Hannah Jaitner, Lucas Riedle, Justin Hibbeler, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Justin Hibbeler, Lucas Riedle, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Lucas Riedle, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Justin Hibbeler, Lucas Riedle, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Justin Hibbeler, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Hannah Jaitner, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Justin Hibbeler, Insa Jebens, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Justin Hibbeler, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Justin Hibbeler, Lucas Riedle, Hannah Jaitner Foto: Martin Sigmund

Vom Wert des Leberkäsweckles

Eine Erkundung zu Demenz und Gesellschaft am Fall Walter J. von Jörn Klare · 15+

Uraufführung


Schwarzwälder Bote, 12. Dezember 2022

Demenz: Wenn der Dreißigjährige Krieg im Gehirn wütet

(von Christoph Holbein)

Uraufführung - Eindrücklich und eindringlich: »Vom Wert des Leberkäsweckles« überzeugt

[mehr lesen]


Südwest-Presse, 9. Dezember 2022

Tragödie des Vergessens

(von Wilhelm Triebold)

Ebenso nachdenklicher wie unterhaltsamer Annäherungsversuch an das, was Identität ausmachen soll.

[mehr lesen]


Schwäbisches Tagblatt, 6. Dezember 2022

Wie spielt man Vergessen?

(von Justine Konradt)

Szenen, die zu Herzen gehen und überzeugen

[mehr lesen]


Reutlinger General-Anzeiger, 5. Dezember 2022

Leberkäs im Kopf

(von Thomas Morawitzky)

Jörn Klare bringt dem Gelehrten, der wieder Kind wurde, viel Gefühl entgegen, und Sascha Flocken inszeniert das Spiel klar, respektvoll und mit leisem Humor

Wie mag das sein, ein großer Geist gewesen zu sein, und plötzlich keiner mehr? Erst eine Koryphäe des Weltwissens, dann ein kindliches Gemüt? Demenz ist ein Thema, dem in Tübingen besonderes Gewicht zukommen mag, denn Walter Jens ist unvergessen dort, der große Rhetoriker, Altphilologe, und, in den letzten Jahren seines Lebens, Opfer einer Krankheit, die all dies auslöschte. Aber Demenz – oder: das Alter, das schwindende Gedächtnis, das brüchige Sein trifft irgendwie alle Menschen gleichermaßen, denn: Wer weiß schon, wie er sein Leben beenden wird? Besitzt es noch einen Wert, wenn Erinnerung und Identität verloren sind? Wann ist ein Mensch ein Mensch?

Das Landestheater Tübingen schlägt den Bogen sehr weise und gelungen. »Vom Wert des Leberkäsweckles. Eine Erkundung zu Demenz und Gesellschaft am Fall Walter J.« erlebt dort am Samstagabend seine Uraufführung; Autor Jörn Klare ist zugegen. Klare, Journalist und Dramatiker aus Berlin, beschäftigte sich zuvor schon mit dem Thema. Sein Buch »Als meine Mutter ihre Küche nicht mehr fand« erregte vor zehn Jahren Aufsehen, beschäftigte sich mit ähnlichen Fragen wie nun sein Stück über Walter Jens. Der Autor selbst wird, dargestellt von Lucas Riedle, einen Auftritt im Stück haben.

Walter Jens indes wird gespielt von Justin Hibbeler, der dem Gelehrten ein jugendlich frisches Gesicht gibt, das in plötzlichem Gegensatz steht zur kraus gezogenen Stirn, mit der er seinen Erinnerungen lauscht, die ihn verlassen haben. Lucas Riedle nämlich, Hannah Jaitner und Insa Jebens spielen personifizierte Vergangenheitsfragmente, gehen umher und erklären Walter Jens, was er alles nicht mehr weiß.

Paula Mierzowsky hat die Schauspieler eingekleidet in eine Mode vergangener Zeiten, pastellfarben, hat die Bühne eingerichtet als ein Arbeitszimmer – ein Sessel, Regale voller Bücher. Zu Beginn entfernen die Darsteller die Tücher, mit denen die Möbel verhängt sind; später wird Walter Jens einige Bücher aufschlagen und darin geschredderte Seiten finden, eigene Erinnerungen durch den Schredder jagen. Der übergroße Kopf einer antiken Statue liegt auf dieser Bühne, zur Seite gestürzt – diesen Kopf wieder zurechtzurücken, gehört zur Aufgabe der Schauspieler. Es gibt, weit hinten, gebrochene Säulen und einen Vorhang, halbundurchsichtig, hinter dem man Walter Jens einmal tanzen sieht, mit seiner Frau, die er bald nicht mehr erkennt. Ein Spiel findet statt, das wortlos beginnt, in dem dann mehr und mehr Fragen gestellt werden, zusehends dringlicher – denn schließlich geht es auch darum, ob Walter Jens sein Leben noch als lebenswert empfunden hätte, so wie er es zuletzt führen musste. Es geht um Leben und Tod.

Man hört O-Töne aus Interviews, in denen Jens von seinen Vorbildern spricht, von Lessing und Fontane, davon, dass er der 68er-Generation als »Scheißliberaler« galt. Manchmal mimt Justin Hibbeler das Sprechen dieser Zitate, manchmal tritt Insa Jebens auf als Inge Jens. Und sie, verstorben erst im Dezember 2021, erzählt von den letzten Jahren ihres Mannes, von ihrer Entscheidung, ihn nicht, so wie er es zu Zeiten klaren Bewusstseins gewünscht hatte, zu töten.

Auch eine Zubereitungsanleitung zum Leberkäse wird hier auf der Bühne verlesen, nebst medizinischen Informationen zur Funktion des Gehirns, des Erinnerungsvermögens, zur Demenzerkrankung. Fragen gehen an die Zuschauer: »Stellen sie sich vor, Sie hätten vergessen, wer in der ersten Klasse neben Ihnen saß. Wann Sie zum ersten Mal von einem Dreimeterbrett gesprungen sind. Welches der schönste Moment in ihrem Leben war.« Man hört weißes Rauschen, die Schauspieler singen »La Paloma«, ein Lied aus der Jugend des gebürtigen Hamburgers Walter Jens.

Dass der Pazifist Walter Jens der NSDAP angehört hatte, als junger Mensch auch eine Rede über »entartete Literatur« hielt, was er später energisch bestritt – das Stück greift es auf als eine Frage, die ein neckisches Doch-noch-Erinnern dem stoischen Nicht-mehr-wissen-Wollen stellt. Walter Jens windet sich und steigt umher, im roten Faden, den er durch sein Arbeitszimmer gespannt hat.

Doch dieses Stück will keine Abrechnung sein. Jörn Klare bringt dem Gelehrten, der wieder Kind wurde, viel Gefühl entgegen, und Sascha Flocken inszeniert das Spiel klar, respektvoll und mit leisem Humor. Jenem Walter Jens, der über den Selbstmord schrieb und ein Leben verwarf, in dem er nicht mehr in der Lage wäre, weiterzuschreiben, widersprechen sie mit leiser Eindringlichkeit. Nur die Tübinger Stadtgesellschaft, die sich empörte, als Inge Jens ihren Mann mit einer Pflegerin in der Stadt herumgehen ließ – die kommt schlecht davon.

Walter Jens konnte den Tacitus schließlich nicht mehr lesen; seine Krankheit machte sich zuerst bemerkbar, als Inge Jens ihn vorfand, mit einem Buch, das er verkehrt herum hielt. Aber er begann den Geschmack von warmem Leberkäse zu lieben.

Zu Beginn des Stückes öffnen die Schauspieler den großen antiken Kopf auf der Bühne und finden darin nur das geschredderte Papier; zuletzt öffnen sie ihn noch einmal und finden duftende Leberkäsebrötchen. Sie setzen sich und beißen herzhaft zu.


[schliessen]


Die Deutsche Bühne - Online, 4. Dezember 2022

Vom Entschwinden der Erinnerung

(von Manfred Jahnke)

Mit der Betonung des Komödiantischen erhält diese Inszenierung eine Leichtigkeit, die die „Schwere“ des Inhalts nicht entschwinden lässt

[mehr lesen]






© 2016     Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Impressum