Folge 12 - Siegfried im Glitzerhemd und König Gunther mit Dauerwelle

5. August 2013




   

Und, Herr Regisseur, wie läuft die Premiere bisher? (Foto aus DAS NASHORN NORBERT NACKENDICK)


Was anderen Regisseuren einfällt, um die Nibelungensage zu inszenieren, ist auch nicht übel: Stylische Kostüme und ausgefeilte Texte dürfen da nicht fehlen! Um das NEUES VON DEN NIBELUNGEN-Team optimal auf die Inszenierung vorzubereiten, halten wir einen Videoabend mit schlechten Verfilmungen der Nibelungensage ab. Zuerst kommen wir in den Genuss eines sehr epischen Films mit Benno Fürmann als muskelbepacktem, langhaarigem Siegfried. Der Darsteller scheint nur einen einzigen Gesichtsaudruck zu beherrschen: Mit pathetisch geweiteten Augen, starrem Blick und gerecktem Kinn schmiedet er Schwerter, zieht in Schlachten und verliebt sich in Königinnen. Als sein Filmvater stirbt, werden dieser Mimik sogar noch ein paar herunterlaufende Tränen hinzugefügt – wow! Unsere Dramaturgin entdeckt in der Verfilmung ein Medley aus Motiven von „Fluch der Karibik“, „Harry Potter“, „Die Wand“ und „Tarzan“...und jedes Mal, wenn etwas Mystisches passiert, wird symbolträchtig ein Rabe ins Bild gerückt. Da hat jemand Visionen, als er in Rabenaugen blickt, Siegfried und Brunhild kommunizieren über solche Vögel und immer flattert schwarzes Federvieh durch den Wald, wenn Prophezeiungen gemacht oder Flüche ausgesprochen werden. Ich bin ja stark dafür, dass wir uns für unser Stück einen Plastikraben anschaffen – einen von denen, die immer in Läden auf dem Boden stehen, damit die Tür nicht zufallen kann – und diesen fortwährend über die Bühne tragen, wenn irgendjemand irgendetwas tut, das von weitreichender Bedeutung sein könnte. Auf dem Kopf des dicklichen Königs Gunther prangt eine 80er-Jahre-Dauerwelle, Brunhild trägt hellblonde Zöpfchen und schmachtet, als sie von ihrem Siegfried getrennt ist: „Ach mein Geliebter – so nah meinem Herzen und meinem Geist, aber meinem Körper so fern!“ - „Können wir diesen Monolog BITTE für unser Stück übernehmen?!“, ruft unsere Brunhild-Darstellerin sarkastisch. Irgendwann nach dem Tod des Drachen brechen wir den Film ab und wenden uns der Wormser Nibelungen-Inszenierung zu. Zu meiner großen Freude trägt die Brunhild darin Dreadlocks. Siegfried dagegen ist mit einem bauchfreien silberfarbenen Leibchen ausgestattet und so schmächtig und jung, dass er der weiblichere Part seiner Beziehung zu Kriemhild zu sein scheint. Schön ist der Inszenierungseinfall, König Gunther von seiner Frau an Ketten durch den Schlamm schleifen zu lassen – sie kommandiert, er solle ihr Blumen bringen, und er pflückt ihr Rosen mit dem Mund. Die Sage wird in Rückblenden erzählt, zwischendurch spurten immer wieder Reporter hinter die Bühne und versuchen, die Schauspieler zu interviewen. Das allerdings gestaltet sich schwierig, da diese gerade ihre Starallüren pflegen: „Hmm, ich würde jetzt gern...ich wollte gerade eigentlich dem Hagen eine Frage stellen, aber ich bin mir nicht sicher, ob...ob ich ihn jetzt ansprechen soll...nein...nein, ich glaube, das ist nicht der richtige Moment, er ist so sehr in seiner Konzentration, so sehr in der Rolle“, flüstert die Moderatorin da ehrfurchtsvoll. Wo sie Recht hat, hat sie Recht, denn der Hagen-Darsteller wartet gerade auf sein Stichwort und scheint nicht in der Stimmung, nebenbei noch ihre Befragung über sich ergehen zu lassen: „Und, wie fühlt sich die Vorstellung bisher an?? Spürt man schon in der ersten Szene, wie das Publikum so drauf ist??“ Die Reporterin setzt sich sogar während des Stückes neben den Regisseur und fragt ihn, wie die Premiere momentan so laufe. Ich rufe: „Darf ich das bei unserem Regisseur machen, wenn wir am 11.Oktober Premiere haben?!“ Der Wormser Regisseur jedenfalls gibt gerne ausschweifend Auskunft über alles und jeden - bis hin zur orthopädischen Behandlung eines Schauspielers. An dieser Stelle wird er dann sogar von der sensationslüsternen Interviewerin unterbrochen. Der Co-Moderator bringt dafür den Scherz des Abends: „Ich stehe hier gerade vor der Treppe, die die Burgunder nachher erklimmen werden...allerdings erst später, das sind offenbar Spätburgunder, haha.“ Insgesamt hat der Abend uns also herrliche Inspirationen für unser Stück geliefert: Meiner Meinung nach brauchen wir unbedingt eine Handvoll Backstage-Reporter, einen Plastikraben und ein silberfarbenes Drachentöter-Leibchen! Und eine Menge Spätburgunder... Der nächste und letzte meiner Blogeinträge folgt bald, bis dann!





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