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Musikalische Performance von und mit Nicolai Gonther
Schwäbisches Tagblatt, 16. Oktober 2018
Ein amerikanischer Michael Kohlhaas
(von Peter Ertle)
Hop oder Top: LTT-Neuling Nicolai Gonther eröffnete mit seiner Abschlussarbeit an der Frankfurter Schauspielschule eine Reihe mit Schauspieler-Eigenproduktionen. Wird "Killdozer" übernommen?
Es ist manches anders, als es die klassische Theaterkonvention vorsieht. Vor dem Eingang zum LTT-oben steht der Schauspieler und erklärt die Spielregeln oder ihre Aufhebung: Die Zuschauer dürften auch auf der Bühne herumlaufen während des Stücks. Und wenn sie rauf auf die diesmal unbestuhlte kleine Tribüne gingen, sollten sie aufpassen: Eine Stufe sei höher, er habe das schmerzlich erfahren. Stimmt: In "Antigone" ging er in der Rolle des Hämon an zwei Krücken. Auch jetzt ist sein Fuß noch stabilisiert, aber die Krücken sind weg.
Die Zuschauer verteilen sich also im Raum, sitzen auf dem Boden, stehen an der Wand, manche wandern während des Schauspiels auch herum. Und viele schauen sich jetzt, bevor es losgeht, den Bühnenboden an. Denn sie stehen auf dem Stadtplan der Kleinstadt Granby in den Rocky Mountains oder zumindest auf dem Teil davon, um den es im Folgenden geht: Hier trug sich 2004 die Geschichte eines amerikanischen Michael Kohlhaas zu. Als ein Nachbarschaftsstreit nicht mehr zu gewinnen ist, fährt der Mechaniker Marvin Heemeyer mit seinem zu einem Panzer umgebauten Bulldozer Amok und zerstört Teile der Stadt.
Nicolai Gonther ist Heemeyer und erzählt vom Streit, auch die diffizile Rechtslage lässt er nicht aus. Und weil die für ein Theaterstück etwas kompliziert ist, fällt er auch mal aus der Rolle: "Ich erklär jetzt, was Rezoning bedeutet." So spielt man Fußnoten, bei Brecht würden jetzt alle wieder vom V-Effekt sprechen. Aber das Theater, das sich als Theater zu erkennen gibt, hatten die Zuschauer ja schon eingangs. Sie werden es später wieder haben, wenn der Schauspieler plötzlich Fragen ans Publikum stellt. "Was halten Sie davon?" "Heftig!", sagt die Zuschauerin. Allerdings.
Es ist ein recht multimediales Spektakel, das mit den Orten dieses Raums spielt. Rechts oben das Mikro für ein paar Songs, die das Ganze zwar noch nicht zu der im Untertitel angekündigten Operette machen, aber etwas Musicalatmo bringen. Unten an einer Wand ein Video. Auf ihm, in Umkehrung der kolonialistischen Tradition, spricht ein schwarzer Cop aus seiner Sicht über diesen eigenartig durchgeknallten weißen Typen. Oder man sieht - Bebilderung von Heemeyers Gewaltphantasien - der Sprengung von Hochhäusern zu. Und dann sieht man in diesem Film tatsächlich Heemeyer, in seinem umgebauten, gepanzerten Bulldozer.
Am anderen Ende der Bühne öffnet der Schauspieler immer wieder Vorhang und Fenster. Welcher wiederkehrenden Struktur im Stück das entspricht - entschlüsselte sich nicht so recht. Und es kommt auch zwei, drei Mal zu etwas unmotivierten Abgängen oder Pausen. Die klare Definition verschiedener Orte, die Einbeziehung verschiedener Medien und der etwas andere Umgang mit dem Publikum machen das Ganze allerdings interessant, kurzweilig - und zu einer typischen Abschlussarbeitpräsentation. War es auch, an der Frankfurter Schauspielschule.
Ganz stark, wie Gonther den Unfall seiner Frau beschreibt, das kommt psychorealistisch auf den Punkt, noch bevor es ihm über die Lippen kommt. Doch so viel Schmerz und Schwäche lässt seine Figur danach nicht mehr zu: In Stellvertreterschaft für den Bulldozer rüstet dieser Heemeyer seinen eigenen Körper. Ein dunkler Umhang sorgt schließlich sogar für den Konnex zu Comic und Kino, wo Rächerphantasien ja reichlich Nahrung finden.
Überzeugend auch die implizite soziologische Analyse: Ohne die Religion im Kopf und ohne dieses Gemisch aus moralischer Integrität und grundsätzlicher Souveränität, das Gefühl, auf jeden Fall gerechtfertigt zu sein, hätte es nie zu dieser Kränkung und Tat kommen können, es ist ihr weißer amerikanischer Humus. Der Cop im Film dagegen könnte qua Zugehörigkeit zu einer Unterdrückungsgeschichte nie auf solche Gedanken kommen.
Aber es steckt auch ein viel allgemeineres Gedankengut in diesem Stück: Glauben doch viele sich auserwählt haltende Rächer der Menschheit egal welcher Couleur, dass Gewalt im Dienste des Richtigen Unrecht in Recht verwandelt und sie vor Gott, der Geschichte oder dem gesunden Menschenverstand ihren Segen bekommen werden. Da sind wir dann wieder bei Michael Kohlhaas. Ach ja: Unerwartet wird das Einpersonenstück plötzlich zum Zweipersonenstück. Aber man soll ja nicht alles schon verraten.
Hop oder top? Eine Aufführung ist auf jeden Fall noch anberaumt. Und wichtiger als die Frage, ob etwas für länger übernommen wird, ist die Feststellung, dass hier ein schönes, neues Format begonnen hat. "Killdozer" hat neugierig gemacht.
Generalanzeiger Reutlingen, 15. Oktober 2018
(von Kathrin Kipp)
Nicolai Gonther in „Killdozer“ am LTT
(...) Gonther jedenfalls performt das Drama auf sehr plastische und lebendige Weise, illustriert es mit filmischen Einspielern und Gesang, den er mit verschiedenen Orgelsounds unterlegt: »Wenn du ein Biereinkommen hast, aber einen Champagnergeschmack, bist du im Arsch«. Er schlüpft erschreckend realistisch in die Rollen seiner Protagonisten, öffnet die Fenster, verschafft sich Luft, rennt durch den Raum, schleppt Zement hin und her, wird immer wütender, verzweifelter und verbitterter. Im Zuge der Streitigkeiten mit dem benachbarten Unternehmen und dem Stadtplanungsamt soll er eine Abwasservorrichtung bauen, kommt aber mit den erforderlichen Gerätschaften nicht auf sein Grundstück, weil ihm der Zementwerkbesitzer die Durchfahrt verweigert. Also müssen die Rohre über die Böschung geschleppt werden. Seine geliebte Freundin verletzt sich dabei tödlich. (...)