Familienstück nach dem Kunstmärchen von Hans Christian Andersen · Bühnenfassung von Monika Kosik · Mit Liedern von Monika Kosik und Johannes Winde · 6+
Reutlinger General-Anzeiger, 10. November 2025
(von Carl-Friedrich Schmidt)
Das Familienstück »Die Schneekönigin« bringt Märchenstimmung ins LTT, aber auch Komik und Musik
Tübinger Tagblatt, 10. November 2025
(von Peter Ertle)
„Die Schneekönigin“ als famoses Halbmusical rettet Kay aus seiner Gefühlskälte und läutet so am LTT die Weihnachtszeit ein.
Als man den zu diesem Zeitpunkt fast voll besetzten, später ausverkauften großen Saal des LTT betritt, ist die Tonlage des Stimmengewirrs hörbar anders als sonst: Höher. Die Hälfte der Zuschauerinnen und Zuschauer sind Kinder. Was fürs Junge Ensemble wiederum wenig ist. „Die Schneekönigin“ ist dieses eine Stück, das sie pro Spielzeit auf der großen Bühne für die ganze Familie machen.
So wird am LTT die Weihnachtszeit eingeläutet: „Die Schneekönigin“ ist nichts weniger als ein Kostüm- und Musikfest. Ein halbes Musical, das sich in der Qualität nicht hinter den Produktionen professioneller Musicalhäuser verstecken muss. Aber dann eben doch viel weniger glattgebügelt, viel unkonventioneller, phantasievoller, man merkt halt: Hier ist das Junge Ensemble des LTT am Werk.
Die Bühne ist mit ihren leuchtenden Rauten und Vierecken ein recht abstrakter Raum, der die kalt rationale Welt der Schneekönigin symbolisiert, vage auch ein abstrahiertes Berge- oder Wolkenrelief, Heimstatt der Königin. Aber, Abstraktion hin oder her, welche Magie kommt auf, wenn die Farbe der Röhren ins Warme wechselt oder der weiße Zauber vom Bühnenhimmel rieselt!
Die Königin: Sophie Aouami als weiß wallende Wonnepracht, Schneependant zum Sonnenkönig. Etwas unheimlich, faszinierend. Dass ihr Kay verfällt, ist sofort nachvollziehbar, wiewohl ihre Annäherung eher nach Art ins Glas gekippter K.O.-Tropfen zu deuten ist: Ein Verbrechen.
Wie auch immer: Nun kommt Gerda ins Spiel. Eigentlich müsste dieses Märchen nach ihr benannt sein und nicht nach der Schneekönigin. Zöge aber viel weniger Publikum. Die unheimliche Macht des schillernd Bösen ist halt attraktiver als das leicht nachvollziehbar mittelmaßmenschlich Gute einer Gerda. Daran ändert auch die nahegelegte Deutung der Schneekönigin als Person, die sich mit einem Gefühlspanzer schützt – recht wenig.
Gerda ist unsere Hauptfigur, Heldin, beziehungsweise das Paar aus Gerda und dem von der Schneekönigin verwunschenen, verführten, k. o. geküssten Kay. Beste Freunde sind sie offiziell, so entgeht man der ja auch nicht unproblematischen Liebespaarfalle. Extrem korrekt. Nur völlig egal, denn für alle im Publikum ist es: ein Liebespaar. Interessant: Die Literatur wimmelt von Helden, die raus müssen und nach einer Reihe von zu bestehenden Abenteuern wieder nach Hause kommen, endlich bei sich selbst, endlich erwachsen. Hier aber ist es die Frau, eine, die unerschütterlich sie selbst ist, die raus muss, die Abenteuer besteht, ihren Liebsten zurückholt. Andersen macht’s anders. Ein früher Feminist?
Wobei: Im Reich des ewigen Frühlings wirkt Gerda so unerschütterlich nicht, kommt kurz mal ab von ihrem Weg. Das Frühlingsreich ist gleich die erste Station, ein Drogenparadies des Nektars und der Düfte, Reich des Vergessens. Es folgen das Land zweier fieser Krähen, die Gerda in ihr Spiel ziehen und sie behalten wollen, wie vorher schon die beiden Blumen und nachher die Räubertochter. Symbolisch gesehen lauter Übergriffigkeiten, Fremdbestimmungsversuche ähnlicher Art, wie es Kay passierte. Insofern könnte dieses Märchen Kinder darin bestärken, zu widerstehen, nein zu sagen, ihren eigenen Weg zu gehen.
Die Blumen, die Krähen, die Räubertochter und ihr Hirsch: Lauter schauspielerische und kostümtechnische Glanzlichter, es gluckst und windet sich stängelig, Blütenkelchhände nähern sich wie Elefantenrüssel, es kräht und kraht und cchhhzt und schwarzschnäbelt um die Wette. Es blitzt ein Messer, Gerdas Hände werden gefesselt, das arme Ding über den Boden geschleift. Ein Kind weint und muss mit der Mutter raus. Weitere fünf werden nachts Alpträume haben. Vielleicht kann man das nicht ändern. Für die restlichen 150 war es sicher toll. Jedenfalls: Fenna Benetz und Michael Mayer als Darsteller all dieser Gestalten machen extrem Spaß.