Insa Jebens · Foto: Tobias Metz
Insa Jebens, Nicolai Gonther, Hannah Jaitner, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Insa Jebens, Nicolai Gonther, Hannah Jaitner, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Nicolai Gonther, Hannah Jaitner · Foto: Tobias Metz
Hannah Jaitner, Nicolai Gonther, Insa Jebens, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Hannah Jaitner, Justin Hibbeler, Nicolai Gonther, Insa Jebens · Foto: Tobias Metz
Hannah Jaitner, Nicolai Gonther · Foto: Tobias Metz
Hannah Jaitner, Nicolai Gonther, Insa Jebens, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Nicolai Gonther, Hannah Jaitner, Insa Jebens, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Insa Jebens, Justin Hibbeler, Hannah Jaitner · Foto: Tobias Metz
Insa Jebens, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Justin Hibbeler, Nicolai Gonther · Foto: Tobias Metz
Hannah Jaitner, Nicolai Gonther, Justin Hibbeler · Foto: Tobias Metz
Justin Hibbeler, Insa Jebens, Nicolai Gonther, Hannah Jaitner · Foto: Tobias Metz

Perplex

Komödie von Marius von Mayenburg


Schwäbisches Tagblatt, 29. Mai 2021

Verwandlungsspiele mit Elchtest

(von Dorothee Hermann)

Das Landestheater Tübingen lässt Marius von Mayenburgs Komödie „Perplex“ über die Open-Air-Bühne brettern. Bis am Ende die Luft rausgeht, das Bier hervorgeholt wird und man sich fragt, ob das alles nur ein Antesten war und für wen.

Das Theater unter Coronabedingungen ist ein unbestimmter Ort: Drüben am Güterbahnhof ragen Massivbauten auf. Der Verkehr rauscht, die Kastanien blühen. Bretterzaun und Müllcontainer würden auch zu einer Baustelle passen. An einem kühlen, windigen Abend wie bei der Premiere am Donnerstag konnte man sich vor der Hof-Bühne des Landestheaters Tübingen fast ein bisschen ausgesetzt fühlen. Das Wetter schien ein willkommener Verstärkungseffekt für die irritierenden Wirkungen von Marius von Mayenburgs Komödie „Perplex“ (Regie: Christoph Roos).

Das Bühnenbild aus lamellenartigen, hoch aufragenden Holzelementen wirkt zugleich provisorisch und wie ein Zitat klassischer Säulenbauten (Bühne und Kostüme: Katrin Busching). Es bietet einen vielfach verschiebbaren Rahmen und allerlei Öffnungen, womöglich Fluchtwege oder Verstecke sowie zusätzliche Schauplätze (Küche, Judomeisterschaft, Skipiste), auf die die Figuren sich beziehen.

Dann geht es Schlag auf SchlagTrotz des roten Sofas und der beiden passenden Sessel ist es für ein Wohnzimmer irgendwie offen und zugig auf der Bühne. Kein Wunder, dass Eva (Insa Jebens) und Robert (Justin Hibbeler) sich dort seltsam fühlen nach der Rückkehr von einer Reise. Eigentlich sind sie wieder zuhause angelangt, doch einiges ist anders, als sie es kannten: In der Küche steht die falsche Zimmerpflanze, der Kater ist verschwunden und der Strom abgestellt.

Schon ist jeder Erholungseffekt beim Teufel und die beiden machen einander zur Schnecke, als wären sie nie weg gewesen. Es tauchen Judith (Hannah Jaitner) und Sebastian (Nicolai Gonther) auf, die vermeintlichen Hüter der Wohnung, und dann geht es erst recht Schlag auf Schlag. Fast keine Figur bleibt so, wie sie zunächst auftritt. Man sieht also eine Art Essenz des Theaters im Schnelldurchlauf und als Farce.

Am wandelbarsten zeigt sich vielleicht Robert (Justin Hibbeler): als biederer, aber auch etwas seltsamer Ehemann mit kurzer Hose und Strickweste, als kleiner Junge, als properer Uniformträger oder als bemerkenswert sensibler Skifahrer (trotz der schweren schwarzen Kunststoffstiefel).

Insa Jebens strahlt eine wirbelwindähnliche Power aus, ob als Ehefrau, als Au-pair-Mädchen oder als Vulkan bei der Kostümparty. Ausgerechnet in dieser Rolle scheint etwas Verletzlichkeit durch die Panzerung der Figur zu dringen, als würde der Vulkan sich nach ein bisschen Zärtlichkeit sehnen.

Den kitzligen Part, das Ganze vor dem Überschnappen ins absurd Irre zu bewahren, meistert blendend Hannah Jaitner als Judith: Sie ist gewissermaßen die Stimme der Vernunft, hält den Rand, besonders im Gespann mit Nicolai Gonther. Auch wenn sie mit einem Kurzauftritt als Wikingerin, mit grünen Fäden (Algen? Flechten?) bedeckt und orangefarbenen Pippi-Langstrumpf-Zöpfen dem Nonsens-Lager anheimzufallen scheint. Gonthers Sebastian ist ein schillernder Tausendsassa, der mal eben eine Idee in den Raum wirft, aber doch nur Darwin und Platon plagiiert. Er ist also ein typischer Ignorant einer Spätzeit, der schnell mal was raushaut – bis Judith ihm die Luft rauslässt.

Fast wie in einer Slapstick-Komödie folgt man dem Quartett, das noch einige Nebenrollen (Junge, Au-pair-Mädchen, Zimmerwirtin) in petto hat, durch die temporeichen Umpaarungen und Verwandlungen, bei denen auch ein Elch eine Rolle spielt. Wenn Robert in seinem Part als kleiner Junge einmal entnervt aufbegehrt, möchte man pandemiemüde sofort mit einstimmen: „Immer ist alles irgendwann oder morgen! Ich will aber jetzt!“

Von ferne fühlt man sich an Alan Bennetts Erzählung „Così fan tutte“ erinnert, in der ein Ehepaar nach dem Opernbesuch eine leergeräumte Wohnung vorfindet. Und gegen Ende wird ein Hauch von Pirandellos Bühnenklassiker „Sechs Personen suchen einen Autor“ spürbar. Nur scheint in dieser Inszenierung nicht der Autor, sondern der Regisseur abhanden gekommen. Ein Pappkarton steht für die Büchse der Pandora oder auch nur für eine falsche Fährte in einer Gegenwart ohne Schicksalsgöttinnen oder Nornen.

 

Unterm Strich

Kammerspiel und Gesellschaftssatire zum Thema, wie rasend schnell das Vertraute erodiert, wenn das Nachhausekommen nicht mehr gelingt, und mit Partnerin, Partner, Freunden oder Nachwuchs schon viel zu viele Rechnungen (oder Versäumnisse) offen sind. Am Ende verzischt die Wirkung ein bisschen, weil man nicht mehr sicher sein kann, ob die Darsteller alles nur antesten.


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Reutlinger Generalanzeiger, 29. Mai 2021

»Es gibt uns nicht«

(von Christoph B. Ströhle)

Das LTT zerpflückt in einer von Christoph Roos leichtfüßig auf die Bühne gebrachten Fassung von Marius von Mayenburgs Komödie »Perplex« Realitäten

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