Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Leo Kramer, Rolf Kindermann, Insa Jebens, Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Sarah Liebert, Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund
Leo Kramer · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Leo Kramer, Insa Jebens, Sarah Liebert, Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund
Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund
Sarah Liebert, Leo Kramer, Insa Jebens, Rolf Kindermann · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Insa Jebens, Leo Kramer, Sarah Liebert, Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund
Sarah Liebert, Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Sarah Liebert, Gilbert Mieroph, Leo Kramer · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann · Foto: Martin Sigmund
Sarah Liebert · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Gilbert Mieroph, Sarah Liebert, Leo Kramer · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann · Foto: Martin Sigmund
Peter Engel

„...worin noch niemand war“ – Ein Heimatabend

Von Jörn Klare · Uraufführung


Schwäbisches Tagblatt, 8. Oktober 2025

Zwei Stunden Vorschein

(von Peter Ertle)

Unbedingt anschauen! „…worin noch niemand war sucht am LTT nach Heimat und findet mehr als eine, jenseits von Kitsch, Provinzialität und Nationalismus.

Der Stargast, für den zu Beginn die Showgasse gebildet wird, kommt erstmal nicht. Mehrmals an diesem Abend wird er noch anrufen. Alle hetzen sie dann zum Telefon, eine nimmt ab: „Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen, Jebens am Apparat.“ Oder: Mieroph. Oder: Kramer. Liebert. Kindermann.

Wenn man die Namen dieses Theaters mal so vollständig ausspricht, hat man mit Württemberg, Hohenzollern, Tübingen und Reutlingen schon vier Ortsbezeichnungen, damit vier mögliche Heimaten. Und wenn die Schauspieler, was sie anfangs auch tun, mal aufzählen, wo sie herkommen und bislang gelebt haben, dann kommt man bei Jebens, Kindermann, Kramer, Liebert und Mieroph auf – wir haben jetzt nicht genau mitgezählt – so um die vierzig Stationen, allesamt potenzielle Heimaten.

Potentiell – weil: was das ist, Heimat, das weiß ja niemand so genau, obwohl alle eine in sich herumtragen, zumindest das Gefühl ihrer Abwesenheit: Heimat. Sie zu suchen, zu umkreisen, infrage zu stellen, ist dieser Abend angetreten. Der Stargast, selbstverständlich ist das die Heimat selbst, wird, wie Godot, nie kommen, vielleicht weil sie etwas ist, „worin noch niemand war“, so der Bloch zitierende Titel dieses Stücks. Am Ende dieses Abends werden wir aber eine ausreichende Ahnung von ihr bekommen haben, man kann sagen: Sie ist angekommen. Tatsächlich sitzt sie dann auch auf dem Sofa, vielfältig, wie sie ist gleich fünfgestaltig – im übertragenen Sinn. Konkret handelt es sich um Bloch, beziehungsweise Ernst, so wird er am Telefon ja angesprochen. Und ernst ist ja auch der Umgang mit der Heimat in aller Regel, ernst und schwer oder zumindest sehr tümlich.

Ganz anders dieser Abend. Er ist spielerisch und leicht, und doch ernsthaft. Stückeschreiber Jörn Klare, das zeigte er schon beim LTT-Stück „Vom Wert des Leberkäsweckles“ theatralisiert journalistische und wissenschaftliche Dokumentation. Den zentralen Teil dieses Abends bilden Interviews mit ganz normalen Menschen, ein Stück empirischer Kulturwissenschaft. Andere Teile sind ein bisschen Etymologie, dann geht es in Soziologie und Politikwissenschaft, werden die Entstehung des Begriffs Heimat und seine bisherigen Hochkonjunkturen kausal gemacht, ökonomisch und politisch eingebettet.

Und da soll Theater rauskommen und kein Essay, kein Lehrbuch? Genau, das wird hier, unter der Regie von Sascha Flocken, zu einem äußerst kurzweiligen, liebenswerten, charmanten Theaterabend. Keine Belehrung, sondern: Gespräch, Geschichten, Spiel. Wie jenes ganz berückende Duett zwischen der Heimat (hier: Rolf Kindermann) und einer, die sie verlassen hat (Sarah Liebert). Oder jener probenähnliche Tollpatschversuch, Heimatgefühl qua Schauspielanimation direkt ins Publikum schwappen zu lassen.

Das mobile Bühnenbild (Doreen Back) wird dauernd verschoben, Symbolik für die sich stets ändernden Facetten des Heimatbegriffs, in erster Linie optische Abwechslung: Immer entstehen neue Spielflächen für die Akteure, die wechselnden Lichtsequenzen, die Videos.

Gegen Schluss wird aus allen Bühnenelementen immer deutlicher dies eine, gemeinsame Haus gebaut, aber ach, dauernd fällt eine Wand um, Heimat hält nicht. Zwischendrin ruft immer Ernst an, er ist noch verhindert. Einmal ist sogar Friedrich dran, Hölderlin. Mieroph schreibt mit, was er sagt. Geht schon etwas in die Blochsche Richtung. Auch Franz ist da, Schubert, nicht am Telefon, aber in der Musik des Abends. Die Liebe, vielleicht ja auch die Heimat, liebt das Wandern, vom einen zu dem anderen (Musikalische Leitung: Jan Paul Werge).

Wie gesagt: Zentral in diesem Stück sind die Interviews, Selbstauskünfte, die vorführen, was Heimat jeweils sein könnte. Vom digitalen Nomaden, der im Moment auf einer Südseeinsel lebt (exotische Tiergeräusche: Ensemble) und nur einen Laptop braucht über die junge Frau aus dem Bergdorf (Insa Jebens), die ihr Leben lang nicht rauskommt aus Enge und Verantwortungsgeflecht, bis hin zu jenem Mann (Leo Kramer), der sich fürs Kloster entschied, aber auch dort keine Heimat fand, sondern nur eine Vorübung aufs heimatlich vorgestellte Jenseits. Nicht zu vergessen die Fluchterfahrungen, die uns nach Damaskus (Rolf Kindermann) oder zu den Taliban mitnehmen und dann wieder mitten nach Deutschland. Auch was es heißt, als türkischstämmige Deutsche in Holzgerlingen aufzuwachsen (Sarah Liebert), erfahren wir.

Dass Heimat ohne Gestaltung, Grenzen und Regeln wohl nicht auskommt, weil sonst einzig das Recht des Stärkeren herrscht, kann man aus einem Streitgespräch mitnehmen, aber eben nicht als Ergebnis, sondern als Position eines Streitfalls. Welche Deformation es allerdings darstellt, Heimat als fremdenfeindliche Besitzstands- oder Genpoolwahrung misszuverstehen, das braucht dieser Abend gar nicht auszusprechen. Er atmet es mit jeder Pore aus, einfach, indem er zeigt, was der Fall ist. Mit Bloch gesprochen: Die Zuschauer befanden sich zwei Stunden lang in einem Vorschein der Heimat. Riesiger, langanhaltender Applaus in der Werkstatt. Man wünscht diesem Stück mehrere ausverkaufte Spielzeiten.


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Reutlinger General-Anzeiger, 6. Oktober 2025

Die Säge singt am Lindenbaum: Das Tübinger LTT fragt, was Heimat ist

(von Thomas Morawitzky)

Was ist Heimat? Ein Begriff geht um und keiner weiß, was soll er bedeuten. Das LTT versucht eine urkomische und gescheite Aufklärung mit Jörn Klares »...worin noch niemand war«. Mit dabei: ein prominenter Ehrengast.

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cul-tu-re.de online, 5. Oktober 2025

Heimat, Fremde, Fluchten

(von Martin Bernklau)

In der LTT-Werkstatt hatte Jörn Klares „… worin noch niemand war – ein Heimatabend“ seine umjubelte Uraufführung

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