nicht grenzenlos hingekriegt.
In ihrer Dankesrede für den Hörspielpreis, den sie für dieses Stück erhielt, wies Ingeborg Bachmann der Literatur die Aufgabe zu, mehr Orientierung am Unmöglichen zu stiften, um den Horizont des Möglichen im Leben zu weiten. Schön. Aber was hieße das fürs Stück? Scheitert Jennifer wirklich am Mann und der bestehenden Ordnung? Oder nicht vielmehr daran, dass sie das Unmögliche auf Erden will?
Es ist sympathisch, dass Franziska Angerers Inszenierung die metaphysisch-allegorische Seite weniger interessiert (was wäre damit auch anzufangen?) als der lebensweltliche Aspekt und ausgehend davon aktuelle Bezüge. Nur wird das Stück so auch zu etwas anderem.
Erster Bezug: Auf einer Schwarzweiß-Filmebene werden zunächst die vielen Affären Leonardo di Caprios mit jüngeren Models skizziert. Lesart: Mann will sich auf keine Frau richtig einlassen. Und Frau redet sich im schlimmsten Fall noch ein, dass sie dasselbe will, nur um für ihn attraktiv zu bleiben.
Zweiter Bezug, ausgehend von einem Song Beyoncés: Eine Frau lässt sich von ihrem untreuen Freund nicht runterziehen, beweist Stärke und Souveränität. Geglücktes Self-Empowerment. Oder – fragt die Inszenierung – nur die gleiche Kälte und Gefühlsarmut, die den Mann auszeichnet?
Aber in Bachmanns Stück ist das Schwanken zwischen einer einmaligen Begegnung, die genau das bleiben soll – und einer bleibenden, großen Beziehung beider Verhalten eingeschrieben, nicht nur seinem, bei ihm ist es nur etwas ausgeprägter. Auch das Abtun der großen Liebesgeschichten des Abendlands, wo jeweils nur äußere Widerstände das Happy End durchkreuzen (und es so im Herzen des Lesers als möglich bewahren) spricht Bände. Im Hörspiel führen es die Eichhörnchen vor, in dieser Inszenierung erledigen das zwei Schauspieler im Film. Es zeigt, dass im Gegensatz dazu die Bombe des guten Gotts keinesfalls bloß äußerer, gesellschaftlicher Widerstand (einer männlichen Ordnung oder was auch immer) ist. Sondern Symbol einer inneren, unpolitischen Gesetzmäßigkeit: Ohne Bombe kein Paradies. Nicht hier auf Erden.
Die Eichhörnchen führen an diesem Abend allerlei Wassergeschüssel und Flüssigkeitsaustausch vor. Das ist genauso drollig, rätselhaft und zum Kichern wie ein Eichhörnchen-Quetschkommodenliebesakt: reinste Liebesmusik.
Ja, die Eichhörnchen haben genau diese andere Sprache, nach der Jennifer sich sehnt und die Jennifer (äh – also das ist jetzt Zufall) Kornprobst und Rolf Kindermann im Fellkostüm stimmlich und soundtechnisch produzieren, an Kontrabass und Ziehharmonika. Ist es jene andere Sprache der Liebe? Oder bloß die alte Sehnsucht von uns Zivilisationsgeschädigten, die wir gleichermaßen dazu neigen, die Natur zu zerstören und sie zu romantisieren?
Der Schluss der Inszenierung romantisiert möglicherweise auch ein bisschen, allerdings auf scheue, charmante, so ernsthafte wie witzige Weise. Nachdem der gute Gott das Gericht offenbar überzeugt hat, gehen darf und die Welt sich in einer wilden Karussellfahrt entfesselt, dankt der Mensch ab. Kehraus, die Schauspieler kommen abgeschminkt und in Alltagsklamotten auf die Bühne, des Weiteren Pontus und Invictus, zwei leibhaftige Schafe. Fressen ein bisschen, beschnuppern die Schauspieler. Glotzen ins Publikum. Ist da wer?
Ja, da ist wer. Und wer da nicht gerührt ist, ist kein guter Mensch. Doch, es ist höchste Zeit, auf die Natur zu hören. Sich zu viel von ihr zu erwarten oder zu glauben, sie verstehen und ihr so einfach folgen zu können – könnte problematisch werden. Sie ist nicht immer so nett wie zwei Schafe. Sollten wir vereichhörnchen und verschafen? Diese Frage nehmen wir mit aus diesem feinen und durchdachten, aus seinem eigenen Ansatz heraus stimmigen Abend.
Nur, wie gesagt: Das Drama auf ein gesellschaftliches Mannfrauding hin zu akzentuieren, heißt, es zu verkennen. Oder es bewusst so umzudeuten. Es spielten, mit vielen Rollenwechseln: Franziska Beyer, Insa Jebens, Rolf Kindermann, Jennifer Kornprobst, Jonathan Peller, Stephan Weber, Invictus und Pontus. Määäääh.
Unterm Strich
Eine feine, ideenreiche, ästhetisch gelungene Inszenierung von Ingeborg Bachmanns Hörspiel. Allerdings nimmt sie eine fragwürdige Akzentuierung vor und erhofft sich am Ende möglicherweise etwas zu viel von der Natur – oder dem, was sich der Mensch darunter vorstellt. Egal. Regt zu Diskussionen an, wird willkommen geheißen und hoffentlich keinem neuen Lockdown zum Opfer fallen.
GEA, 29. November 2021
Die Liebe, die nicht sein darf in New York
(von Thomas Morawitzky)
"Die Schauspieler des LTT beleben Bachmanns Sprache intensiv, glänzen in ihren Rollen."
Ein Hörspiel kommt auf die Theaterbühne, wird auf ihr als Hörspiel inszeniert: Da steht die Kabine für die Sprecher, da stehen die Mikrofone. Nur ist da auch noch etwas anderes: Eichhörnchen, menschengroß, komisch und zugleich unheimlich. Sie tanzen um die Sprecher, sie tollen herum, spielen ihre Instrumente schrill und kriegerisch. Nager, die jeder possierlich finden will, allgegenwärtig im Manhattan der Ingeborg Bachmann, Agenten eines seltsamen Gottes, der auf dem Durchschnitt beharrt, dem die große Liebe ein Dorn im Auge ist.
»Der gute Gott von Manhattan« ist ein Hörspiel von Bachmann, das 1958 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde; es ist das letzte in einer Reihe, die Bachmann seit 1952 geschrieben hatte. Sie sollte sich auch in ihren weiteren Werken mit dem Scheitern von Beziehungen beschäftigen. 1973 starb die Dichterin, unglücklich und tablettensüchtig, in Rom.
Im Hörspiel sind es Jennifer und Jan. Sie begegnen sich in New York am Bahnhof, sind sich fremd. Jan ist Europäer, Jennifer Amerikanerin. Sie will ihm den Weg weisen, er besucht mit ihr ein Stundenhotel. Eine Liebe entsteht, die höher hinaus will und noch höher. Schließlich lebt das Paar im 57. Stock und schwört sich ewige Treue. Da explodiert die Bombe, geschickt vom guten Gott, der solch eine Abweichung von der Norm nicht dulden kann. Jennifer wird von ihr zerrissen.
Das Stück beginnt mit der Befragung des terrorverdächtigen Gottes durch einen Polizisten – Franziska Beyer ist der Gott im langen, gemusterten Kleid, Stephan Weber der abgeklärte Ordnungshüter. Dann treten Jan und Jennifer auf, Jonathan Peller und Insa Jebens.
All dies sind Sprechrollen, Szenen, die nur aus der Sprache entstehen. Jan und Jennifer sagen sich immer schönere, großartigere, gewagtere Dinge, schreien Liebeszeilen, immer lauter, während die Sprecherkabine zum Karussell wird, das sich rasend dreht, die Sätze sich überlappen, die Musik ein schrilles Crescendo wird. »Ich will dich noch lange lieben.« – »Wie lange?« – »Frag nicht: Wie lange?, sondern sag: So bin ich gerettet!«
Regisseurin Franziska Angerer arbeitete bei diesem theatralen Hörstück eng mit dem Komponisten Arne Gieshoff zusammen. Die Sprache will Liebkosung sein, die Musik bringt Entfremdung. Die Eichhörnchen tragen den Liebenden Briefe zu, spielen Akkordeon und Kontrabass. Rolf Kindermann und Jennifer Kornprobst stecken in diesen Kostümen, entworfen von Marlene Rösch und Valentina Pino Reyes.
Seit Bachmann ihr Hörspiel schrieb, sind 63 Jahre vergangen, in denen Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft sich änderten oder auch nicht, und in denen Leonardo DiCaprio, Jahrgang 1974, angeblich ebenso viele Partnerinnen hatte. Aufzählungen seiner Affären durchbrechen die Szene; die Schauspieler treten auf als Schwarz-Weiß-Projektionen, die sich gegenseitig kämmen oder mit einem Kaktus streicheln. DiCaprio radelt mit seiner jeweiligen Gefährtin durch New York; Jennifer und Jan strolchen durch die Stadt, stehlen Feuerleitern, spielen das Glück: »Auf dem Broadway, unter dem Wasserfall aus Pepsi Cola, neben dem großen Rauchring von Lucky Strike«: Liebe in Zeiten des Konsums. Die Bombe zerreißt nur Jennifer, der gute Gott hat einen Fehler gemacht. Shakespeare hätte das besser hinbekommen.
Die Schauspieler des LTT beleben Bachmanns Sprache intensiv, glänzen in ihren Rollen. »Der gute Gott von Manhattan« stimmt nachdenklich. Der kuriose Abschluss, von Bachmann gewiss nicht vorgesehen: »Neuer Versuch«, sagt eine Schauspielerstimme – und zur Seitentür des Theaters werden zwei Schafe eingelassen, in Fleisch und Blut. Nochmals begegnen sich Mensch und Tier. Die Menschen stehen auf und setzen sich. Blicken sich an oder nicht. Signaltöne dirigieren sie. Die Schafe knabbern am ausgestreuten Futter, mehr kümmert sie nicht.