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Schauspiel nach dem Film von Ingmar Bergman
Schwäbisches Tagblatt, 28. Juli 2017
Das Paar, die Schaumkrone der Schöpfung
(von Peter Ertle)
Am Landestheater wird Ingmar Bergmans Filmklassiker "Szenen einer Ehe" zu einer genauen Schauspielstudie über ein Paar von heute. Die Akteure waten knietief in Bodenwolken und liefern sich dabei alles andere als Schaumschlägereien. Eine sehenswerte Inszenierung eines letztlich zeitlosen Themas.
Ist die Liebe nur ein Traum? Sind Träume Schäume? Die Liebesgöttin Aphrodite gilt als Schaumgeburt, auch dem Zorn sagt man nach, zu schäumen. In der LTT-Werkstatt ist die Bühne (Carola Reuther) wie eine Badewanne angefüllt mit weißem Gewölk, Johan und Marianne waten knietief darin.
Der Stoff, Blendwerk, nicht recht zu handeln, sehr rutschig und gut geeignet, Feuer zu ersticken, braucht eine Stunde 45 Minuten, um zu zerfallen. Mit der letzten zerplatzten Seifenblase ist er vollständig Lauge, das Stück ist aus, Johan und Marianne haben ausgeträumt und sehen: So lebt es sich leichter. Die Frage wäre nur, ob damit auch die Liebe zergangen ist - oder ob sie, von allen Blasen und Nebelkerzen befreit, endlich sicheren Boden unter die Füße bekommt. (...)
Sie haben sich 2003 lieben gelernt, erfahren wir im Stück, beide haben Handys, kurz: Wir befinden uns im Hier und Heute. Ingmar Bergman hat den Film allerdings 1972 gedreht. Das bringt eine kleine bis mittelschwere Problematik mit sich, die der Zuschauer anfangs spürt: Damals war das Ringen der Eheleute ein zeittypisches, im Hintergrund stand das Aufbrechen der traditionellen Rollenbilder, die sexuelle Revolution. Der schnöde Aufbruch Johans, sein Nullkontakt zu den Kindern, die anfangs unterwürfige Marianne - all das passt besser nach 1972 als ins Jahr 2017.
Das Gute ist: Je länger dieses Stück dauert, desto gleichgültiger wird das, desto stärker treten sie zutage, die zeitlos gültigen Muster des Begehrens, der Langeweile, der Eifersucht, der Gewohnheit, des Sicherheitsverlangens, der Lügen, der Feigheit, des Ausbrechenwollens; schließlich des Machtkampfs, der irrationalen Gefühlsumschwünge, der hochgeschraubten Empfindlichkeiten und Verdächtigungen, die selbst ein kurzes Gähnen zur Grundsatzfrage machen.
In einer Kürzestzusammenfassung könnte diese Story lauten: "Johann verlässt Marianne nach zehn Jahren von einem Tag auf den anderen wegen der jüngeren Paula. Irgendwann läuft es mit Paula nicht mehr gut und er will zurück. Aber inzwischen hat sich Marianne innerlich von ihm gelöst. Scheidung."
Nur ist auf diese Weise wenig bis nichts über den Inhalt des Stücks gesagt, die emotionalen Kämpfe, die beide führen, die Selbsterfahrung, die sie auf diesem Weg gewinnen. Und letztlich könnte auch diese Kürzeststory, die quasi Marianne zum Opfer und Johan zum Täter macht, wieder ganz anders erzählt werden. Schließlich gesteht Marianne Johan später, sie hätte zu Beginn ihrer Ehe selbst ein paar Affären gehabt. Während sie den ehelichen Sex jahrelang als Machtmittel eingesetzt hat, wie zumindest Johan beklagt: "Wenn ich an einem Tag mit dir schlafen wollte, wolltest du am nächsten Tag, unausgesprochen, in Ruhe gelassen werden. Wenn ich lieb und hilfsbereit gewesen war, wurde ich abends mit einem Nümmerchen belohnt."
Ja - alles nicht so einfach. Und so wird dieser in sechs Sequenzen aufgeteilte Abend vor allem zum Parcours, auf dem eine Falschheit nach der anderen fallen gelassen wird, eine Art schmerzvolle Zweiergesprächstherapie, die schleppend alle Verletzungen, Hörigkeiten und übernommenen familiären Altlasten auf den Tisch bringt.
Patrick Schnicke verleiht Bergmans Schwermut eine manchmal schon schnoddrig unterspielte Alltäglichkeit, große Gefühle werden minimalisiert oder weggedrückt - das aber sehr genau.
Ein Beispiel: Kurz bevor Johan Marianne seine Affäre gesteht, würde der Zuschauer, blickte er nur grob hin, nichts von Johans Anspannung merken. Wer dagegen weiß, was kommt, sieht schon zwei Minuten lang alles in Johans Verhalten. Und man kann sich darauf verlassen, dass auch der nicht über den Stückverlauf informierte Zuschauer das unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle registriert.
Franziska Beyers Marianne wiederum ist in der ersten Hälfte vollgesogen mit all dem Rücksichtsvollen, emotional auf Johan Ausgerichteten, es kriecht in ihren Tonfall und ihren Bewegungsablauf. Wenn sie später im neuen Kleid in Johans Büro auftaucht, ist sie, noch vor überhaupt ein Wort gefallen ist: eine andere.
Und klar, so unabhängig und mit neuem Liebhaber ist sie plötzlich wieder interessant für Johan, es sind doch immer die gleichen Mechanismen.
Gut eineinhalb Stunden sehen wir dem Kampf zwischen beiden zu (und haben zunehmend Angst, dass die Schauspieler auf dem sich mehr und mehr zur Laugenpfütze wandelnden Boden blöd ausrutschen). Kampf - das darf man dabei gelegentlich ganz wörtlich nehmen: Regisseur Christoph Roos baut Ohrfeige und Handgreiflichkeit zum Ringkampf in der Seife aus. Kämpfen bis zur Erschöpfung, das kriegerische Pendant zum Sex. Man muss sich ausleben. Schonung bedeutet schon den Anfang der Falschheit.
Am Ende, ein Jahr nach der Scheidung, treffen sie sich wieder. Selbstbewusst, gleichberechtigt, endlich befreit zu einer realistischen, ehrlichen Einschätzung ihrer Gefühle und Defizite. Zum ersten Mal sagen sie sich die Wahrheit.
Und betrügen bei diesem tête a tête ihre jeweils neuen Ehepartner. Ja haben sie denn nichts gelernt? Oder bedeutet die neue, hellsichtige Demut auch, dass sie das Durchwurschteln akzeptieren? Aber wozu brauchen aufgeklärte Libertins wie die beiden vom Schlussbild dann ihre Ehe? Lassen sich die Sehnsucht nach Bindung und ein erfülltes Sexleben auf Dauer nicht vereinbaren? Oder anders gesagt: Wenn die Pragmatik der (hier lange Zeit uneingestandenen) Bedürfnisse siegt, wohin dann mit dem letzten Bedürfnis nach einer Liebe, die die Pragmatik der Bedürfnisse übersteigt?
Lauter Fragen. Für ein Anschlussstück, das noch nicht geschrieben ist.
Reutlinger Nachrichten, 6. Juli 2017
(von Gabriele Böhm)
Als „Szenen einer Ehe“ von Ingmar Bergman 1973 in die Kinos kam, traf das Drama auf gesellschaftliche Umbrüche wie die Emanzipation der Frau und die Diskussion über Wesen und Sinn der Ehe. Themen, die bis heute aktuell sind und den Saal bei der Inszenierung von Christoph Roos füllten.
Patrick Schnicke und Franziska Beyer sind als Ehepaar Johan und Marianne die einzigen agierenden Personen auf der Bühne und fesseln ihr Publikum durch ihr intensives Spiel von der ersten Minute an. Ihre nur auf das Nötigste beschränkte Wohnungseinrichtung, puristisch, kalt und schwarz, versinkt in kniehohem weißem Schaum. Symbol für Illusion, Träumerei und schönen Schein in einer Ehe, deren Fassade im Lauf der Handlung immer mehr niedergerissen wird. Carola Reuther, zuständig für Kostüme und Bühnenbild, gelingt es, den Schaum in dem Maße platzen zu lassen, in dem auch in den Szenen die vordergründige Schaumschlägerei der Realität weicht. (...)
Die Handlung setzt dort ein, wo die Ehe nicht mehr unreflektiert vor sich hin dümpelt, sondern erste Konflikte aufbrechen. Es geht um eine sonntägliche Essenseinladung bei den Eltern, die Marianne am liebsten absagen würde, aber niemanden verletzen will. Hier wie auch in anderen Szenen lacht das Publikum, ist alles doch zu bekannt und typisch.
Schlag auf Schlag fallen Sätze, die den Nerv treffen, wie: „Wir bekommen zu wenig und geben zu wenig.“, „Musst Du aus allem ein Problem machen?“ oder „Ich will raus aus allem.“ Das Publikum schaut atemlos zu und hat offenbar längst vergessen, dass es sich in einem Theaterstück befindet. Über allem lastet auch die Frage, ob es normal sei, dass ein Paar nach längerer Zeit „die Lust aneinander verliert“. Für Marianne ist Sex nicht so wichtig, wenn alles andere „irgendwie läuft“. (...)
Anders als Johan und Marianne gaben die beiden Schauspieler alles und erhielten unzählige Vorhänge.
Reutlinger General-Anzeiger, 27. Juni 2017
(von Christoph B. Ströhle)
Regisseur Christoph Roos findet für Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" am LTT zurückhaltend starke Bilder