Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Julia Staufer, Dennis Junge · Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Insa Jebens, Dennis Junge, Rolf Kindermann, Davíd Gavíria, Justin Hibbeler, Julia Staufer · Foto: Martin Sigmund
Davíd Gavíria · Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Justin Hibbeler, Davíd Gavíria · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Dennis Junge, Davíd Gavíria, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Julia Staufer, Insa Jebens, Davíd Gavíria · Foto: Martin Sigmund

Woyzeck

Dramenfragment von Georg Büchner · 16+


Schwäbisches Tagblatt, 22. Februar 2022

Gewalt-Fantasie im Theaterlabor

(von Achim Stricker)

Ein Bruch-Stück: Christiane Pohle inszeniert Georg Büchners „Woyzeck“ am LTT als Fragment-Collage.

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Schwarzwälder Bote, 21. Februar 2022

Äußerlich und innerlich Getriebene

(von Christoph Holbein)

Inszenierung von „Woyzeck“ spielt mit körperlichen Bildern

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Reutlinger General-Anzeiger, 19. Februar 2022

Wenn das Schlagzeug im Kopf trommelt

(von Kathrin Kipp)

Der Mensch als Jahrmarkt-Kuriosität: Christiane Pohles Inszenierung von Büchners »Woyzeck« am LTT

»Was ist der Mensch? Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?«, fragte sich Büchner. Wie praktisch wäre es, wenn man in den Menschen hineinsehen könnte. Regisseurin Christiane Pohle versucht nun am LTT, wenigstens ein klein wenig in Büchners so rohen wie tiefgründigen »Woyzeck« hineinzublicken.

Ist es die Eifersucht, die Armut, die permanente Demütigung, die Genetik, die Psyche, das System, die Gesellschaft oder die bloße Natur, die uns die Kontrolle verlieren lässt? Nicht nur Woyzeck ist ein ungeschliffener, brüchiger, zerrissener Mensch, auch Büchners Drama wurde bekanntlich nur als verzetteltes Stückwerk in verschiedenen Versionen hinterlassen. Christiane Pohle und Laura Guhl (Dramaturgie) erstellen daraus eine szenische Collage aus menschlichen Bruchstücken, psychotischer Poesie, bedrohlichem Getrommel, zynischen Experimenten, vielsagenden Bildern und sportivem Ausdruckstanz.

Vor allem am Anfang, wenn die Frauen und Männer in ihren unterschiedlichen (Macht-) Verhältnissen hineinkugeln ins soziale Drama. In die Welt fallen, wie man so schön sagt. Wo es kein Richtiges im Falschen gibt. Bühnenbildnerin Charlotte Pistorius stellt dazu ein Theater im Theater auf die Bühne, eine Art Kuriositäten-Jahrmarkt, auf dem die Menschen vorgeführt werden und sich selbst vorführen.

Auf der hölzernen Zuschauertribüne versammeln sich die Figuren und begutachten den »Fall Woyzeck«, an dem sie selbst teilhaben. Der schäbige Theatervorhang ist eine Mischung aus Rohrschach-Test und Turiner Grabtuch, an dem sich die Wissenschaft ja auch schon die Zähne ausgebissen hat.

Und so versuchen sich Medizin, Kunst und Jahrmarkt am kuriosen Faszinosum Mensch. Das Publikum auf der Bühne summt Gustav Mahlers »Bruder Jakob« in Moll, der zum grotesken Trauermarsch anwächst. Woyzeck wird so lange gedemütigt von den Verhältnissen, von Gesellschaft und Wissenschaft, bis er tatsächlich Amok läuft.

Christiane Pohle verteilt Büchners Textfragmente auf sieben Figuren, der Hauptmann ist hier eine zynische Frau Hauptmann (Insa Jebens), die sich vom unterwürfigen Woyzeck die Beine rasieren und Fußnägel schneiden lässt. Und von dem sie so angewidert wie fasziniert ist. Sie führt ihn vor, belehrt ihn in Sachen Moral und hetzt ihn auch noch gegen seine Marie auf, bis er irgendwann seine ganze Wut, Hilflosigkeit und Ohnmacht an einem Wesen rauslässt, das noch tiefer steht als er.

Aber was soll man machen, wenn »einem die Natur kommt«? Sind wir Opfer oder Täter? Sind wir der Natur unterworfen, haben wir einen freien Willen oder sind wir alle nur dumme Esel? Dieses alte Rätsel will auch diese Inszenierung nicht lösen, aber mit all diesen Motiven spielen.

Was allerdings als ziemlich sicher gilt: Wer bettelarm ist, kann sich keine Moral leisten. Auch der Doktor im Stück hält sich nicht lange mit moralischen Fragen auf, sondern stellt mit Versuchsobjekt Woyzeck im Dienst der Wissenschaft kranke Experimente an. Die Figur wird gespalten in eine Frau Doktor (Hannah Jaitner), die Woyzecks Urinproben per Tageslichtprojektor als psychedelische Kunstwerke auf die Projektionsfläche wirft, und einen fiesen Herrn Doktor (Rolf Kindermann), der dem gestressten und mangelernährten Hilfsarbeiter bei jeder Runde ein Bein stellt.

Woyzecks Welt ist eine sehr körperzentrierte. Umso mehr sind die Figuren von den Unsichtbarkeiten genervt: »Man sieht nichts, man müsste es sehen!« Justin Hibbeler sucht als Woyzeck an seiner Marie die optischen Spuren ihrer Sünden. Und hetzt ansonsten – »wie ein offen Rasiermesser durch die Welt, man schneid’ sich an ihm« – von Aushilfsjob zu Aushilfsjob.

Seine psychotischen Zustände suchen ihren Ausdruck in finsteren, blutigen und vielstimmigen Metaphern, während die Regie ihn in Bergen von Kleiderlumpen wühlen lässt. Auch ein sehr düsteres Bild. Dazwischen trommelt sich der ewige Konkurrent Tambourmajor (Dennis Junge) in Woyzecks Kopf. Marie (Julia Staufer) wiederum verzweifelt an Woyzeck sowie an den gesellschaftlichen, religiösen und moralischen Zwängen. Einzig Andres (David Gavíria), weiß Rat: Schnaps trinken gegen das Fieber.


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