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Stückentwicklung der Jungen Szene
Uraufführung
Schwäbisches Tagblatt, 25. Juni 2019
(von Stephan Gokeler)
Die „Junge Szene“ des LTT suchte in „futurzwei“ nach Zukunftsperspektiven in der Welt von Instagram, Hashtags, Likes und Hatern.
Zu Beginn stehen die zwölf Ensemblemitglieder (zehn junge Frauen und zwei junge Männer) im halbtransparenten Off und reagieren auf eingeworfene Netz-Schlagzeilen in Hashtag-Manier und mit Chat-Kurzkommentaren. Die Anfangsszene gibt das Tempo des gesamten Stückes vor: Die digitale Welt ist hier ein atemloser, bisweilen hyperventilierender Kosmos. Der heiße Scheiß von gestern, vom Ghettoblaster bis zum Röhrenmonitor, taugt nur noch als Retro-Deko zum Disco-Tanz und baumelt an Seilen von der Decke.
Zukunft, das war schon immer auch Projektionsfläche für Hoffnungen und Ängste. Exemplarisch zitieren die Jugendlichen aus dem Futuristischen Manifest von 1909, einer gleichermaßen provokanten wie kruden (und später auch politisch verhängnisvoll wirkenden) Vision italienischer Künstler. Und wie stellst Du Dir Deine Zukunft vor? Auf der Bühne bricht ein vielstimmiges Durcheinander aus. „futurzwei“ erzählt keine Geschichte. Das Stück (Regie Luisa Mell, Dramaturgie Michel op den Platz, Text Sina Ahlers) entwickelt Perspektiven und ist eine Collage, die gemeinsam mit dem jugendlichen Ensemble in neunmonatiger Arbeit entstanden ist.
Die persönliche Zukunftsmaschine soll alles zugleich sein: Kaffeemaschine mit Timing-Funktion und Freundin, Reisemobil mit Lichtgeschwindigkeit und Sicherheit gebender Begleiter. Doch was ist eigentlich noch Maschine, was Algorithmus? Ist die automatische Vervollständigung von Suchanfragen bei Google nicht eigentlich Kunst, folglich derjenige ein begnadeter Künstler, der die Vorschläge gekonnt aneinanderreiht? Wo verläuft dann die Grenze zwischen Mensch und Maschine? Und sind nicht doch die Glühbirnen das Wichtigste im WLAN-Router? Denn wenn sie nicht leuchten, bleibt der Zugang zum Internet versperrt.
Solche Fragen werden in atemberaubender Geschwindigkeit gestellt, verhandelt und sogleich von der nächsten Überlegung wieder beiseitegedrängt. Kurze Momente des Innehaltens sind die in Form von Dialogen eingestreuten Erfahrungsberichte aus dem Versuch, einen Tag ohne Smartphone zu leben. Plötzlich erscheint die Welt derer, die ständig an ihrem Mobiltelefon hängen, so absurd oder gar abstoßend.
Und doch ist da auch ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Deshalb geht die Parforcejagd auf Follower und digitale Selbstvergewisserung danach unvermindert weiter. Der virtuelle Tod, das plötzliche Kappen aller internetbasierten Kontakte, schwebt als Schreckensszenario über den jungen Menschen.
Eine Technik-Apokalypse oder die gänzliche Abkehr von der digitalen Welt werden als mögliche Zukunftsentwürfe durchgespielt. Zurück zur Natur als Option? Die Sehnsucht nach einem Leben, das nicht getrieben ist davon, gute Bewertungen im Internet zu erheischen, scheint ebenso allgegenwärtig wie das Gefühl, auf ebendies nicht verzichten zu können. Die 80er-Jahre-Schnulze „Wonderful Life“ klingt da plötzlich wie eine Verheißung: „No need to run and hide, It's a wonderful, wonderful life“, summen die Jugendlichen im Chor. „futurzwei“ liefert keine Antworten. Was aber beeindruckt, ist zum einen die große Präzision im Timing der jungen Schauspielerinnen und Schauspieler trotz des enormen Tempos, das über nahezu 80 Minuten aufrechterhalten wird.
Vor allem aber spürt man als Zuschauer, wie intensiv sich zumindest diese Jugendlichen mit den Chancen und Risiken ihrer digitalen Umwelt auseinandersetzen. Und zu welch unterschiedlichen Ergebnissen sie dabei für sich ganz individuell kommen. Zum Abgang formulieren alle eine persönliche Forderung als Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Eine davon lautet, alle Bewertungsmöglichkeiten im Internet abzuschaffen.