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Schauspiel von Noah Haidle · Deutsch von Barbara Christ
Schwarzwälder Bote, 24. Februar 2020
Balance-Akt mit hoher Absturzgefahr
(von Christoph Holbein)
„Für immer schön“ erzählt eine tragikomische Geschichte über fragwürdige Ideale
Der Preis der Schönheit ist hoch: nicht nur in Dollars und Euros. Die Handelsvertreterin Cookie Close bezahlt ihn mit blutenden Füßen, mit Armut, Blindheit und Einsamkeit, mit der Chancenlosigkeit, die eigene Tochter vor dem Absturz und Drogentod zu retten. Aber selbst, wenn sie völlig entkräftet auf dem Bordstein liegt und sich ausruhen muss, wenn sie immer wieder fortgejagt wird, glaubt sie unerschütterlich daran, dass sie Erfolg haben wird. Aus dieser Tragikomik lebt das Schauspiel „Für immer schön“ von Noah Haidle, das Regisseur Dominik Günther in der Werkstatt des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) auf die Bühne gebracht hat. Vor einer Wand, auf der zahlreiche Lippen in Reih und Glied abgebildet sind, die unterschiedliche Lippenstift-Farben von „Black Mamba“ bis „Hell Fire“ offerieren, und auf einem Kassettenboden mit schmalen Streben entwickelt sich die Geschichte der Kosmetikartikelverkäuferin, die mit ihrem Rollköfferchen voller Ware, die keiner mehr kaufen will, durch einen US-amerikanischen Vorort von Tür zu Tür zieht. Das Bühnenbild von Sandra Fox, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, ist eine originelle Metapher und birgt ganz real das Risiko des Wankens und Abstürzens.
Die Atmosphäre ist auch untermalt durch die fast filmische Musik – mal märchenhaft, mal Seifenoper, mal Heldenepos. Breitbeinig im dunklen Overall, der einer Uniform gleicht, steht Cookie Close, der Sabine Weithöner mit zunehmender Aufführungsdauer mit ihrem intensiven und stärker werdenden Spiel bei aller plakativen Oberflächlichkeit auch eine innere Tragik abgewinnt, und kämpft – getrieben von fragwürdigen Idealen – um ihre Vorstellungen vom American Dream: „Showtime!“. Es ist ein Balanceakt auf hohen Schuhen im Tänzeln auf den schmalen Sprossen. Die Inszenierung versucht diesen Zynismus und den Sarkasmus der Szenerie herauszuarbeiten. Das Ensemble übersetzt das in ein beredtes Mienenspiel, ist dabei geführt durch eine gewisse Dramatik, die hin und wieder in ein kitschiges Pathos mündet, wenn Cookie ihr Mantra wiederholt: „Kämpfen, Lächeln, Strahlen“ und sich unverzagt selbst Mut macht: „Betrachte das Leben wie Urlaub.“
Regisseur Dominik Günther zeichnet grell, lässt seine Protagonisten in stereotypen Bewegungen, manchmal fast wie Roboter, über die Bühne gehen, die sich dabei auch einer derben und vulgären Sprache bedienen. Das Leben auf der Straße zermürbt, kastelt ein, lässt die heile Welt langsam zusammenbrechen, auch wenn Cookie immer weiter macht. Dabei lässt Günther skurrile Bilder entstehen, wenn das Lächeln letztlich doch nicht mehr funktioniert, wenn die Hauptprotagonistin immer mehr zur tragikomischen Figur wird und blind durch die Straßen wankt: „Nichts zu machen, mache was draus“. Dann ist das Spiel intensiv und laut. Dann überzeugt Weithöner auch stimmlich und vermittelt – stark gespielt - diese traurige Hoffnungslosigkeit.
Und dennoch das Stück hat Längen. Die Inszenierung hätte durchaus kürzer und straffer sein dürfen.
Esslinger Zeitung, 24. Februar 2020
(von Elisabeth Maier)
Noah Haidles Groteske „Für immer schön“ am Landestheater Tübingen – Dominik Günther inszeniert einen amerikanischen Alptraum
Mit ihrem Rollkoffer zieht die Kosmetikvertreterin Cookie Close durch die Straßen. Wenn sie an den Türen der Häuser in einem amerikanischen Vorort klingelt, erfriert ihr Lächeln. Regisseur Dominik Günther hat Noah Haidles Stück „Für immer schön“ in der Werkstatt des Landestheaters Tübingen als amerikanischen Alptraum in Szene gesetzt. Sabine Weithöner bricht unter der Last ihrer Kosmetikprodukte fast zusammen. Beladen mit wertlosen Cremes und Gesichtsmasken stolpert sie über den Bühnenboden, der an ein umgekipptes Schminkregal erinnert. Der Schauspielerin gelingt das berührende Porträt einer gebrochenen Frau. Nichts ist in ihrer Welt mehr in Ordnung.
Der 42-jährige Noah Haidle ist einer der erfolgreichsten US-amerikanischen Dramatiker. Auch an deutschen Bühnen werden seine Dramen viel gespielt. Haidle lenkt den Blick auf die dunklen Seiten der US-amerikanischen Gesellschaft. Er zeigt Menschen, die am Ideal des unbedingten Erfolgs scheitern. Auch Cookie Close ist eine Frau am Abgrund. Mit Lippenstift-Reklamen in Serienproduktion hat Sandra Fox die Bühnenwand ausgestattet. Geöffnete Lippen auf Postern wecken Lust auf Schönheit. Doch was Cookie den Menschen verkauft, ist Massenware. Ihrer Freundin Vera spannt sie nicht nur den Mann aus. Mit falscher Freundlichkeit zieht sie ihr Geld aus der Tasche. Susanne Weckerle lässt die Figur blitzschnell von der Busenfreundin zur Feindin mutieren. Lust auf Zickenkrieg hat auch Lisa Lantin als Cookies Konkurrentin Heather. Gnadenlos spielt sie ihre Jugend gegen die alternde Kosmetikvertreterin aus. Barbara Christs Übersetzung balanciert tragische und komische Konnotationen klug aus. Ihre Sprache entlarvt die Kommunikation der Figuren, die in Floskeln erstickt.
Die Handlung von „Für immer schön“ erinnert an Arthur Millers Klassiker „Tod eines Handlungsreisenden“. Anders als der psychologische Realismus von dessen Drama aus dem Jahr 1949 aber setzt Haidle auf die Kunst der Groteske. Wie spannend diese Gratwanderung ist, offenbart sich in Dominik Günthers Inszenierung an Cookies Tochter Dawn. Florenze Schüssler wagt es, die Sprünge in der Seele des Mädchens gnadenlos zu überzeichnen. „It’s Showtime“ brüllt es aus den geöffneten Fenstern. Nur einmal will diese Dawn wie ihre Mutter sein – die Frau, die sie als kleines Mädchen zum Vater gab. Überzeugend lässt die junge Schauspielerin die Kälte spüren, in die Cookie alle Menschen in ihrem Umfeld stürzt. Etwas farblos bleibt Jens Lamprecht als Cookies tenniswütiger Gespiele. Er heiratet Heather und zieht mit ihr das Kind auf, das er mit der Kosmetikvertreterin zeigte. Die tragische Fallhöhe der Figuren kostet Regisseur Günther nicht konsequent aus. Das beabsichtigt der Denkspieler auch keineswegs. In seiner Lesart ist „Für immer schön“ die Versuchsanordnung eines gescheiterten Lebens. Immer wieder öffnen sich in Sandra Fox‘ Bühne Fenster, aus denen die Figuren sprechen. Überlebensgroß erscheint die drogensüchtige Tochter Dawn vor Cookies Augen, als sie gebrochen am Boden liegt.
Indem er sich mit dem Tübinger Ensemble weit weg bewegt von der realistischen Darstellungsform, legt Dominik Günther die Komplexität von Noah Haidles Drama offen. Cookie Close scheitert an den falschen Idealen einer Gesellschaft, die an ihrer Oberflächlichkeit zerbricht. Diese Scheinwelt demontiert die Inszenierung, die nicht zuletzt durch ihre packenden Bilder besticht.
Schwäbisches Tagblatt, 17. Februar 2020
Gefangen in einem riesigen, stilisierten Schminkkasten
(von Dorothee Hermann)
Die Groteske „Für immer schön“ am LTT ist ein Horrortrip nicht nur der weiblichen Selbstoptimierung.
Diese Frau hat etwas Überdrehtes, obwohl sie in ihrem schmalgeschnittenen schwarzen Overall nüchtern genug daherkommt. „Ich reiße mir hier draußen den Arsch auf für Sie“, ruft die Kosmetikvertreterin Cookie Close (grandios: Sabine Weithöner) im Stück „Für immer schön“ des US-Dramatikers Noah Haidle und fordert Aufmerksamkeit ein. Am Samstagabend war die begeistert aufgenommene Premiere auf der Werkstattbühne des Landestheaters Tübingen. „Eines Tages werde ich glücklich sein, und deshalb bin ich hier“, sagt die Nachfahrin des „Handlungsreisenden“ von Arthur Miller und deutet den selbstzerstörerischen Zusammenhang zwischen Verkaufsleistung und Selbstbild schon an, der sie antreibt.
Die Bühne ist ein riesiger, stilisierter Schminkkasten, und man kann sich fragen, ob Cookie Close überhaupt noch auf den Straßen unterwegs ist, und nicht längst ein Stück Inventar des eigenen Sortiments. Ob sie sich vielleicht nur noch vorstellt, an Türen zu klingeln und potenzielle Kundinnen anzusprechen, wenn tatsächlich gar keine mehr da sind. Gelegentlich öffnen sich in der Wand mit den 96 Lippenstiftfarben Fensterchen oder Türchen für andere Figuren wie für Springteufel ihrer Erinnerungen.
Doch zunächst ist die Schönheitsberaterin gegenwärtig genug. Statt über glatte Asphaltwege muss sie ihren Rollkoffer über die unebenen, quadratischen Kästchen des Bühnenbodens wuchten, die vielleicht Lidschatten, Rouge, etwas Federnartiges in Rosa oder auch ein bisschen kontrolliertes Grün (wie das Rasenstück eines Vorgartens) enthalten können. Wie aus dem Nichts taucht auch noch unerwartete Konkurrenz der besonders unfairen Art auf. Nachwuchstalent Heather (Lisan Lantin) lächelt im Direktvergleich deutlich frischer und unverbrauchter als ihre eigene Ausbilderin. Dass Cookie ihr vorhält: „Was machst du denn hier? Das ist mein Gebiet!“, beeindruckt die Jüngere wenig. „Dein Mindesthaltbarkeitsdatum ist abgelaufen! Wann gibst du endlich auf?“, kontert sie. Das lässt Cookie nur eine mögliche Antwort: „Niemals!“
Stählern, wie sie sich gibt, erinnert die Kosmetikverkäuferin an eine Soldatin der Vorstadt, vom Typ patente Pannenhilfe. Denn ihr Existenzkampf ist ein knallharter Job, immer knapp an der Absturzkante zur offenen Bettelei. Dass Cookies quasireligiöses Sendungsbewusstsein nur eine antrainierte, verkaufsfördernde Masche ist, zeigt sich, als ihre Tochter Dawn (Florenze Schüssler) ihr nacheifern will, aber nur von einer Hölle in die nächste stolpert.
Für Sex oder gar Erotik und Beziehungen hatte diese verzweifelte Handlungsreisende nur am Rande Kapazitäten: „Wieder eine Straße, wieder eine Tür, wieder eine Geschichte, wieder ein Geschäft.“ In diesem Zusammenhang gelingt dem Ton (Uwe Hinkel, Jan Brockerhoff, Ricarda Zelter) das Kunststück, ein Baby allein über die Akustik (ein leises Greinen oder Kichern) heraufzubeschwören.
Man könnte sich auch einfach aus dem Bühnengeschehen ausklinken, das die eisern voranschreitende, aber tragisch glücklose Hauptfigur von einer Desillusionierung in die nächste schickt, und sich von den 96 Lippenstiftfarben zwischen sattem Rot und Grauviolett zu den wunderlichsten Assoziationen anregen lassen: von „Automatic Love“, „Electric Eel“ (lila) oder „Best Friend“ (ein mattes Haut-Orange). Ein ganz großes Kompliment geht an die Ausstattung (Bühne und Kostüme: Sandra Fox), die durch das serielle, artifizielle und zugleich absurde Bühnenbild die süßliche Verlogenheit von Generationen von Avon-Beraterinnen souverän auf Distanz hält. Und zugleich darauf hinweist, wie fragil die Balance zwischen Ausstrahlung und Masche ist, wie unausweichlich die Selbstausbeutung in Selbstzerstörung umschlägt.
Unterm Strich
Man kann sich leicht abgrenzen von dieser Protagonistin, der die Absurdität des eigenen Tuns überdeutlich vor Augen steht, sich aber dennoch nicht stoppen kann. Doch es hat auch etwas Verstörendes, wenn die Propagandistin von Ausstrahlung und Abenteuer an den eigenen Imperativen zerbricht. Und nicht zuletzt liefert das Stück einen der schnellsten Quickies der Theatergeschichte.
Generalanzeiger Reutlingen, 17. Februar 2020
Die Welt und das Schminkkästchen
(von Thomas Morawitzky)
»Für immer schön«: Noah Haidles Geschichte einer reisenden Kosmetikberaterin an der LTT-Werkstatt
(...) Vor der Lippenwand ein großes Feld der Fächer, in denen die Schminkfarben liegen; Cookie Close stakst in ihnen herum, zusehends ungelenker, ganz ergeben einer Mission, für deren Glaubwürdigkeit sie nicht mehr einstehen kann. Euphorisch, aggressiv wie ein Business-Coach, versucht sie, ihre Zerbrechlichkeit zu überspielen. Lisan Lantin, Susanne Weckerle und Florenze Schüssler spielen die anderen Frauen, die in Cookies Welt auftreten: die Kundin, die Konkurrentin, die Mutter, die Tochter. Jens Lamprecht verkörpert in wechselnden Rollen die Männer in dieser Welt. (...)