Theater-Solo von John Clancy
Schwäbisches Tagblatt, 4. Oktober 2025
(von Peter Ertle)
LTT Ein Solo als Aperçu der Spielzeit: John Clancys „Event“ hatte im Tübinger Landestheater Premiere.
cul-tu-re.de, 3. Oktober 2025
(von Martin Bernklau)
Das LTT eröffnet die Spielzeit in seinem Alten Probenraum mit John Clancys „Event“ und dem brillanten Tübingen-Rückkehrer Martin Bringmann
Das Publikum wird für die Premiere am Donnerstagabend durchs Labyrinth der LTT-Gänge in den Alten Probenraum gelotst, in dem noch letzte Reste vom Hausgeist der einstigen Stuhlfabrik zu spuken scheinen. „Event“, das Solo des New Yorker Dramatikers, Romanciers und Theatermachers John Clancy, die tiefgründige, abgründige und witzige Welt- und Selbstbespiegelung eines Schauspielers, hat auch schon einige Jahre, aber seit 2011 anscheinend kaum Patina angesetzt. Martin Bringmann kommt mit dieser Performance furios ans LTT zurück.
Das ist kein doppelter, sondern ein vielfacher Boden, dem sich die Zuschauer da ausgesetzt sehen, auf dem sie in jeder Hinsicht ins Schwanken und Taumeln kommen sollen, aber sich auch ein Lächeln anzaubern lassen und in herzhaftes Lachen ausbrechen dürfen. Denn sie sind angesprochen, einbezogen ins Stück und sollen sich so infrage stellen, wie der an sich und seinem Job zweifelnde und an der Welt schier gar verzweifelnde Mime das tut. Das Theaterspiel zerlegt er mit geradezu chirurgischer Präzision in seine Aspekte, und Bringmann fügt all die Fragmente und Facetten der Bühne brillant wieder zu einem funkelnden Ganzen zusammen, das unterhaltsam verstört und amüsiert.
Man mag sich fragen, ob Regisseur Thorsten Weckherlin, der als Souffleur auch eine echte, in die Ebenen von Wirklichkeit und Illusion aufgebrochene Rolle spielt, oder auch Martin Bringmann da noch aktualisierende Hand anlegen mussten. Der Text wirkt brandaktuell, gerade da, wo er das soziale Selbstverständnis, die verbliebenen Reste von Gemeinschaft und Verbundenheit unter Fremden und dort, wo er Sprache, Kommunikation und Verständnis zum Problem macht.
„Ist das Ereignis vorbei, ist die Maske weg.“ Als Man in Black tritt Bringmann da auf – „nur Wirken, kein Plot, keine Figur“. Fast kippt die mit etwas Bitterkeit und Resignation getränkte Selbstironie in Hohn, wenn er von einem öden abendlichen Alltag auf dem Theater erzählt. Man besucht höflichkeitshalber die Vorstellung der Kollegen und betrinkt sich hernach gemeinsam. Der Bühnenmensch ist Durchschnitt: Mann, Muttersprache Deutsch, Aussprache Hochdeutsch und völlig verschwindend in der Rolle und der Figur. Und ersetzbar, wie alle.
Spätestens, als er auf die „hauptberuflichen Gutachter“ zu sprechen kommt, die „Macht über das Schicksal“ haben, über Vernichtung und leere Reihen oder Vergötterung und volles Haus, aber auch „Plattköpfe, inkompetente, seelenlose Schreiberlinge“ sein können, gibt es aus der düster gedrückten, jedenfalls eher melancholischen Stimmung heraus erste Gluckser im Publikum; und laute Lacher erntet Bringmann, als er, vielleicht zielsicher, vor dem realen Kritiker-Kollegen Ertle in der ersten Reihe niederkniet, der das mit Fassung trägt.
„Sie können ja gehen, Sie haben die Wahl, die Freiheit, die Verantwortung!“, werden die Zuschauer beim Wandern durch die Reihen beschieden. Drei-, viermal zeigt er am Slapstick mit Doppelohrfeige, abrollendem Sturz und Rettung auf die Stufen der Regie, wie exakt die Körpersprache einstudiert ist und endlos wiederholbar wird. Die schwarzen Socken zieht er aus, stellvertretend für alles Kostüm, zur Kühlung, weil sich der vorgeblich erhitzte Schwitzende mitten im Stück schließlich nicht umziehen könne. Das ist schauspielerisch alles bis in feinste Nuancen ausgearbeitet und bleibt auch ohne viel Szenisches und Requisite jeden Augenblick spannend – und zwischen aller Melancholie zum Brüllen komisch.
„Ein stehender Mann ist ein Mann der Tat“, Sitzen aber bedeute Macht und Entscheidungsgewalt, sagt der Mime und setzt sich auf einen der antiken und unverwüstlichen Stühle aus der Fabrik, die dort einst geleimt, nicht geschraubt wurden. Wegen eines vorgeblichen Hängers muss der Mime den Souffleur in Anspruch nehmen. Thorsten Weckherlin ist vorbereitet auf das virtuose Changieren zwischen den Realitäten, die ständige Verfremdung.
In einer Zeit, in der Sänger zu Göttern gemacht werden und Stadien füllen, gebe es immerhin noch die Option der Muße. Zeit? „Geld ist sie nicht“, sagt der Schauspieler. Über all die Redensarten und Phrasen philosophiert er und über eine Zeit, in der am Wählscheiben-Telefon oder in Menschengruppen von Fremden noch gesprochen und zugehört wurde. Am Technikerpult neben dem schwarzgekleideten Beleuchter – er könnte ja auch im bunten Großkaro-Hemd und mit Sombrero auftreten – liest er im Lampenschein aus einem gesellschaftstheoretischen Text im Tonfall eines Manifests. Mit Brennpunkten, die jedermanns „Türen anzünden“, werde der Mensch tagtäglich medial zugemüllt.
Der Anstand werde dabei zerstört. Leere, Finsternis allenthalben, „wie gute Schauspieler in einem sehr schlechten Stück“. Pause. „Fühlen Sie das?“, fragt er ins Publikum. Aber ein Quantum Trost bietet der schauspielende Sprecher auch an: „Es gibt Augenblicke“, versichert er und meint auch das Theater, seine Bühne: „Hier dürfen wir!“ – Momente von Gemeinschaft, Sinngebung, Bestätigung mit Fremden auskosten: „Man fühlt Verbundenheit, nur das.“
Es sei nur sein Job, ein seltsamer Job, und er hoffe, dass er ihn gut gemacht hat, beendet Martin Bringmanns Mime seinen grandiosen Monolog.
Zum begeisterten Beifall für diese großartige Miniatur umarmte der Regisseur seinen Heimkehrer herzlich. Und der Bühnentechniker holte den Sombrero hervor. Das kleine Stück, ein Juwel, wird künftig auf der Bühne hinter dem Eisernen Vorhang des Großen Saals gegeben.