Rolf Kindermann, Insa Jebens, Franziska Beyer, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Jonathan Peller, Franziska Beyer, Stephan Weber, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Jonathan Peller, Stephan Weber, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Jonathan Peller, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Franziska Beyer, Jonathan Peller, Stephan Weber, Rolf Kindermann, Insa Jebens, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund

Der gute Gott von Manhattan

nach dem Hörspiel von Ingeborg Bachmann · 15+


Schwäbisches Tagblatt, 30. November 2021

Sehnsucht nach der Gegenzeit

(von Peter Ertle)

"Eine feine, ideenreiche, ästhetisch gelungene Inszenierung von Ingeborg Bachmanns Hörspiel."

Über diese Inszenierung kann nicht gesprochen werden, ohne gleich vorneweg zwei phantastische Elemente zu spoilern: Eichhörnchen zu Beginn und Schafe am Ende. Die Eichhörnchen gibt es auch bei Ingeborg Bachmann. Am LTT sind es wunderbare Kostüme (Marlene Rösch, Valentina Pino Reyes. Letztere hat auch die Bühne gestaltet.), in denen Schauspieler stecken. Die beiden Schafe aber sind echt.

Ohne Scheiß?

Ja, an diesem Abend ohne Scheiß, aber mit etwas Piesel. Oder war’s Eichhörnchenwasser?

Dazu später mehr.

Regisseurin Franziska Angerer verankert das Drama zunächst historisch als Hörspielansage. Auch optisch: Schauspieler vor den Mikros einer Rundfunkanstalt. In der Frage, wer Jan und wer Jennifer ist, wird dann kräftig durchgewechselt, durchgegendert.

Und das passiert im Stück: Der gute Gott von Manhattan hat eine Bombe auf ein Liebespaar geworfen. Erwischt hat er nur die Frau. Nun sagt er als Angeklagter vor Gericht aus und erzählt dabei die Geschichte von Jan und Jennifer, die eine so flüchtige wie sich immer mehr steigernde Liebesaffäre verbindet.

Der gute Gott (eigentlich ein böser Weltordnungshüter) darf hier in Form von Franziska Beyer phänotypisch eine Frau sein. Was nichts daran ändert, dass sie das männliche Prinzip verkörpert – welches ein Glaubenssatz dieser Inszenierung ist. Das Stück wird – wohl halb unter dem Einfluss von Bachmanns späterem Werk, halb den Zeichen der Zeit geschuldet – vor allem als Aufstand einer weiblichen Haltung gegen die von männlicher Ordnung verfügte Vernunftwelt gelesen, zumindest so akzentuiert.

Und bei Ingeborg Bachmann? Steht die Liebesekstase stellvertretend für das Absolute, die Entgrenzung, die „Gegenzeit“, eine andere Sprache mit Zugang zur sonst verstellten Natur. Deutlich existentiell-metaphysisch sprengt sie die Begrenztheit der Welt. Eben. Die Gegenprobe ist zwar nicht möglich: Aber auch eine matriarchale Geschichte hätte die Welt nicht grenzenlos hingekriegt.

In ihrer Dankesrede für den Hörspielpreis, den sie für dieses Stück erhielt, wies Ingeborg Bachmann der Literatur die Aufgabe zu, mehr Orientierung am Unmöglichen zu stiften, um den Horizont des Möglichen im Leben zu weiten. Schön. Aber was hieße das fürs Stück? Scheitert Jennifer wirklich am Mann und der bestehenden Ordnung? Oder nicht vielmehr daran, dass sie das Unmögliche auf Erden will?

Es ist sympathisch, dass Franziska Angerers Inszenierung die metaphysisch-allegorische Seite weniger interessiert (was wäre damit auch anzufangen?) als der lebensweltliche Aspekt und ausgehend davon aktuelle Bezüge. Nur wird das Stück so auch zu etwas anderem.

Erster Bezug: Auf einer Schwarzweiß-Filmebene werden zunächst die vielen Affären Leonardo di Caprios mit jüngeren Models skizziert. Lesart: Mann will sich auf keine Frau richtig einlassen. Und Frau redet sich im schlimmsten Fall noch ein, dass sie dasselbe will, nur um für ihn attraktiv zu bleiben.

Zweiter Bezug, ausgehend von einem Song Beyoncés: Eine Frau lässt sich von ihrem untreuen Freund nicht runterziehen, beweist Stärke und Souveränität. Geglücktes Self-Empowerment. Oder – fragt die Inszenierung – nur die gleiche Kälte und Gefühlsarmut, die den Mann auszeichnet?

Aber in Bachmanns Stück ist das Schwanken zwischen einer einmaligen Begegnung, die genau das bleiben soll – und einer bleibenden, großen Beziehung beider Verhalten eingeschrieben, nicht nur seinem, bei ihm ist es nur etwas ausgeprägter. Auch das Abtun der großen Liebesgeschichten des Abendlands, wo jeweils nur äußere Widerstände das Happy End durchkreuzen (und es so im Herzen des Lesers als möglich bewahren) spricht Bände. Im Hörspiel führen es die Eichhörnchen vor, in dieser Inszenierung erledigen das zwei Schauspieler im Film. Es zeigt, dass im Gegensatz dazu die Bombe des guten Gotts keinesfalls bloß äußerer, gesellschaftlicher Widerstand (einer männlichen Ordnung oder was auch immer) ist. Sondern Symbol einer inneren, unpolitischen Gesetzmäßigkeit: Ohne Bombe kein Paradies. Nicht hier auf Erden.

Die Eichhörnchen führen an diesem Abend allerlei Wassergeschüssel und Flüssigkeitsaustausch vor. Das ist genauso drollig, rätselhaft und zum Kichern wie ein Eichhörnchen-Quetschkommodenliebesakt: reinste Liebesmusik.

Ja, die Eichhörnchen haben genau diese andere Sprache, nach der Jennifer sich sehnt und die Jennifer (äh – also das ist jetzt Zufall) Kornprobst und Rolf Kindermann im Fellkostüm stimmlich und soundtechnisch produzieren, an Kontrabass und Ziehharmonika. Ist es jene andere Sprache der Liebe? Oder bloß die alte Sehnsucht von uns Zivilisationsgeschädigten, die wir gleichermaßen dazu neigen, die Natur zu zerstören und sie zu romantisieren?

Der Schluss der Inszenierung romantisiert möglicherweise auch ein bisschen, allerdings auf scheue, charmante, so ernsthafte wie witzige Weise. Nachdem der gute Gott das Gericht offenbar überzeugt hat, gehen darf und die Welt sich in einer wilden Karussellfahrt entfesselt, dankt der Mensch ab. Kehraus, die Schauspieler kommen abgeschminkt und in Alltagsklamotten auf die Bühne, des Weiteren Pontus und Invictus, zwei leibhaftige Schafe. Fressen ein bisschen, beschnuppern die Schauspieler. Glotzen ins Publikum. Ist da wer?

Ja, da ist wer. Und wer da nicht gerührt ist, ist kein guter Mensch. Doch, es ist höchste Zeit, auf die Natur zu hören. Sich zu viel von ihr zu erwarten oder zu glauben, sie verstehen und ihr so einfach folgen zu können – könnte problematisch werden. Sie ist nicht immer so nett wie zwei Schafe. Sollten wir vereichhörnchen und verschafen? Diese Frage nehmen wir mit aus diesem feinen und durchdachten, aus seinem eigenen Ansatz heraus stimmigen Abend.

Nur, wie gesagt: Das Drama auf ein gesellschaftliches Mannfrauding hin zu akzentuieren, heißt, es zu verkennen. Oder es bewusst so umzudeuten. Es spielten, mit vielen Rollenwechseln: Franziska Beyer, Insa Jebens, Rolf Kindermann, Jennifer Kornprobst, Jonathan Peller, Stephan Weber, Invictus und Pontus. Määäääh.

Unterm Strich

Eine feine, ideenreiche, ästhetisch gelungene Inszenierung von Ingeborg Bachmanns Hörspiel. Allerdings nimmt sie eine fragwürdige Akzentuierung vor und erhofft sich am Ende möglicherweise etwas zu viel von der Natur – oder dem, was sich der Mensch darunter vorstellt. Egal. Regt zu Diskussionen an, wird willkommen geheißen und hoffentlich keinem neuen Lockdown zum Opfer fallen.


[schliessen]


GEA, 29. November 2021

Die Liebe, die nicht sein darf in New York

(von Thomas Morawitzky)

"Die Schauspieler des LTT beleben Bachmanns Sprache intensiv, glänzen in ihren Rollen."

[mehr lesen]






© 2016     Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Impressum