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Komödie von Marius von Mayenburg
Augsburger Allgemeine, 26. Oktober 2017
(von Bärbel Knill)
Das Landestheater Tübingen präsentiert eine bitterböse Satire
(...)"Stück Plastik" übertreibt, provoziert und trifft ins Mark. Es offenbart das sinnlose Gezappel der Menschen in unserer Gesellschaft. Die seelische Leere und Not dahinter, die Einsamkeit und Beziehungslosigkeit in der ultimativen Selbstverwirklichung. Erlösung versprechen nur die Kunst und der Tod. Bitterböse und voll sarkastischem Humor, mutig und mit viel Witz in Szene gesetzt von Alexander Marusch und wunderbaren Schauspielern.
Reutlinger Nachrichten, 20. Oktober 2017
Kunst, Leben, Plastik - alles eins
(von Kathrin Kipp)
"Das ist soziale Plastik": Alexander Marusch inszeniert fürs LTT eine flotte Satire über Kunst, Familie und den verkrampften, politisch-korrekten Mittelstand
Sind die Kranken in Afrika etwa besser als wir?“, fragt die Kunstwissenschaftlerin Ulrike ihren Mann Michael, der gerade mal wieder als Arzt ohne Grenzen die Welt scheinbar verbessern, aber eigentlich nur seine Eitelkeit befriedigen will. Und so stürzt auch bei der überspannten Ulrike immer mal wieder die liberale und aufgeklärte Fassade in sich zusammen, wenn sie ihrem Mann Rassismus vorwirft, falls er „denen da unten“ in Afrika seine imperialistische und herablassende Hilfe angedeihen lassen will. Kurzum: das politisch korrekte Leben als privilegierter Mittelschichtler ist kompliziert, überall lauern Fallen und Marius von Mayenburg lässt seine Protagonisten in seinem „Stück Plastik“ auch großzügig in diese hineinstolpern.
Grund genug für Ausstatter Gregor Sturm, auch die Bühne mit jeder Menge Löcher auszustatten, in die die Schauspieler gerne mal stürzen – zur Freude aller Slapstickfreunde. (…)
Denn schlagfertig sind sie alle, auch wenn sie unter chronischen Kommunikationsstörungen leiden: wie in jeder aufgeklärten, reflektierten Familie wäre ja ein authentisches Reden viel zu stumpf. Nichts ist hier echt. Es werden keine konkreten Vorwürfe oder Wünsche geäußert, sondern alles wird durch den sarkastischen oder politisch korrekten Durchlauferhitzer gejagt. Auf keinen Fall will man sexistisch, rassistisch, unsensibel oder dünkelhaft sein und ist es gerade deshalb.
Ein dankbares Schauspielerstück also, das vom Ensemble unter der Regie von Marusch brillant und in sehenswerter Konversation mit der Kulisse aufgeführt wird: Jennifer Kornprobst und Patrick Schnicke liefern sich als Akademikerpaar ein deftiges Eheduell in allerhöchstem Tempo, in dem sie weniger miteinander reden, sondern ihre verrätselten Anspielungen lieber ins Publikum richten. Jennifer Kornprobst als verkorkste Heuchlerin bombardiert ihr Umfeld mit subtilen Vorwürfen, während Patrick Schnicke als Michael ständig versucht, seiner Frau alles recht zu machen, dabei aber sämtliche „tausend Möglichkeiten, alles zu versauen“ wahrnimmt. Sohn Vincent (Daniel Holzberg) fungiert als Spiegel seiner Eltern. Die vor lauter Selbstbezogenheit nichts von ihm mitbekommen, nicht mal, als er sich provokant in eine Frau verwandelt: „Willst du nicht irgendwas erschießen gehen in deinem Computer?“ Laura Sauer als Putzfrau Jessica scheint die Einzige zu sein, die zu guten, schönen und wahren Aussagen in der Lage ist. Sie erträgt die Demütigungen mit einer Engelsgeduld, weshalb sie auch sofort von allen anderen für deren Zwecke missbraucht wird. Raphael Westermeier wiederum als affektiert großspuriger Provokateur – „Es gibt kein Privat! Wo ich bin, ist Kunst!“ – reißt mächtig die Klappe auf, ist aber genauso in seiner spießigen, sexistischen Plastik-Bürgerlichkeit gefangen wie alle andern.
Schwäbisches Tagblatt, 2. Oktober 2017
Hau den Lupa oder die Heilige Putzfrau
(von Peter Ertle)
Zwischen Boulevardkomödie und Farce arbeitet sich Marius von Mayenburg am künstlerisch interessierten grünlinksintellektuellen und ziemlich selbstgerechten Wohlstandsmilieu ab. Das tun derzeit viele. Die Aneinanderreihung von für sich guten Sketchen ist für ein Stück sicher nicht optimal. Aber es geht ganz schön ab hier, gutes Schauspiel und ein paar Textknaller Marke Hau-den-Lukas.
(…) Es geht, wie gesagt, um Ulrike und Michael. Nein, es geht erst einmal um eine riesige Küchenzeile (Bühne: Gregor Sturm) mit Waschmaschine, Herd, Waschbecken, Mikrowelle, Kühlschrank, Arbeitsflächen, was halt so dazugehört, in Länge der gesamten Bühnenbreite. Auf gleicher Höhe wird diese Front nach hinten zur gefliesten Spielfläche verlängert, manche der Fliesenquadrate sind Bodenluken, aber auch durch den Küchenschrank kann gekrabbelt werden, interessante Auf- und Abgänge und das rechte Interieur für eine Perle. So nennt man die Haushaltshilfen ja, hier ist es Jessica, aus dem Osten, Ulrike und Michael haben sie angestellt, weil ihnen alles samt pubertierendem Sohn Vincent (Daniel Holzberg) über den Kopf wächst. Ulrike ist Assistentin beim großen Künstler Haulupa, Michael Arzt, der so gerne nach Afrika möchte, zu Ärzte ohne Grenzen.
Alexander Marusch lässt Ulrike und Michael von den ersten Sätzen an mit kleinen gestischen Übertreibungen und künstlichen Brechungen agieren, eine Signatur, die irgendwo zwischen Realismus und Comedy siedelt und klar macht: Das hier ist eine Boulevardkomödie. Die Frage bleibt trotzdem, ob man es nicht zunächst einmal zwei Spuren ernster und psychorealistischer und weniger auf Komik hätte spielen sollen. Die Komik entstünde dann um so virulenter im Kopf des Zuschauers. (...)
Dabei gibt es viel Sehenswertes: Raphael Westermeiers auf Jonathan Meese getrimmter Künstler Haulupa zum Beispiel, ein großes, zynisches Kind, das im Zusammenspiel mit dem Ehepaar eine wirklich schöne Satire auf den Kunstbetrieb abgibt. Oder die Eheprobleme von Ulrike und Michael, beide benutzen Jessica als Beichtstuhl und Sorgenabfalleimer. Und doch, genau in diesen intimen Beichten und Annäherungen sind wir plötzlich ganz bei ihnen, nehmen wir sie ernst, keine Komödie mehr. Doch gleich danach, zack, saust sie wieder hoch, die Hau-den-Lukas-Scheibe (oder Hau den Lupa? Sollte die Assoziation Mayenburg bei der Namensgebung geritten haben?), am Ende in einer abgedrehten Farce, in der alle, allen voran Jennifer Kornprobst (Ulrike) noch mal die Rampensau rauslassen dürfen.
Nur Jessica, die Projektionsfläche für alle (sogar Haulupa entdeckt sie als ultimativen Musenkick) bleibt immer ruhig, eine Nullstufe, ein unbeschriebenes Blatt, die dezidierte Nicht-Rolle für Schauspielerin Laura Sauer, die das mit viel Würde und Einfachheit hinbekommt. Im Badezimmerschattenspiel darf sie einmal die Hüllen fallen lassen, ein Symbol für die Reinheit, das männliche Interesse an diesem Akt darf jenseits sexueller Konnotierung sicher auch als Erlösungssehnsucht der einen Welt durch die andere verstanden werden.
Schwarzwälder Bote, 2. Oktober 2017
Comicartiges Wortgewitter in rasantem Spieltempo
(von Christoph Holbein)
Die Komödie „Stück Plastik“ entpuppt sich als bösartig witzige Kritik an Gesellschaft und menschlichen Beziehungen
Auf der ganz in Weiß gehaltenen und mit Gittergestänge begrenzten leichten Schräge einer überdimensionalen Einbauküche mit Herd, Waschmaschine, Spüle, Mikrowelle, Schubladen, Schränken und im Boden versenktem Tisch und Stühlen entwickelt sich bei Auf- und Abgängen durch Drehtüren und Klappen im Boden ein rasantes Spiel mit flotten Dialogen, schnellen Anschlüssen, jeder Menge Pointen und slapstickartigen Gags sowie komödiantischer Mimik.
Regisseur Alexander Marusch lässt im Stakkato der Handlung – den berufstätigen, gut situierten Eltern wachsen neben ihren Jobs Haushalt und Erziehung ihres pubertierenden Sohnes („willst Du nicht irgendetwas erschießen gehen in Deinem Computer“) über den Kopf und sie engagieren eine junge Frau als Haushaltshilfe – seine Akteure aus dem Vollen schöpfen und gibt ihnen plakativ witzige Einfälle für ihr theatralisches und gestenreiches Spiel an die Hand. Das Ensemble greift das dankbar auf mit einem gut pointierten und darstellerisch starkem Auftritt, allen voran Patrick Schnicke als gestresster, unverstandener und ungeliebter Ehemann und Vater mit breiter schauspielerischer Farbpalette. Ihm zur Seite steht im duellhaften Wortgewitter als Ehefrau eine affektierte und echauffierte Jennifer Kornprobst, die dem ohnehin überkandidelten, klamaukigen Spiel die Krone aufsetzt. Mit fast psychedelisch anmutenden Monologen konterkariert Raphael Westermeier als Konzeptkünstler Serge Haulupa die Szenzerie, während Daniel Holzberg als Sohn Vincent treffend gezeichnet sich aus seinen Pubertätsnöten heraus zur jungen Frau verwandelt. Und durch die gesamte Inszenierung schwebt mit glaubhafter stoischer Unaufgeregtheit und authentisch ruhigem Agieren Laura Sauer als Haushaltshilfe Jessica: eine junge Frau aus Halle.
Mit Tempowechseln, mitunter auch Hau-drauf-Bildern und -metaphern, eröffnet Regisseur Marusch den Raum für überzeichnete Interpretationen und komödiantisches Temperament, was nicht selten in comicartige Comedy mündet, aber auch stimmige Szenen kreiert: In der Rotlicht getränkten Schattenspiel-Projektion entkleidet sich Jessica, vom Sohn mit seiner Kamera gefilmt, fürs Duschen, ein Sinnbild dafür, wie die Protagonisten ihre Ängste und Gefühle auf die Haushaltshilfe projizieren, sie als emotionalen Mülleimer, Putze, Muse, Köchin und Kindermädchen missbrauchen.
„Stück Plastik“ entlarvt – auch mit dem Mittel des menschenverachtenden Zynismus der Agierenden - hinter der Maske von Aufgeklärtheit und Toleranz den grassierenden Alltagsrassismus. Dazu verwendet der Regisseur starke Bilder, lässt das Licht spielen, untermalt mit Musik und überzeichnet. (...)
Am Ende des Stücks, wenn alle Protagonisten in der Fischsuppe ertrunken sind und die dafür verantwortliche Haushaltshilfe ihren hintergündigen Abgang hatte – war es Mord oder doch nur ein Unfall? -, müsste einem eigentlich das Lachen wie eine Gräte im Hals stecken bleiben. Das Tübinger Publikum reagiert mit frenetischem Beifall, und das wirkt fast so wie das kräftige Klopfen auf den Rücken, um nicht an der bitteren Bösartigkeit des gerade Gesehenen zu ersticken.
Reutlinger Generalanzeiger, 2. Oktober 2017
Noch eine schrecklich nette Familie
(von Thomas Morawitzky)
Das LTT zeigt "Stück Plastik". Das Publikum lacht laut vor einem unterhaltsamen Zerrspiegel