Justin Hibbeler, Julia Staufer, Sebastian Baumgart, Franziska Beyer, Daniel Hölzinger (Video) · Foto: Tobias Metz
Julia Staufer, Stephan Weber, Justin Hibbeler, Sebastian Baumgart, Franziska Beyer · Foto: Tobias Metz
Stephan Weber, Justin Hibbeler, Sebastian Baumgart, Julia Staufer, Franziska Beyer · Foto: Tobias Metz
Franziska Beyer (vorne), Julia Staufer, Sebastian Baumgart (hinten) · Foto: Tobias Metz
Justin Hibbeler, Stephan Weber, Julia Staufer, Sebastian Baumgart, Franziska Beyer, Boris Palmer (Video) · Foto: Tobias Metz
Justin Hibbeler, Stephan Weber, Julia Staufer, Sebastian Baumgart, Franziska Beyer· Foto: Tobias Metz
Stephan Weber, Justin Hibbeler, Julia Staufer, Sebastian Baumgart · Foto: Tobias Metz

(R)Evolution

Science-Fiction-Komödie von Yael Ronen und Dimitrij Schaad · Inspiriert von Yuval Noah Harari · 12+


Schwarzwälder Bote, 7. Oktober 2021

Fremdbestimmt in der schönen neuen Welt

(von Christoph Holbein)

Das Stück „(R)Evolution“ ist in seiner hochbrisanten Aussage pointiert und tiefgehend inszeniert

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Schwäbisches Tagblatt, 6. Oktober 2021

Habe ich Hunger, Alecto?

(von Peter Ertle)

Die perfekte Mischung aus Spaß und Nachdenken: Am Tübinger Landestheater wurde das so scharfsinnige wie höchst vergnügliche Stück „(R)Evolution“ fabelhaft in Szene gesetzt.

Man verlässt das Theater in besserer Laune und geschärfteren Sinns. Gibt es ein besseres Kompliment? Der Abend hält sogar eine im Prinzip viel zu lange Vorrede vor dem Vorhang aus. Im Theater hingen Kameras, die es ermöglichten, auch die Augenbewegungen und Emotionen der Zuschauer zu erfassen, unter den Theatersitzen, verrät Justin Hibbeler, seien Chips eingebaut, die unseren Herzschlag, den Blutdruck, die Körperspannung messen würden. Aus den Werten würden die Erfolgsstücke der Zukunft gebaut.

Im Theater der Zukunft, einem Cybertheater, könne dank der Daten sogar jeder das auf ihn persönlich und sein aktuelles Lebensproblem zugeschnittene Stück sehen. Und Zeit für Theater, Filme und Auseinandersetzungen mit sich selbst werde es viel geben, wenn Digitalisierung und Roboter 40 Prozent der Bevölkerung arbeitslos gemacht hätten.

Ein Science Fiction? Wir sind mitten drin. Längst werden uns Bücher, DVDs oder Sofas angezeigt, die uns auch gefallen könnten, längst leben Menschen in Blasen der Selbstbestätigung. Die beiden Autoren, die österreichisch-israelische Theatermacherin Yael Ronen, Hausregisseurin am Berliner Gorkitheater, und Schauspieler Dimitrij Schad, drehen in „(R)Evolution“ einfach nur konsequent weiter, was längst Gegenwart ist.

Ihre Komödie, die im Frühjahr letzten Jahres zeitgleich mit der ausbrechenden Pandemie am Hamburger Thalia Uraufführung hatte, sei von Yuval Noah Hararis Thesen zum 21. Jahrhundert inspiriert, erklären sie in einer Verbeugung. Das ist vielleicht der einzige kleine Fehler, den sie machen. Für das Meiste im Stück hätten sie Harari gar nicht nötig, auch seine Popularität nicht: Ronen ist in der Theaterwelt inzwischen ein so klingender Name wie der Hararis in der Philosophie. So aber handeln sie sich höchstens ein paar weniger theateraffine, auf ernste philosophische Warnrufe gestimmte Menschen als Zuschauer ein, die das Stück vor diesem Hintergrund für verfehlt. Weil es leicht und vergnüglich ist.

Zum Glück ist es das! Zum Glück haben wir Spaß. Und wir erschauern manchmal auch ein bisschen und kommen auf jeden Fall nochmal ins Nachdenken, eine perfekte Mischung. Und eine, um es vorweg zu nehmen, tolle Inszenierung am LTT, wo (Bühne und Kostüm: Babette Klimmeck und Vinzenz Hegemann) eine transparente Folie mit dem lichten Druck eines Gemäldes von Norbert Bisky (ein Mensch starrt auf einen Bildschirm, aus dem ein Stinkefinger ragt) rechts einen Streifen für Filmprojektionen freilässt. Dahinter eine Band wie Kraftwerk mit ähnlich futuristischen Klängen (Musikalischer Leiter: Jörg Wockenfuß). Davor ein Theremin, das den Abend mit geisterhaften Signalen versorgt.

Natürlich sehen die Menschen sehr unnatürlich aus in ihren Unisex-Ritter & Raumschiffanzügen, kurz: Ein bisschen SF-Hokuspokus. Darf sein. Was besonders schön ist: Dass die Schauspieler den jeweils anderen gerne mit der vom Handy gewohnten Wegwischbewegung aus der Szene räumen oder auf diese beordern wollen.

Wir befinden uns im Jahr 2041, die Niederlande sind überschwemmt, die Holländer die neuen Flüchtlinge. Aus Fridays for future sind längst die Naturalisten geworden, spätestens nach einem Anschlag im Status einer terroristischen Vereinigung.

Auf der Bühne sehen wir zunächst Lana und René, die zusammen mit dem Arzt ihr nächstes Kind planen. Das könnte zwar nach wie vor auch auf natürlichem Weg gezeugt werden. Aber wenn all die anderen, für viel Geld optimierten Retortenkinder im Ballett das Bein hinters Ohr kriegen und ihr Kind nicht – will man das der Kleinen zumuten?

Und all die Krankheiten, die man mit dem Premiumpaket ausschließen könnte? Darf man sie dem Gesundheitssystem sprich der Allgemeinheit in Form von Kosten zumuten? Julia Staufer und Sebastian Baumgart als Eltern, Stephan Weber als Dr. Stephan Frank (heißt wirklich nach dem Serienarzt!) setzen den ersten Höhepunkt des Abends.

Nicht alle Szenen dieses Stücks sind gleich stark und es ist nur symptomatisch, dass Regisseur Thorsten Weckherlin einen etwas schwächeren Part, in dem Haushaltsgeräte den Menschen in der Küche quasi versklaven, auch genauso drollig mit Pappkartonträger und aufgemaltem Herd, Kühlschrank und Toaster inszeniert. Da wird’s ein bisschen zu heimelig-ulkig, hätte man auch streichen können. Geschenkt.

Alles andere ist vortrefflich. Vor allem zwei Szenen sind das Herzstück und es ist sicher kein Zufall, dass dies auch in der Inszenierung so ist. Das Drama der einsamen Tatjana, der ihre Bezugsperson Alecto (die Weiterentwicklung Alexas, alle Akteure dürfen mal Alecto sein) erst eine fragwürdige weil virtuelle Kommunikation mit ihrem früheren Freund besorgt, dann vorschlägt, als Chip in ihr Gehirn eingepflanzt zu werden (quasi ein Heiratsantrag) – und sie schließlich als treuer Staatsdiener wegen Nähe zu den Naturalisten an die Polizei verrät: Was hier Stephan Weber und Franziska Beyer auf die Bretter bringen ist genau - und genau deshalb berührend.

Wie erst recht die große Beziehungskrise zwischen Stephan (Stephan Weber) und Ricky (Justin Hibbeler), die seit Jahren nur noch mithilfe von Verkleidungen und Techniktamtam Cybersex haben – nun aber mithilfe des allwissenden Alecto schonungslos die Wahrheit übereinander erfahren. Schockierend und komisch. Soll deshalb genausowenig gespoilert werden wie der filmisch eingeblendete Promi des Abends.

Was man übrigens bei beiden Szenen besonders gut sehen kann: Dass es bei allem technischen Fortschritt die gleichen, alten, nur eben hochgerüsteten Probleme sind, die der Mensch in diesem imaginären 2041 haben wird. „(R)Evolution“ ist – unter dem Deckmantel des Science Fiction – ein sehr klassisches Stück.

Es hat, von der gesellschaftlichen Substanz wie der Stückqualität her, sogar das Zeug zum Instant-Klassiker, Abteilung: jung, hell, schnell, tragikomisch, klug, auf den Punkt kommend, brillanter Dialogwitz. Zwischendurch kratertiefe Löcher reißend. Es fragt uns, ob wir haben wollen, was wir da sehen. Was das Gute daran ist, was das Schlechte. Was daraus folgt, welche Konflikte sich auftun. Es will nicht klüger sein als wir. Es diskutiert uns. Es ist informiert, neugierig, gerissen, voller Empathie, und gleichzeitig so kühl wie ein Chirurg sein muss, der an Herz und Hirn operiert. So kühl wie ein gutes Stück. So wurde es am LTT auch umgesetzt.

Unterm Strich

Was kommt da auf uns zu, in der durchdigitalisierten Roboterwelt von Gesichtserkennung und implantierten Chips über Cybersex bis zur Wunschkindbastelei – während die Polkappen weiterhin sehr analog schmelzen? Das Stück gibt einen Vorgeschmack darauf – als überaus gelungenes, trefflich in Szene gesetztes Theaterstück.


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Reutlinger General-Anzeiger, 4. Oktober 2021

Wir sind die Roboter

(von Michael Sturm)

In der Was-wäre-wenn-Komödie »(R)Evolution« huldigt das LTT-Ensemble den Techno-Pop-Pionieren Kraftwerk

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