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Schauspiel nach dem Roman von Patricia Highsmith · aus dem Amerikanischen von Melanie Walz · Theaterfassung von Grit Lukas und Lars Helmer
Generalanzeiger Reutlingen, 12. Februar 2019
Morden ohne Konsequenzen: Ein Märchen
(von Kathrin Kipp)
Das LTT bringt in der Werkstatt eine Fassung des Patricia-Highsmith-Thrillers »Der talentierte Mr. Ripley« heraus
Davon träumt wohl jeder: als Privatier in südlichen Gefilden abhängen, sich talentfrei den schönen Künsten widmen, Party machen. Patricia Highsmith hat 1955 aus diesem Traum einen Krimi gebastelt. »Der talentierte Mr. Ripley«, der sich bisher als Betrüger durchgeschlagen hat, soll den Lebemann Dickie, der es sich in Süditalien gemütlich gemacht hat, zurück nach New York holen, wo die Werft seines Vaters auf ihn wartet. Mr. Ripley ergreift die Gelegenheit beim Schopf: Er reist nach Italien, räumt Dickie und andere Probleme aus dem Weg und übernimmt nach und nach dessen Existenz. Aus den polizeilichen Ermittlungen schwatzt er sich galant heraus.
Schwarzwälder Bote, 12. Februar 2019
„Der talentierte Mr. Ripley“ schlägt in Tübingen zu
(von Christoph Holbein)
Ensemble agiert spiel- und experimentierfreudig / Inszenierung nicht frei von Risiko
Theater muss nicht immer tiefsinnig und hintergründig sein, es darf auch mal einfach nur unterhalten. Getreu dieses Ansatzes ist die Inszenierung von Grit Lukas in der Werkstatt des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) gelungen. Das Schauspiel „Der talentierte Mr. Ripley“ nach dem Roman von Patricia Highsmith präsentiert sich in der Bühnenfassung von Grit Lukas und Lars Helmer als erfrischend flottes und junges Theater mit viel jugendlichem Drive und Tempo.
Auf der Spielfläche der offenen Bühne, für deren passende Ausstattung Lena Hiebel verantwortlich zeichnet, entwickelt sich im Hin und Her auf und mit den mobilen Treppen, die sich immer wieder zu anderen Konstellationen auseinander und zusammen schieben lassen, ein nettes, manchmal etwas abgedrehtes mit Musik dramaturgisch effektvoll untermaltes Kammerspiel: Die Geschichte des jungen Tom Ripley, der nach Italien reist, um im Auftrag eines New Yorker Werftbesitzers dessen abtrünnigen Sohn nach Hause zu holen, dort aber bei einer Bootstour diesen Sohn „Dickie“ erschlägt, dessen Identität annimmt, fortan mit seinen zwei Identitäten jongliert, wofür er noch einmal morden muss, und dabei die Polizei zum Narren hält, um am Ende davon zu kommen mit einem sicheren Einkommen auf Lebenszeit, weil er sich rechtzeitig das Erbe des getöteten „Dickie“ gesichert hat.
Es mag ein gewisses Risiko sein, eine solche bekannte kriminalistische Roman-Story, die zudem bereits zweimal mit prominenter Besetzung – Alain Delon und Matt Damon jeweils als Tom Ripley - verfilmt worden ist, für die Bühne zu dramatisieren. Doch der Regisseurin Grit Lukas gelingt zusammen mit dem Dramaturgen Lars Helmer das Wagnis, vor allem weil die Regisseurin die Protagonisten als klar umrissene Typen zeichnet, ihnen ein vielsagendes und aussagekräftiges Mienenspiel verleiht und zudem für gute Wechsel in der Inszenierung sorgt. Fundament für die gelungene Premiere ist der Kniff der Bühnenfassung, Tom Ripley als Ich-Erzähler dem Publikum seine inneren Gedanken und Gefühle übermitteln zu lassen.
So sehen die Zuschauer in den rund eineinhalb Stunden ohne Pause ein gutes Spiel, das nicht mit humorvollen Einfällen und Slapstick-Einlagen spart, mitunter wie im Kintopp choreografiert ist, von Lichtwechseln atmosphärisch unterstützt und mit passenden Tempo dargeboten. Originell ist das Umsetzen der Mordszenen in Zeitlupe, was viel Körperbeherrschung der Schauspieler offenbart. Allerdings schafft es die Inszenierung nicht, dass die Spannung durchgehend trägt, wenn auch die Pausen treffend gesetzt sind. Manches kommt ein bisschen albern rüber. Anderes wiederum erweist sich als amüsante Idee, etwa wenn Ripley die stumme Dialog-Szene im Hintergrund mit wechselnden Stimmen parallel zu den Mundbewegungen der miteinander „Sprechenden“ synchronisiert.
Am Ende triumphiert das Böse, gewinnt der talentierte Mr. Ripley, der zweifache Mörder, Betrüger, Scheckfälscher und Hochstapler, und wirkt dabei nicht einmal unsympathisch, weil es die Inszenierung erreicht, ihn entlang der Romanvorlage als Menschen mit Stärken und Schwächen darzustellen.
Schwäbisches Tagblatt, 12. Februar 2019
Ohne Krimi geht's der Mimikry viel zu nett
(von Wilhelm Triebold)
"Der talentierte Mr. Ripley": Das Tübinger Landestheater hat sich in seiner Werkstatt mit der feindlichen Übernahme des klassischen Verwandlungsromans von Patricia Highsmith etwas übernommen.
Der Berliner Dramaturgieprofessor Bernd Stegemann hat vor einiger Zeit mal einen klugen Artikel darüber geschrieben, wie Identitätspolitik und moralischer Fundamentalismus das Theater unterwandern. Wenn Schauspieler in die Rolle des Othello schlüpfen, dürfen sie auf keinen Fall Dunkelhäutige mit aufgetragener Schuhwichse provozieren, wie es sich weiland die Herren Zadek und Wildgruber trauten (da färbte der eifersüchtige Wüterich dann mit jeder gewalttätigen Umarmung ein wenig ab). Oder wenn auf der Bühne ein türkischer Taxifahrer dargestellt wird, sollte das Türkischsein nicht allzu stark betont werden, sofern es sich nicht um einen veritablen Bio-Türken handelt. Sonst meldet sich schnell das juste milieu von links.
Das macht das Leben als Schauspieler (und als Schauspielerin) immer komplizierter. Die Profession besteht aus stetem Rollenwechsel, aus dem Aneignen und Einverleiben fremder (wenn auch literarisierter) Identitäten. Ansonsten könnte man auf der Theaterbühne ja einfach nur dastehen und labern, in epischer Theaterbreite und demonstrativer Distanz.
Was, das gibt's schon? Ist aber auch nicht die Lösung. Und sowieso ein anderes Thema.
Um einen Doppelmörder mimetisch auszustatten, muss nun auch am Landestheater keiner erst einschlägige Erfahrungen in dem Gewerbe erwerben und jemanden umbringen. Wenn es sich bei dem Unhold allerdings um einen Meister des Identitätenklaus handelt, um einen nicht unsympathischen noch dazu, wird die Sache vertrackter. Wer ist er, und wenn ja, wie viele? "Who are you?", fragt dann auch ganz plakativ Grit Lukas' aktuelle LTT-Inszenierung. Die Antwort bleibt sie 85 Minuten lang schuldig. Die Talente des jungen Tom Ripley, etwa sich in anderer Leute Leben einzuschleichen, bleiben blass in einer unentschlossen-unentschiedenen Theaterversion. Nicht Fisch, nicht Fleisch, nichts Halbes und erst recht nichts Ganzes oder gar Gutes - man hätte es genausogut bleiben lassen können.
"Der talentierte Mr. Ripley" von Patricia Highsmith ist ein frühes Meisterwerk des psychologischen Krimis, als die düsteren Schweden und all die anderen "Tatort"-Ahnen noch nicht auf dem lukrativen Markt unterwegs waren. Inzwischen kapert die Unsitte, jeden Roman, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, fürs Theater zu adaptieren, auch dieses wunderbare Beispiel belletristischen Kopfdramas (oder Kopfkinos). Auch eine Art Identitätskannibalismus, wenn man so will.
Am LTT macht man erst recht nichts daraus. Jens Lamprechts Tom Ripley startet als akkurat beschlipster und gescheitelter kleinkrimineller Steuergauner, der seine anscheinend angeborene Büroklammer-Drögheit nie so ganz ablegt, egal welche Tarnklamotten er sich auch überzieht. In keiner Minute wird die durchtriebene, finten- und finessenreiche Coolness deutlich, mit der dieser Jongleur der Mimikry und Imitation die sich meistbietende Chance erkennt und als Ziel verfolgt - seinerseits wahnhaft getrieben von den Unwägbarkeiten oder Unfällen in seinem Umfeld, wie sie ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen drohen.
Lamprechts Identifikationsversuch mit der Ripley-Rolle bleibt allzu sehr im Ungefähren, Unscharfen. Keine freundliche Überzeugungstat, erst recht keine feindliche Übernahme. Auch kein Ich als ein Anderer. Stattdessen ein Schauspieler, der seinen Part erledigt wie einen Auftrag, den ihm der Zufall so zuspielt.
Auf der Bühne, die hauptsächlich aus verschiebbaren Treppenpodesten und einem Leuchtrahmen als zweiter Realitätsebene besteht (Bühne: Lena Hiebel), ist dieser Auftraggeber ein New Yorker Reeder, den Rinaldo Steller in alters(g)rauer Stimmlage und mit altengerecht wackeligen O-Beinen sich geradezu zurechtpersifliert. Übertroffen wird das nur noch von dem Abziehbild eines offenbar amerikanoiden Privatdetektivs, das der Schauspieler Nicolai Günther gegen Ende abliefert - spätestens da zeigt sich das LTT kaum mehr entfernt von der Schmierenkomödie.
Ripleys Morde an Werft-Erbe und Bruder Leichtfuß Dickie (wiederum Rinaldo Steller) und an dessen misstrauischem, ausgebootetem Buddy Freddie (wiederum Nicolai Günther) werden schließlich in jener - inzwischen grauenhaft langweiligen - Tonspur-Slowmotion exerziert: So wird's auch hier nichts mit dem womöglich einzigen guten Regie-Einfall dieser Aufführung. Außerdem dabei: Florenze Schüssler in gleich drei Rollen.
"Ich habe gewonnen", verkündet selbstgewiss Tom Ripley, gerade noch mal davongekommen. Fürs LTT gilt: schön wär's.
Unterm Strich
Eine allzu biedere Aneignung der Romanvorlage: Mr. Ripley erweist sich als adretter Störenfried, dem man seine Mord- und Machtgelüste nie so ganz abnimmt. Es hätte eine eindrückliche Studie über Verstellungskunst und Identitäts-Aneignung werden können - doch es sind nur 85 Minuten spannungsfreies Durchschnittstheater dabei herausgekommen.