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Stück in zwei Akten von Samuel Beckett übersetzt von Erika und Elmar Tophoven
Schwäbische Zeitung, 9. Dezember 2016
Was den Menschen zum Menschen macht
(von Babette Caesar)
Landestheater gastiert mit "Glückliche Tage" im Theater Ravensbeurg.
Was den Menschen zum Menschen macht, ist der Grundtenor in Theaterstücken des irischen Schriftstellers Samuel Beckett. Von einem Liebespaar in aussichtsloser Lage erzählt das 1961 geschriebene Stück „Glückliche Tage“. Hiermit gastierte das Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen am Donnerstagabend im Theater Ravensburg. Sehr nah ans Publikum sind Winnie (Sabine Weithöner) und Willie (Martin Bringmann) unter der Regie von Thorsten Weckherlin gerückt.
Sie, Winnie, sitzt fest in einem Erdhügel. Heraus schaut nur ihr Oberkörper, der mit einer adretten schwarzen Korsage bekleidet ist. Dazu eine Perlenkette. Diese Aufmachung allein grenzt schon ans Absurde, bedenkt man ihr Umfeld einer glühend heißen Wüste. Sofort steht die Frage im Raum, wie hält sie das aus. Bewegen kann sich Winnie nicht. Höchstens mal die Arme hochreißen oder den Kopf drehen. Hin zu Willie, der neben dem Hügel am Boden liegt. Er schläft. Auf Winnies Zurufe antwortet er in Abständen einsilbig, wenn er überhaupt auf ihr Dasein reagiert. Das ist die Ausgangsposition der rund 80 Minuten dauernden Inszenierung in einem nahezu ausverkauften Saal, der zwei exzellente Schauspieler erleben durfte.
Bloß nicht aufhören zu reden
Eine unentwegt redende und sich mit sich selbst beschäftigende Winnie und einen sich vor Erschöpfung oder Erstarrung über den Boden schleifenden Willie. Sie sind ein Paar, das sich immer noch liebt trotz aller Widrigkeiten. Eine schrill tönende Klingel läutet den Tag ein, der für beide nach dem immer selben Mustern abläuft. Winnie kramt in ihrem Sack und putzt sich die Zähne. Das ist noch komisch, denn schon hier fühlt sich jeder an sich selbst erinnert. An die Sicherheit versprechenden Gewohnheiten, die einem, sobald man sie hinterfragt, absurd vorkommen. Winnie ist nicht viel mehr geblieben auf Grund ihres Gefangenseins. Daran hangelt sie sich entlang. „Hauptsache keine Schmerzen“, strahlt sie. Höchstens mal etwas Migräne. Bloß nicht klagen und bloß nicht aufhören zu reden. Was kann man tun, wenn man in so einem Loch festsitzt, fragt sie sich. Außer akribisch an den Fingernägeln herum zu feilen, auf keinen Fall den Kontakt zum Gegenüber, zu Willie verlieren. Mit allen Mitteln ringt sie um die Bestätigung ihrer Existenz.
Komme, was da wolle
Im zweiten Akt schaut nur noch Winnies Kopf heraus, so dass ihre bisherigen Rituale versagen. Nicht mal mehr der vor ihrer Nase abgelegte Revolver, den sie liebevoll als ihren „Brownie“ preist, könnte zum Einsatz in letzter Not kommen. Winnie gibt nicht auf. Komme, was da wolle. Mit grotesker Mimik versuchen ihre schielenden Augen die Lippen und Wangen als ein Stück ihrer selbst wahrzunehmen. Währenddessen rafft Willie sich zu einem dramatischen Kraftakt auf. Im Frack mit vertrocknetem Blumenstrauß zerrt er sich keuchend am Hügel hoch, um Winnie noch einmal ins Gesicht zu sehen. „Das ist ja toll!“, feuert sie ihn voller Sehnsucht nach einem „Bitte, hab´ mich lieb“ an. „Es wird ein glücklicher Tag gewesen sein, trotz allem“, ist Winnie felsenfest überzeugt und taucht unter.
Im anschließenden Gespräch mit den beiden Akteuren lobten Zuschauer das hautnahe Miterleben. Winnie erschien ihnen als tapfer, wieder einen glücklichen Tag geschafft zu haben. Fragen ergaben sich, wovon Glück abhängig ist und ob reden einem die Angst vor dem Alleinsein nehme. Acht Wochen hätten die Schauspieler geprobt und deutlich spürbar war das emotionale Eintauchen beider in Existentielles. „Unsere Inszenierung hält sich stark an Becketts Vorgaben“, sagte Sabine Weithöner und betonte das Fragmentarische, das jeder auf sein eigenes Leben beziehen könne. Martin Bringmann sprach offen von einer Hölle, der man nicht entfliehen will – die halte sogar Willie am Leben.
Reutlinger Nachrichten, 8. Oktober 2016
(von Kathrin Kipp)
LTT-Intandant Thorsten Weckherlin inszeniert Samuel Becketts apokalyptischen Klassiker über die Absurdität des Daseins "Glückliche Tage"
Winnie und Willie sind bekanntlich ein Pärchen nach den besten Jahren. Mit einem so unkonventionellen wie altersgemäßen Lebensstil: Winnie steckt in einem Erdhügel fest und versichert sich ihrer Existenz durch permanentes Schwatzen: Ich rede, also bin ich. Willie krabbelt am Rand ihres Hügels herum und will schlecht hören. Er kann nicht mehr.
Nur von Zeit zu Zeit gibt er noch ein Lebenszeichen von sich – eine eher undurchsichtige Figur. Ganz im Gegensatz zu Winnie, die sich permanent offenbart – höchst menschlich und typisch weiblich, möchte man meinen, wäre Winnie nicht auch eine absurde Kunstfigur, ein künstlicher, bald toter Texthügel, der nur noch existiert, um möglichst viele Assoziation zur Sinnlosigkeit des Lebens freilzulegen.
Nicht zuletzt ist „Glückliche Tage“, ein Text aus dem Jahr 1960, ein äußerst einseitiger Theater-Dialog, mit der für Theatermonologe üblichen Schwere. Bei dem man einer ablebenden Figur bei ihrer kärglichen, aufs Minimalste reduzierten Existenz zuschauen muss.
LTT-Intendant Thorsten Weckherlin führt dabei zum ersten Mal in Tübingen selbst die Regie und lässt Schauspielerin Sabine Weithöner eine vielschichtig ironische Performance abliefern. Mit viel Fallhöhe zwischen vermeintlichem Glück und unabwendbarer Realität: Eine Figur, die in einem absurden Bild einen so abstrakten wie konkreten Text zum Besten gibt. Denn die verzweifelt muntere Winnie ist eben auch ein Mensch aus Fleisch und Blut. Noch. Mit absurd normalen, nachvollziehbaren Gefühlslagen.
Sabine Weithöner steckt als Winnie mehr als sprichwörtlich in der Klemme. Bühnenbildner Kay Anthony hat für sie einen Schotter-Hügel aus Plastik hingestellt. Ein Podest, einen erloschenen Vulkan, aus dem sie nie wieder herauskommen wird. Im ersten Teil kann Winnie immerhin noch ihre Arme bewegen, so dass sie zwischen Tag und Nacht nicht nur schwatzen muss, sondern auch tatsächlich was tun kann.
Was man halt so macht, an einem Tag ohne Sinn und Ziel, zwischen Leben und Tod, wenn sich schon alles wiederholt, in dem es keine Veränderung mehr gibt, aber – zum Glück! – auch keine Schmerzen, trotz der fortgeschrittenen Bewegungsunfähigkeit. Sabine Weithöner jedenfalls macht zu ihrem Text große Augen oder ein Schreckgesicht, krallt sich an jedes Fünkchen Hoffnung, zeigt verkrampfte Begeisterung, verzweifelten Optimismus oder ein brüchiges Lächeln, wenn sie ihre eingefahrene Situation reflektiert, sich selbst belügt oder Zufriedenheitsformeln herunterbetet. Dann wieder ist sie abwechselnd wie gelähmt, gelangweilt, genügsam, ungeduldig, sich selbst genug, demütig – das ganze Spektrum unseres traurigen Daseins eben. Oder liegt Winnies Unglück am Ende nur im Blick des Betrachters?
Wenn sich Winnie nicht in Erinnerungen an bessere Zeiten verliert, holt sie Dinge aus ihrem Sack, die ihr beschränktes Leben mittlerweile ausmachen: Spiegel, Kamm, Lippenstift, Zahnbürste. Als Generaltroststück fungiert ihr „Brownie“, eine Pistole, mit der sie zur Not ihrer erbärmlichen Existenz ein Ende bereiten kann. Wenn sie nicht zu lange wartet. Alles hat bekanntlich seine Zeit. Aber wann kommt die richtige? Um zu singen, die Haare zu kämmen, den Schirm aufzuspannen, sich ein Ende zu setzen? Hat Winnie überhaupt eine Zeit?
Früher kam einmal ein anderes Pärchen vorbei. Der Mann fragte sich, was für einen Sinn es macht, wenn eine Frau in einem Erdhügel steckt. Tja, was macht überhaupt Sinn? Ist irgendetwas von Bedeutung? Und kann man von Glück reden, wenn man sich die letzten Aufmerksamkeiten erbetteln muss? Sabine Weithöners Winnie tut zumindest so als ob. Wenn von Willie auch nur die kleinste Reaktion kommt, ist sie schon ganz selig. Momente des vollkommenen Glücks.
Dann ist Winnie zutiefst unterwürfig und entschuldigt sich bei Willie für ihre bloße Existenz. Gleich darauf aber nervt sie ihn wieder mit ihrem Gequatsche, mit ihren Fragen, Zurechtweisungen und bescheuerten Ratschlägen: Szenen einer ausgelaugten Ehe. Willie wiederum rächt sich mit Schweigeterror: Martin Bringmann kriecht als degeneriertes Phlegma schwerfällig auf dem Boden herum, seufzt und stöhnt und liest komische Sachen aus der Zeitung vor.
Am Ende, als Winnie schon bis zum Hals in ihrem Dilemma feststeckt und nicht einmal mehr die Arme benutzen kann, da rafft er sich noch einmal auf, der Willie. Er hat sich in einen Frack geworfen und versucht mit letzter Kraft an sie heranzukommen: ein letzter Versuch der Kontaktaufnahme. Oder hat er es am Ende nur auf die Pistole abgesehen?
Schwarzwälder Bote, 6. Oktober 2016
Ankämpfen gegen das eigene irdische Ende
(von Christoph Holbein)
Sabine Weithöner offenbart im Stück "Glückliche Tage" ihre Stärken.
Es ist der Abend von Sabine Weithöner. Wie die Schauspielerin die Figur der Winnie in »Glückliche Tage«, dem Stück in zwei Akten von Samuel Beckett, interpretiert, macht die Inszenierung am Landestheater Württemberg- Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) zu einem eindrücklichen Erlebnis.
Ihr Spiel, geführt durch die sensible Regie von Thorsten Weckherlin, offenbart eine darstellerische Stärke, die den Zuschauer mitnimmt auf den täglichen Versuch der Protagonistin, trotz des Zerfalls glücklich zu sein.
Im ersten Akt bis zur Taille in einem Erdhügel eingebettet, erschafft Weithöner eine intime Szenerie im monologischen Dialog mit Willie, dem Mann von Winnie, dem Martin Bringmann eine intensive körperbeherrschte Präsenz verleiht, obwohl er entlang der Rolle selten zu sehen ist und noch weniger zu sagen hat.
Winnie und Willie sind die letzten Repräsentanten der Gattung Mensch, die irgendwo allein am Ende der Welt am eigenen Leib erfahren, was es heißt, dass die menschliche Existenz endlich ist.
Die Tage grenzt ein Wecker ein, der zum Erwachen und Schlafen läutet, Tage, die Winnie und Willie dem Tod näher bringen. Dennoch betet sie, drückt jeden Morgen die eigentlich schon leere Zahnpastatube auf die Zahnbürste aus und hört nicht auf zu reden und glücklich zu sein über die kleinen Dinge. Sabine Weithöner erzählt von diesem Lebensmut mit einer feinen Mimik, die zart verästelt bis ins kleinste Detail schön ausgespielt ist.
Eindringlich interpretiert die Schauspielerin die Schwerstarbeit Winnies, anzukämpfen gegen das allmähliche, unaufhaltsame Verschwinden des Menschen von dieser Erde, gegen das eigene irdische Ende. Dieses einfühlsame Spiel eröffnet eine emotionale Zwiesprache mit dem Zuschauer. Alles ist gut getimt. Die wenigen stillen Momente sind hauchdünn ausgekostet; die Sprache Becketts in der deutschen Übersetzung von Erika und Elmar Tophoven bestens pointiert.
Ihre Requisiten – einen schwarzen Ledersack, einen Spiegel, Schminksachen, eine Spieluhr und einen Revolver, um eventuell selbst über das Ende zu entscheiden – benutzt Winnie für kleine Stegreif- Nummern bis hin zum pyrotechnisch in einer hellen Stichflamme explodierenden Sonnenschirm.
So übersteht sie den Tag, und Sabine Weithöner dokumentiert diesen Überlebenskampf im starken Ausdruck ihrer beredten Augen, die alle Gefühle Winnies widerspiegeln, die erzählen von Freude und Traurigkeit, von Liebe und Verlassenheit, von Angst und Hoffnung, von Eingezwängtheit und befreiendem Lebensmut.
Es sind die kleinen Momente, die glücklich machen, das Mitsummen Willies, eine kurze Antwort von ihm: Dieses seltsame Spiel hat der Regisseur schön ziseliert. Wenn dann im zweiten Akt Winnie bis zum Hals im Erdhügel steckt, entwickelt sich dieser Monolog noch mehr zu einem faszinierenden Mienenspiel: facettenreich und mit großer inneren Dynamik – steigert sich punktuell zu einer absurden Humoreske.
Am Ende rafft sich Willie mit unendlicher Mühe noch einmal auf – in der Inszenierung von Weckherlin aus Liebe –, um ausstaffiert im Anzug, mit Blümchen im Reversloch und mit Blumenstrauß seiner Winnie ein letztes Mal nahe zu sein: Martin Bringmann quält sich dafür eindrucksvoll in einer starken Szene den Erdhaufen empor. Und für Winnie bleibt die seufzende, immerwährende Erkenntnis: „Oh, dies ist ein glücklicher Tag, dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein! Trotz allem. Bislang.“
Schwäbisches Tagblatt, 5. Oktober 2016
Letzte Liebe mit Schirm, Charme und Pistole
(von Peter Ertle)
Mit Samuel Becketts "Glückliche Tage" wird am LTT ein absurd-existentialistischer Klassiker recht Autoren-treu inszeniert.
Es ist keine weite versengte Grasebene, die sich in der Mitte zu einem kleinen Hügel erhebt. Sondern alles sehr steinern, marmorn (Bühne: Kay Anthony), was sowohl an versiegelte Flächen wie an Grabsteine erinnert. Und das macht Sinn, denn die Versiegelung hat mehr mit uns zu tun als die Steppe. Und der Tod ist sowieso präsent in Becketts "Glückliche Tage".
Winnie steckt ab der Brust in diesem Hügel, später schaut nur noch der Kopf raus, Winnie versinkt, wird verschluckt. Hinter dem Hügel ihr Mann Willie, der kaum spricht, sich nur noch schleppend unter großer Mühe bewegen kann und ziemlich auf Kleinkind oder Pflegefallstatus reduziert ist. Wer alte, gebrechliche Eltern hat oder einen Pflegefall, hat sofort eine lebensweltliche Assoziation.
Daneben, als größeren Bogen, die anthropologische Schiene: Der Mensch (die Krone der Schöpfung, das Schwein) wird in diesem Stück charakterisiert durch: Etwas Hab und Gut, hier versinnbildlicht in einer Tasche, eine Behausung, hier in Form eines aufspannbaren Schirms, der Blick nach oben, zu Höherem, hier in Form von Gebeten, außerdem ein benötigtes Gegenüber, ein Körper (inclusive Sexus), der instand gehalten werden muss (Zähneputzen).
Darüberhinaus hat er ein nostalgisches Verhältnis zu dem, was war, und es ist alles immer schon vorbei, sogar die Gegenwart "wird gewesen sein". Vor allem hat der Mensch bei allem Verfall einen unabänderlichen Willen zum Glück. Dass wir uns Sisyphos keineswegs als unglücklichen Menschen vorstellen dürfen, hat ja schon Camus festgestellt. Ach ja, ein bisschen Kunst und Unterhaltung hat er auch gern, der Mensch. Winnie und Willie singen.
Kunst: Zum Beispiel Thorsten Weckherlins Inszenierung von Samuel Becketts "Glückliche Tage". Ziemlich texttreu gespielt, ein moderner Klassiker, keine Aktualisierungsspirenzen. Da es aufgrund der Bewegungs- und Textminimalität Willies ja fast ein Einfraustück ist, lebt es von dieser einen Schauspielerin, die ja fast nur auf Gesichtsmimik und Stimme reduziert ist. Und da beschert Sabine Weithöner dem Publikum einen schönen Abend. Moduliert, singsangt, schreit in einem plötzlichen Anfall von Verlassenheitsgefühl, wird von warmen Glückswellen überströmt. Manchmal sehen wir das knisternde Einrieseln des Zweifels. Durch und durch eine Kunstfigur, aber sehr psychologisch-realistisch motiviert.
Thorsten Weckherlin konkretisiert an der ein oder anderen Stelle, lässt den Sonnenschirm in einem Überraschungscoup zum Feuerball entflammt wegfliegen, arrangiert genaue Blicke auf die Pistole vulgo Suizidmöglichkeit, lässt keinen Zweifel, welche Schmuddelbildchen Willie anschaut und zu welchem Zweck.
Ach, Willie, haben wir nicht eben gesagt, es sei fast ein Einfraustück? Ja, aber wie großartig ist doch Martin Bringmanns arschbackig sackschwere Körperlichkeit, unglaublich wie er sich später, ein Tier fast ohne Arme, gegen tonnenschwere Erdanziehungskraft nach oben stemmt, sein Gesicht an Winnies Hügel drückt, in der einen Hand ein Strauß Blumen.
"Glückliche Tage" ist auch eine verdrehte Liebeserklärung an die Liebe, das Leben, trotz oder gerade wegen unser aller Hinfälligkeit, in diesem Stück lebt als Erbe von Becketts christlicher Erziehung das Erbarmen mit dem Menschen. Und zumindest das macht sich als Botschaft ja immer gut. Als memento mori-Schocker in unserer technisch avancierten, optimierungssüchtigen Zeit ist es aber doch zu formalistisch und inzwischen zu modern-museal.
Interessant, dass der Intendant für den Einstieg in seine Regietätigkeit eine sichere Bank ohne viel Risiko, aber auch ohne Aussicht auf allzu große Meriten gewählt hat, ein kleines Stückchen für die kleinste LTT-Bühne. Die beiden Schauspieler legen nach ihrer stückauferlegten Kunststarre mitten im Schlussapplaus noch ein Tänzchen hin und holen etwas Bewegung nach. Schön.
Reutlinger General-Anzeiger, 5. Oktober 2016
Bis zum Hals begraben und frohlockend
(von Thomas Morawitzky)
Intendant Thorsten Weckherlin inszeniert am LTT Samuel Becketts Ehestück "Glückliche Tage"
»Dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein«, sagt Winnie. Sie putzt sich die Zähne, sie schminkt sich. Irgendwo im Nirgendwo, in einer Wüste ist sie eingegraben bis zur Hüfte. Ihr Mann Willie liegt neben ihr, liest Zeitung. Das Landestheater Tübingen hat Samuel Becketts Parabel der menschlichen Existenz in einer Inszenierung des Intendanten Thorsten Weckherlin auf die Bühne gebracht.
»Glückliche Tage« irritierte bei seiner Uraufführung vor 55 Jahren noch weit mehr als Becketts vorangegangene Stücke. Eine Dame der bürgerlichen Gesellschaft befindet sich in einer vollkommen aussichtslosen Lage, an einem unwirklichen Ort und setzt ihr Leben heiter plaudernd fort. Zwischen ihren Worten, ihren tagtäglichen Besorgnissen und Sentimentalitäten scheint das selten eingestandene Grauen auf.
»Glückliche Tage« ist ein absurdes Ehestück, ein Stück, das auf bitterkomische Weise zeigt, wie unterschiedlich Mann und Frau die Hoffnungslosigkeit des Daseins hinnehmen. Und es ist das Stück, bei dem Beckett, radikaler als zuvor, die Möglichkeiten der Regie einschränkte, das Bühnengeschehen auf das Sprechen einer einzelnen, hilflos fixierten Figur beschränkte. Existenz und Bühne sind hier eins. Winnies Monolog ist ein seiner selbst bewusstes Spiel, das zu einem Drama der Nuancen, Zwischentöne, Pausen wird. Und also zu einer großen Herausforderung für jede Schauspielerin.
Im kleinen Saal des oberen LTT erlebt das Publikum am Sonntagabend, wie Sabine Weithöner ihre Rolle erobert, Satz für Satz. Sie spielt Winnie, die für sich selbst spielt und für einen unsichtbaren Dritten, den Zuschauer, der ihr Gott ist: »Jemand sieht mich immer noch an«, sagt sie nachdenklich. Weithöner und Winnie tasten sich gemeinsam in ihre Rolle hinein; das Spiel, das nichts als Oberfläche sein will, bricht sich immer wieder an der grausamen Irrealität der Situation.
Bühnenbildner Kay Anthony hat Becketts kleinen Hügel »vor der kitschig naturgetreuen Darstellung einer ununterbrochenen Ebene und eines ununterbrochenen Himmels« als stumpfen grauen Kegel interpretiert, der in eine dicke, quadratische Sockelplatte mündet. Martin Bringmann als Willie liegt dort, zusammengekrümmt, mit abgerutschter Unterhose, presst sein Gesicht gegen den Sockel – Winnie weckt ihn, indem sie ihn mit ihrem Schirm anstößt.
Willie wird in der Zeitung immer wieder von einem fixen Jungen lesen, der per Stellenanzeige gesucht wird; er wird sich kriechend in grotesker Stellung um Winnies Grabmal herumbewegen, ihr eine vermeintlich pornografische Postkarte reichen und sie mit nervösem Fingerschnippen von ihr zurückfordern. Manchmal stößt er ein Grunzen oder einen grimmigen Halbsatz hervor.
Winnie putzt sich, plaudert, erinnert sich, erschrickt. Sabine Weithörner spielt Momente von bestürzender Emotionalität, die ins Nichts münden. »War ich je liebenswert?«, fragt sie Willie. Und ein langes Schweigen folgt. Vor ihr, zwischen Sonnenschirm und Handtasche, liegt die Pistole, die sie nicht benutzen wird. »Der alte Stil!«, das ruft sie immer wieder aus, wenn sie die Waffe anblickt, im hartgesottenen Ton eines Hollywood-Gangsters. Ihre Zahnpastatube ist ausgepresst; um eine Schrift zu lesen, zieht sie eine Lupe hervor, hebt sie auf – das Publikum blickt auf Winnies großen Mund.
Leise elektronische Musik von Markus Maria Jansen bricht das schwere Stück nur selten auf, füllt das Dunkel, das die beiden Akte trennt, die im LTT ohne Pause durchgespielt werden. Winnie erwacht, eingegraben bis zum Hals, ganz unbeweglich.
In Sabine Weithöners Gesicht spiegelt sich nun, noch intensiver als zuvor, der Schrecken, die Hilflosigkeit, die absurde Hoffnung, auch die Liebe. Ihre Augen huschen umher. Und schließlich erscheint Willie vor ihr, schiebt sich platt über den Boden; im Frack nun kriecht er am Kegel hinauf, ein Bräutigam, der Winnie Blumen bringt und sich nach der Pistole streckt. Den Kopf auf den Kegel gestützt, den Körper auf Zehenspitzen ausgestreckt, verharrt er qualvoll lächerlich an der Seite seiner Braut.
Samuel Beckett zeigt den Menschen mit erbarmungslosem Mitgefühl; Thorsten Weckherlin inszeniert ihn textnah und ohne Eingeständnisse an den Zeitgeschmack. Aber er gönnt Winnie und ihrem Publikum auch den einen oder anderen Aufschrei, Temperamentsausbruch. Sabine Weithöner und Martin Bringmann entlassen ihre Zuschauer nicht mit dem verstörend komischen Schlussbild – dieses seltsame Paar verabschiedet sich mit einem seltsamen Tänzchen zum Elektrobeat vor der grauen Unendlichkeit.