Schauspiel von Urs Widmer
Schwarzwälder Bote, 27. Juli 2020
Auf dem Pezzi-Ball ins neue Leben
(von Christoph Holbein)
Das Stück "Top Dogs" von Urs Widmer feiert am LTT eine kurzweilige Premiere
Es ist eine Inszenierung auf Abstand, und das passt bestens zur Intention des Stückes. Regisseur Christoph Roos trifft also mit seiner Interpretation des Schauspiels »Top Dogs« von Urs Widmer in der Werkstatt des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) den Nerv. Das Werk, in dem es um Business, Einfluss, Ansehen und jede Menge Geld geht, gewinnt dadurch an Intensität.
An den Füßen ohne Schuhe nur mit Strümpfen bekleidet und auf Pezzi-Gymnastikbällen schaukelnd ist für eine Gruppe entlassener Spitzenmanager und -managerinnen – die »Top Dogs« – ihre schöne, reiche Welt zusammengebrochen. Jetzt sollen sie lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Zynisch und eiskalt widerfährt ihnen nun am eigenen Leib, was sie jahrelang selbst ihren Untergebenen gepredigt haben: Scheitern als Chance, Arbeitslosigkeit als neue Möglichkeit, die eigene berufliche Laufbahn zu optimieren.
Das fünfköpfige Ensemble spielt das stark, echauffiert und überdeutlich, denn »Business, das ist Krieg«. Ein Kunstgriff dabei: Die Schauspieler agieren mit ihren eigenen Namen, was die Inszenierung noch einen Hauch authentischer macht. In der sterilen Atmosphäre zelebrieren sie die Manager-Sprache und erkennen erst langsam, dass sie Arbeit und Macht verloren haben, dass sie ihre Karriere allerhöchstens in einem anderen Unternehmen fortsetzen können. Roos lässt seine Protagonisten sich zwischen Sarkasmus und leisem Humor entwickeln vom Stadium, in dem sie sich noch etwas vormachen, bis dahin, dass ihre Fassaden bröckeln und dahinter ihre menschlichen Züge, ihre Ängste, Sehnsüchte und Träume zum Vorschein kommen. Das ist präzise beobachtet und glaubhaft gesetzt.
Langsam lösen sich die Protagonisten, erzählen freimütiger, lassen Emotionen zu. Das Spiel auf der Bühne ist dann mitunter sogar witzig, wenn beispielsweise alle gruppendynamisch die Arme ausbreiten, sich strecken und dann in sich zusammenkauern untermalt mit dem Ruf »Ich will ein Adler sein und keine Ente«.
Die Inszenierung gibt den Schauspielern gestalterischen Raum. Sie nutzen das. Auf der Bühne wirkt ein gut aufeinander abgestimmtes, zueinander passendes und harmonisch miteinander agierendes Ensemble – und das macht die Stärke des Abends aus.
Schwäbisches Tagblatt, 21. Juni 2020
Das System frisst seine Nutznießer
(von Peter Ertle)
Urs Widmers Klassiker aus den 90er Jahren über gefeuerte Top-Manager. Eine böse Komödie mit Sehnsuchtszwischentönen. In einer durch Covid 19 schockartig ausgebremsten Wirtschaft samt ausgebremstem Leben erfährt das Virus der Gewinnmaximierung und seine Kollateralschäden erneute Aktualität.
nachttkritik, 21. Juni 2020
Vor dem Mord bitte Hände waschen
(von Thomas Rothschild)
Top Dogs / Medea – Landestheater Tübingen – Mit Euripides und Urs Widmer vermessen Ragna Guderian und Christoph Roos die Spannweite des Theaters durch zwei vordigitale Jahrtausende
Reutlinger General-Anzeiger, 21. Juni 2020
(von Martin Bernklau)
Urs Widmer ist seit sechs Jahren tot. Sein Stück »Top Dogs« über entlassene Manager, 1996 entstanden, ist auf ganz groteske Weise aktuell geworden.