Von Elfriede Jelinek · 14+
Theater der Zeit, 4. Januar 2024
Die Vielstimmigkeit des Modewahns
(von Elisabeth Maier)
Pia Richter liest die Textflächen der österreichischen Nobelpreisträgerin politisch. Hinter den Thesen der Literatin spürt sie der Identitätssuche von Menschen nach, die in der globalisierten Wirtschaft um Haltung ringen. Das zeitkritische Potenzial rettet die 36-jährige Regisseurin in die wilden, sinnlichen Bilder ihrer Theatergeneration.
Schwarzwälder Bote, 12. Dezember 2023
Graziler Walk auf dem sprachlichen Laufsteg
(von Christoph Holbein)
Die Inszenierung des Stückes „Das Licht im Kasten“ am Landestheater Tübingen vermittelt eindrucksvoll die Leidenschaft von Elfriede Jelinek für Mode.
Kritik Reutlinger General-Anzeiger, 5. Dezember 2023
Die Welt als Wille und Warenkorb
(von Thomas Morawitzky)
Das LTT lotet mit Elfriede Jelineks »Licht im Kasten« die seltsamsten Winkel des Modewahns aus
Kritik Schwäbisches Tagblatt, 5. Dezember 2023
(von Justine Konradt)
Ein Fest für Design-Fans: Das LTT zeigt Elfriede Jelineks Mode-Stück „Das Licht im Kasten“ mit einer Balance zwischen Komik und Ernsthaftigkeit – und einer üppigen Garderobe.
Nachtkritik.de, 3. Dezember 2023
Vor diesem Rock bin ich ein Nichts!
(von Verena Großkreutz)
Von Haute Couture bis Billigmarke: Elfriede Jelinek schaut mit "Das Licht im Kasten" in die Modewelt und findet den menschlichen Abgrund. Und Regisseurin Pia Richter hat in Tübingen dafür Sprache und Atmosphäre parat.
Mode ist Inszenierung – ob auf dem Laufsteg oder am eigenen Körper. Deshalb als Thema bestens geeignet für die Theaterbühne. Das hat die große Elfriede Jelinek in ihrem 2017 uraufgeführten Stück "Das Licht im Kasten" sprachgewaltig ein für alle Mal klargemacht. Ein grandioser Gedankenstrom-Text über die Welt der Mode und alles damit Zusammenhängende.
Die Mode avanciert darin zur Metapher für die existenziellen Grundfragen unseres Seins und unserer Zeit. Ein unterhaltsamer Text, witzig, bedrückend, schockierend in seinem plötzlichen Umswitchen vom wortspielerischen Ego-Parlando ins reale Grauen: in die ausbeuterischen, tödlichen Produktionsbedingungen ferner Länder, die Kleidung für uns bezahlbar machen, und in andere mörderische, perfide Kreisläufe, wie jene der Einweg-Wegwerf-Mode, die "im besten Fall jetzt in Afrika in andrer Form einen andren Körper ziert und in einem sinkenden Nachen zu uns zuru?ckgeschickt wird".
Der Zirkus der schönen Klamotten
Pia Richter hat Jelineks Meisterinnentext jetzt am Landestheater Tübingen auf dessen kleiner Werkstatt-Bühne inszeniert. Eine Arbeit, die dem Text den roten Teppich ausrollt. Ihn wirken lässt ohne viel Brimborium. Die offene Textfläche, die Jelinek den Regieführenden bereitstellt, hat Richter in die Sphäre der Modegeschäfte überführt – ob Haute Couture oder Billigstmarke. Das in schrillem Pink und Orange gehaltene Bühnenbild von Lise Kruse bietet vor allem durch die seitlich positionierten, vier freistehenden hohen Umkleide-Rundkabinen Spielraum im besten Sinne, denn hinter deren Vorhänge lässt sich prima verschwinden und wieder auftauchen. Ein bisschen Zirkusatmosphäre liegt auch in der Luft, durch Auftrittsvorhänge an der Hinterbühne und ein rundes Treppenpodest in der Mitte, auf dem immer wieder posiert oder zur Schau gestellt wird.
Richter hat den Text sauber in zehn Szenen gegliedert (plus Pro- und Epilog) und auf drei Frauen und zwei Männer aufgeteilt. Die spielen allerlei skurrile Persönlichkeiten und tippeln auch mal als lebendig gewordene Prada- oder Gucci-Tasche über die Bühne. Die Fäden des Abends hält der "zynische Verkäufer" in der Hand (Lucas Riedle), der zu Beginn – die Arme schwer behängt mit Designer-Handtaschen – von den anderen (noch weitgehend Unbekleideten) beäugt und gierig bedrängt wird wie eine Göttergestalt. Mode als Fetisch.
Auf den Werbefotos ist es hübscher
Da ist die "Junge Frau beladen mit Einkaufstüten" (Solveig Eger), deren sexuell aufgeladene Kaufrausch-Glücksgefühle sich schnell in wild-wütende Verzweiflung verwandeln: weil das Kaufobjekt am Werbefoto-Model-Körper eben besser aussieht als am eigenen. "Zum Nichts" sei sie geworden "vor diesem Rock", schreit sie. Ein "Mann mit Sparzwang" (Dennis Junge) wühlt in Billig-Kleiderhaufen, zieht schichtend immergleiche blaue Shirts über seinen Körper, bis er aussieht wie ein Michelin-Männchen und ihn der Verkäufer wegträgt wie eine Schaufensterpuppe. Ein langhaariger, messianischer "Nudist", nur bekleidet mit einem blauen Puschel-Slip, predigt: "In die Natur können Sie zwar gehen, aber Sie können sie nicht tragen."
Ein bedrohlich-merkwürdiges Wesen in grob-löchrig gestricktem, schäbigst-schickem Pulli mit riesigen Fäustlingen taucht auf, quasselt – mal in freundlichem Mädchentonfall, mal mit tiefgetunter Psychostimme – den später kollabierenden Verkäufer hinterm Umkleide-Vorhang zu: über die Herstellungskosten ihres Kleidungsstücks und vieles andere. Eine "mittelalte Frau" in extravagantem Kleid aus rosa Plastiktüten (Sabine Weithöner) sinniert übers Älterwerden, den Tod und die Kleidung, die sie im Sarg tragen wird. Als lebendig gewordene (Freiheits?-)Statue mit Kissen-Heiligenschein und Bettdecken-Mantel philosophiert eine andere über die müllproduzierenden, absurden Finessen des Onlinekaufs (Insa Jebens).
Kleidung ist Schrift
Jelineks Text wird vom exzellenten, spielfreudig miteinander agierenden Ensemble von Anfang bis Ende dieses kurzweiligen Abends präzise artikuliert performt. Und so stimmig die Kostüme wie Perücken (Retrofrisuren von Vokuhila, Minipli, Bob, Hippie-Langhaar bis streng onduliert) sind, so passend ist auch der Soundtrack (der vom klassisch-modernen Streichquartett bis zu Indiepop reicht). Und was trifft die Jelinek'sche Sprachmusik besser, als alles in einem Sprechchor-Finale aufgehen zu lassen? "Die Kleidung ist Schrift", heißt es da, "der Mensch wird durch sie umschrieben, als wagte man sich nicht an seinen lavaheißen Kern heran". Was für ein großer Satz!