Hannah Jaitner, Lucas Riedle, Justin Hibbeler, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Justin Hibbeler, Lucas Riedle, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Lucas Riedle, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
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Hannah Jaitner, Justin Hibbeler, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
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Justin Hibbeler, Hannah Jaitner, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
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Insa Jebens, Justin Hibbeler, Lucas Riedle · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Justin Hibbeler, Lucas Riedle, Hannah Jaitner Foto: Martin Sigmund

Vom Wert des Leberkäsweckles

Eine Erkundung zu Demenz und Gesellschaft am Fall Walter J. von Jörn Klare

Uraufführung


Schwarzwälder Bote, 12. Dezember 2022

Demenz: Wenn der Dreißigjährige Krieg im Gehirn wütet

(von Christoph Holbein)

Uraufführung - Eindrücklich und eindringlich: »Vom Wert des Leberkäsweckles« überzeugt

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Südwest-Presse, 9. Dezember 2022

Tragödie des Vergessens

(von Wilhelm Triebold)

Ebenso nachdenklicher wie unterhaltsamer Annäherungsversuch an das, was Identität ausmachen soll.

Im kommenden Jahr gibt es den hundertsten Geburtstag von Walter Jens zu feiern. Es ist zudem 2023 zehn Jahre her, dass der „einzige intellektuelle Zehnkämpfer der Bundesrepublik“, wie ihn der „Spiegel“ nannte, gestorben ist: In einem Dämmerzustand geistigen Totalverlusts, was gerade in diesem Fall der Familie Jens bis heute mit der Wucht einer attischen Tragödie gleichgesetzt wird.

Der Mann, der scheinbar alles wusste, der sich vor nichts mehr fürchtete als davor, nicht mehr rhetorisch glänzen oder schreiben zu können: hilflos im Dauermodus des Vergessens und Verdrängens verstrickt. Als junger Altphilologe und Kritiker, noch in der Hoffnung, auch als Literat in der Gruppe 47 bestehen zu können, hat Walter Jens das Thema schon früh gestreift, in Romanen wie „Der Mann, der nicht alt werden wollte“ und vor allem „Vergessene Gesichter“. Dort lässt der gerade mal 29-Jährige im Altersheim greise Mimen der Vergänglichkeit anheimfallen. „Madeleine begann zu vergessen“, heißt es etwa über einen verblichenen Schauspieler-Star: „Sie dachte nicht mehr an ihre großen Rollen, sie vergaß die Texte, und wenn sie die Bilder ansah, geschah es ihr manchmal, dass sie ins Leere blickte.“

Demenz war damals noch terra incognita. Zwar schilderte Alois Alzheimer 1906 in Tübingen, der späteren Wirkungsstätte von Walter Jens, den Krankheitsverlauf erstmals auf einer Wissenschaftstagung, was weitgehend unbeachtet blieb. Man wusste erst wenig, und weil Literatur auch ein Spiegel gesellschaftlicher Zustände ist, beschäftigt sie sich erst seit den 1990er Jahren genauer mit dem altersbedingten Zerbröseln des Verstands und des Gedächtnisses, oft genug aus persönlichem Antrieb. Romane wie Arno Geigers Vater-Hommage „Der alte König in seinem Exil“ oder zuletzt David Wagners „Der hilflose Riese“ stehen dafür. Mit Peter Turrrinis „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ schaffte es das Sujet sogar auf die Bühne, konnte aber an vergangene Erfolge des einstigen Skandalautors nicht anschließen.

Bleibt der Fall Walter J.: Bereits 2010, also noch zu Jens‘ Lebzeiten, verknüpfte der gelernte Anglist Joachim Zelter am Tübinger Zimmertheater die Professorendämmerung im Hause Jens mit einer anderen, viel älteren Geschichte der Verstörung, mit Shakespeares „König Lear“. Eine Demenz-Dramödie mit Thomas-Bernhard-Suaden und Situationskomik, die Shakespeares Tragödie vom Unglückskönig geschickt in ein heutiges Leben einfallen ließ, wie es von chronischem Gedächtnis- und Persönlichkeitsverlust gezeichnet wird.

Wohl nicht ganz zufällig ist nun im Herbst auch die Roman-Version von Zelters „Professor Lear“ im Kröner Verlag erschienen. Und an der anderen Tübinger Bühne, dem LTT, kommt mit „Vom Wert des Leberkäsweckles“ ein Auftragsstück heraus, das Demenz und Gesellschaft an diesem Modell-Fall erkunden möchte. Regisseur Sascha Flocken schickt dazu ein Schauspiel-Kleeblatt zwischen antike Trümmer, verhüllte Möbel und verstaubte Bücherregale, zu einer Art Geisterbeschwörung der Dekonstruktion zwischen geschredderten Zitatschnipseln, zeitdokumentarischen O-Tönen und biografischem Treibgut.

Der Autor Jörn Klare hat emsig recherchiert und sich, ebenfalls familiär belastet, tüchtig in die Materie reingebimst. Es wird sogar ein roter Faden gespannt in diesem ebenso nachdenklichen wie unterhaltsamen Annäherungsversuch an das, was Identität ausmachen soll.

Denn es bleibt ein Elefant im Raum: Was macht den Menschen erst zur Persönlichkeit, zur einzigartigen Einheit aus Wissen und Vergessen, der sein Gehirn stündlich, täglich erst vermüllt und dann wieder säubert? Auch wenn Identität mittlerweile zum ideologischen Kampfbegriff zu werden scheint: Nirgends lässt sich ihr besser nachspüren als auf der Bühne, auf der Akteure und Akteurinnen gedankenvoll ihr Rollenspiel reflektieren. Es geht ansonsten um Sterbehilfe, um Lebensrecht, um Widerspruch und Überlebenswillen. Mitunter auch etwas flapsig, wenn es heißt: „Tschüss Geist! Hallo Windel!“

Leider hat Walter Jens nie seine Memoiren verfasst, sodass nicht zu ermessen ist, ob er ursprünglich dem Schokokuss (wie bei Zelter) oder besagtem Leberkäsweckle größeren Wert beimaß. Das letzte Wort auf der Bühne gebührt jedenfalls ihm: „Man stirbt, und draußen machen die Leute Urlaubspläne“, tönt es im typischen Jens-Sound aus dem Off. „Und es geht weiter und es geht weiter, und du bist nicht mehr dabei.“


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Schwäbisches Tagblatt, 6. Dezember 2022

Wie spielt man Vergessen?

(von Justine Konradt)

Szenen, die zu Herzen gehen und überzeugen

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Reutlinger General-Anzeiger, 5. Dezember 2022

Leberkäs im Kopf

(von Thomas Morawitzky)

Jörn Klare bringt dem Gelehrten, der wieder Kind wurde, viel Gefühl entgegen, und Sascha Flocken inszeniert das Spiel klar, respektvoll und mit leisem Humor

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Die Deutsche Bühne - Online, 4. Dezember 2022

Vom Entschwinden der Erinnerung

(von Manfred Jahnke)

Mit der Betonung des Komödiantischen erhält diese Inszenierung eine Leichtigkeit, die die „Schwere“ des Inhalts nicht entschwinden lässt

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