Julia Staufer, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Julia Staufer, Hannah Jaitner, Rolf Kindermann · Foto: Martin Sigmund
Julia Staufer, Justin Hibbeler, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Hannah Jaitner, Konrad Mutschler, Julia Staufer, Insa Jebens, Franziska Beyer, Nicolai Gonther · Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Nicolai Gonther· Foto: Martin Sigmund
Hannah Jaitner, Julia Stuafer, Nicolai Gonther, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Insa Jebens, Konrad Mutschler, Julia Staufer, Franziska Beyer, Hannah Jaitner, Nicolai Gonther · Foto: Martin Sigmund
Julia Staufer, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund

Maria Stuart

Schauspiel von Friedrich Schiller


Schwäbisches Tagblatt, 29. Juni 2021

Sobald du willst, in jedem Augenblick, kannst du erproben, dass dein Wille frei ist. Versuchs!

(von Peter Ertle)

Das Weib ist nicht schwach, der Mensch als solcher vielleicht schon. Und wenn der Thronkonkurrentin auch noch die Herzen zufliegen, wird es halt schwierig. Das LTT nimmt Schillers „Maria Stuart“ auf leichte, verspielte Weise ernst.

Das Beil liegt schon da, hinten, im Horror-vacui-Weiß des Karzers (Bühne: Vinzenz Hegemann), während Staatssekretärin Davison in einem Vorspiel konkreter Poesie das Wollen und den Willen beugt. Ein bezeichnender Auftakt. Diese „Maria Stuart“ hat etwas nüchtern auf den harten Punkt Kommendes und etwas verspielt Drolliges, Verzerrtes. Plateausohlen heben Maria und Elisabeth in den Stand „hoher“ Frauen, im Verbund mit den Kostümen machen sie aus beiden auch Karikaturen, als hätte sich eine folkloristisch gestimmte Vivienne Westwood an ihnen versucht. Zwei Ritterinnen trauriger Gestalt.

Ja, traurig: Die eine, weil sie im Gefängnis – nein, nicht sitzt, sie steht immer. Die andere, weil ihr das Regieren eine Last ist. Und diese andere sitzt, sitzt aus und sitzt ein, anders gefangen. Was sich zum Beispiel darin äußert, dass ihr kein Stuhl recht ist. Insa Jebens gibt dieser zwischen merkelhafter Gefasstheit und missmutig unter der Last des Amts ächzender Queen so viel nonchalante Trockenheit, dass es eine wahre Freude ist.

 

The real match

Dass neben Davison auch noch Burleigh mit einer Frau besetzt ist und Mortimer bezopft und berockt daherkommt, ist Ausweis von Ensemblegerechtigkeit und Genderbewusstsein, tut aber weiter nichts zur Sache. Davison, Witzfigur des Stücks, spürt mit einem Beepbeepbeep-Metalldetektor das Geschmeide auf, mit dem Maria das Personal bestechen will, und Wächter Paulet (Rolf Kindermann), in ein langes Nachthemd gesteckt, darf zunächst mal alles, was er sagt, fünfmal wiederholen. Kurios. Da, ganz zu Beginn, fragt man sich kurz, wie aus dieser liebenswerten Klamotte Schillers Drama werden kann. Aber es wird.

Zweimal, als Maria redet, noch lange vor der tatsächlichen Begegnung der Rivalinnen, also in räumlicher Entfernung, im szenischen Off, steht Elisabeth entrüstet auf und geistert durch den Raum, bevor sie sich wieder setzt. Erst später kommt the real match, Burleigh vor dem alles entscheidenden Tennis-Aufschlag, Leicester gibt die entscheidenden Spielzüge im Schach durch. Es hebelt den Ernst der Sache nicht aus. Nur der falsche Ernst wird abserviert.

For the showdown

Etwas macht diese Inszenierung exakt so wie etliche andere Maria-Stuart-Inszenierungen der letzten Jahre – so weit wir den Überblick haben: Im Ansatz und dramaturgischen Drumherum liegt der Focus dieser Tage meist auf der Unfähigkeit, von der Macht lassen zu können. Eine strukturelle, politische, sozialhistorische, machtpsychologische Lesart. Dass Elisabeth als die schöne Junge gilt, dass Eifersucht zwischen den Frauen, dass Liebesränke ausschlaggebend sind, wird etwas weniger bespielt. Warum es geschieht, ist klar: Es passt nicht ins Frauenbild von heute. Nur: Wann fallen die Entscheidungen Elisabeths bei Schiller? 1) Nach der Begegnung mit Maria, gipfelnd im Satz: „Ihr verführt mir keinen mehr!“ und: „Das also sind die Reizungen, die ungestraft kein Mann erblickt!“ 2) Als Elisabeth bemerkt, dass ihr ehemaliger Liebling und Getreuer Leicester ihr Maria vorzieht.

Es geht also nicht nur um das Gefängnis der Sachzwänge oder Vorstellungen von Würde und Anspruch im politischen Sinn, es geht vielmehr um den Triumph des Persönlichen, Emotionalen, mit Eros und Eitelkeit Verknüpften, mindestens so sehr wie um das Recht und den Schutz der dort festgelegten Thronfolge, es geht auch um Stutenbissigkeit (pardon, können auch Männer: Putin/Nawalny – ohne Putins Machtmissbrauch und Nawalnys berechtigte Kritik daran zu unterschlagen), es geht um Gunst & Begehren, um Brittanys next Thrownmodel. Es geht auch darum, dass Burleigh, Leicester und angeblich eine Menge junger Männer sich aufmachen, die offenbar faszinierendere Maria zu befreien. Zum Beispiel der etwas tumbe, naive, allzu stürmische Mortimer (Justin Hibbeler) und der ungleich versierter verschlagene Pfau Leicester (Nicolai Gonther).

Die beiden geben schon bei Schiller kein starkes Männerbild ab. Aber „das Weib ist nicht schwach!“ Nein, aber vielleicht der Mensch als solcher. „Was ist der Mensch?“, wird hier wiederholt gefragt. Und: „Was ist das Glück dieser Erde?“ Ja, was ist es? Gerecht und gut zu leben, ohne Machtmissbrauch, ohne Schuld? Oder muss man nicht doch um jeden Preis geliebt, anerkannt, begehrt werden, und zwar mehr als die Konkurrentin, die einem das zu nehmen scheint?

Solche Fragen können einem in den Sinn kommen. Die Inszenierung kontert das weiterhin mit charmant komischem Understatement und Witz. Das Handy klingelt, Elisabeth ruft an. Mortimers Tod? Er fällt einfach nach hinten um. Das wars. Aber auch: Hannah Jaitners Witzfigur Davison vermag auf einmal ernsthaft Seelennöte zu vermitteln, als ihre Königin ihr das eben unterschriebene („Ich brauche jetzt den Stift!“) Todesurteil in die Hände legt. Schön!.

Der aufrechte Stratege Burleigh (Franziska Beyer) ist viel zu sehr tougher Tatmensch, um auch etwas von den komischen Brocken abzubekommen. Ach – und der so milde wie glasklare, melancholische, weise Shrewsbury wird in Konrad Mutschlers stiller Performance ein noch viel größerer Sympathieträger, als er es sowieso ist. „Sobald du willst, in jedem Augenblick, kannst du erproben, dass dein Wille frei ist. Versuchs!“ Wir hören, sehr deutlich, den Autor sprechen. Jenen Friedrich Schiller, der von den Gewaltexzessen und den immer neu für die jeweilige Situation und die jeweiligen Machthaber aufgestellten Gesetzen der Französischen Revolution entsetzt war. Das 16. Jahrhundert in England diente ihm vor allem als Kulisse.

Lonely on the top

Julia Staufers Maria hat ihre großen Momente in ihren rhetorisch glänzenden, Kenntnis über das englische Recht beweisenden Reden. Elisabeth verspielt den Kredit der Amtslast mit ihrer deutlichen Eifersucht, der Unterschrift und der Kunst, ihre Schuld feige abzuwälzen. Alles das muss so sein in einer „Maria Stuart“-Inszenierung.

So um die 25 sei Maria seiner Vorstellung nach, hat Schiller einmal bekundet. „Twenty-five years and my life is still / Trying to get that great big hill / of hope For a destination, / And I realized quickly when I knew I should / That the world was made up of this brotherhood / of man for whatever that means“, singt Maria am Ende in ihrem Kerker, und lauter, kräftiger: „And I say: hey yeah yeaaah yea yea hey yeah yea I said hey, what’s going on?“ Da kommt dann doch einmal etwas Pathos und Gänsehaut auf. Denn wir wissen: Irgendwo da oben, draußen wartet jetzt dieses Beil. Dann ist Maria weg. Alle sind weg. Außer Elisabeth, die alles von der Bühne kickt. Lonely on the top. Ist es ein Lehrstück? Und was lernen wir daraus?

Unterm Strich

Juliane Kanns Inszenierung ist leicht, konzis, witzig, weiß, worauf es ankommt, nimmt sich nicht zu ernst, ohne die Gewichte des Dramas zu unterschlagen. [...]


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