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Schauspiel von Johann Wolfgang von Goethe
Reutlinger Nachrichten, 23. Februar 2018
(von Jürgen Spieß)
Die betont schlichte Inszenierung verzichtet weitgehend auf Effekte und vertraut ganz uneingeschränkt der Sprache. Dafür gab es vom Premierenpublikum freundlichen Beifall.
„Aus alt mach’ neu“ war der Grundsatz sparsamer Mütter, die die Kleider ihrer Kinder aufarbeiteten. Heute ist die Devise auf dem Theater Mode geworden. Ein Werk der Weltliteratur hat, zumindest von der Ausstattung her verjüngt, am vergangenen Freitag Premiere am Landestheater Tübingen gefeiert – „Faust. Der Tragödie erster Teil“. Dabei interessiert Regisseur Christoph Roos an diesem Faust weniger das Übernatürliche, sondern das Menschliche. Er zeichnet Faust als einen Mann, der sich selbst im Weg steht, der bei seiner rücksichtslosen Suche nach purem Genuss und Selbstbefreiung andere Leben zerstört und dessen Unzulänglichkeit des eigenen Denkens ihn schließlich verzweifeln lässt. Und es ist vor allem das Drama einer starken Frau, deren Entschluss, Verantwortung für ihre Schuld zu übernehmen, Faust am Ende bloßstellt.
Das Stück beginnt mit einem Vorspiel im LTT-Foyer, bei dem sich Direktor, Dichter und lustige Person lamentierend gegenüber stehen und das Verhältnis von Dichtung und Publikum aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Mit dem Aufruf „der Worte sind genug gewechselt, lasst endlich Taten sehen“ zieht das Publikum in den Theatersaal um und erlebt fortan eine Inszenierung, die sich ganz dem Dichterwort verpflichtet fühlt.
Das Spiel wird aus dem metaphysischen Bereich auf die Erde verlagert, symbolisiert durch eine spartanisch eingerichtete Bühne mit Tisch, Stuhl, Jukebox und aufklappbaren Holzkulissen. Es ist das Studierzimmer des Gelehrten Heinrich Faust, eines verzweifelten wie frustrierten Intellektuellen, der Rotwein säuft, schimpft, seine Verse oft wie im Wahn herausschreit. Er ist einer, der die Welt einerseits mit seinem Verstand beherrschen will, andererseits nach der sinnlichen Erfahrung sucht. Ist er erst mal in Mephistos Fängen, mutiert er zu einem erlebnissüchtigen und amoralischen Egomanen.
Sechs Personen teilen sich alle Rollen: Der Direktor (Siegfried Kadow) ist auch Hexe und böser Geist, der Dichter (Daniel Holzberg) spielt noch den Schüler und Margaretes (Mattea Cavic) Nachbarin Marthe (Susanne Weckerle) schlüpft in die Rollen der lustigen Person und des Erdgeistes. Eine raffinierte Regieidee gelingt der Inszenierung, indem die beiden Hauptdarsteller nach der Einnahme eines Zaubertranks die Rollen tauschen: Der alte Faust (Andreas Guglielmetti) wird zu Mephisto, der verführerische Teufel (Jürgen Herold) verwandelt sich in den vergnügungssüchtigen Faust. Zu Anfang wirkt der Gelehrte noch allzu eng und auch sein Widerpart Mephisto hat zunächst Mühe, die dämonische Dimension glaubhaft zu verkörpern, gewinnt aber im Lauf des Abends immer mehr an Statur. Jürgen Herold ist ein darstellerisch präsenter Faust, dem man weniger die Schmerzen des Alters als die Leidenschaft der Jugend abnimmt. So ist es vor allem Mattea Cavic als starke Margarete, die sich zum Epizentrum der Bühne entwickelt. Beklemmend sowohl als Liebende als auch als Verlassene, die im letzten Akt, dem dichtesten des Abends, eindrückliche Bilder der Einsamkeit entwirft (…).
Reutlinger Generalanzeiger, 19. Februar 2018
(von Jürgen Spiess)
Christoph Roos bringt in seiner Inszenierung von Goethes "Faust" am LTT einen Rollenwechsel ins Spiel.
Ein Zweifelnder, der durch Mephisto zum banalen Genusssüchtigen mutiert: Dekadenz und amoralisches Verhalten bestimmen Christoph Roos’ zweieinhalbstündige Inszenierung von Goethes »Faust«, die am Freitag im ausverkauften LTT Premiere feierte. Die Inszenierung verzichtet weitestgehend auf Effekte und vertraut uneingeschränkt der Sprache.
Der Deutschen liebste Zitate-Enzyklopädie beginnt mit einem Vorspiel im LTT-Foyer, bei dem sich Direktor und Dichter lamentierend gegenüberstehen und das Verhältnis von Dichtung und Publikum aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.
(...) Ein interessanter Regieeinfall ist, dass die beiden Hauptdarsteller nach der Einnahme eines Zaubertrankes die Rollen tauschen: Der alte Faust (Andreas Guglielmetti) wird zu Mephisto, der verführerische Teufel (Jürgen Herold) verwandelt sich in den jungen, vergnügungssüchtigen Faust. (...)
So ist es vor allem Mattea Cavic als starke Margarete, die sich nach der Pause zum Epizentrum der Bühne entwickelt. Beklemmend sowohl als Liebende als auch als Verlassene, die im letzten Akt, dem dichtesten des Abends, eindrückliche Bilder der Einsamkeit entwirft und der Inszenierung eine enorme dramatische Kraft verleiht. (...)
Auch wenn sie auf grell-bunte Effekte wie Hexenküche und Walpurgisnacht verzichtet und zweitweise etwas nüchtern daherkommt, beeindruckt die Tübinger Inszenierung durch die Lust am Spiel und die souveräne Beherrschung vieler Facetten, die das Theater zu bieten hat.
Schwäbisches Tagblatt, 19. Februar 2018
Rollentausch statt Höllenrausch
(von Wilhelm Triebold)
Ein mögliches Abi-Sternchenthema. Nicht besonders aufrüttelnd aufbereitet am Landestheater. Zwei Seelen wohnen sowohl in Fausts als auch in Mephistos Brust, aber so richtig heraus wollen sie auch beide nicht.
(...) Wer nun für Tübingen befürchtete, Roos würde seinen Essener Parforce-"Faust" teils nochmal recyceln, sieht sich zumindest darin angenehm enttäuscht. Er hat zwar mit Peter Scior den Bühnenbildner wie damals im Schlepptau, doch der bastelte ihm statt eines Erdhaufens mit viel Leere drumherum diesmal eine Spiel-Ecke mit raffinierten Dreh- und Angelpunkten auf die LTT-Bühne.
Und außerdem scheint Roos nun anderes zu interessieren als ein Zusammenzurren wie beim ersten "Faust"-Versuch. Wieder steht die Gretchen-Tragödie im Fokus des heißen Bemühns. (…)
Andreas Guglielmettis reifer Senioren-Faust erscheint zuerst als ein überm Wissensdurst zum Alkoholiker gewordener Akademiker, Typ Mittelbau - nun allerdings neben dem Trunke eben auch der Magie ergeben. So gerät er an seinen Mephisto: mit Jürgen Herold eher ein aufstrebender Jungdoktorand als eine höllisch gute Spottgeburt aus Dreck und Feuer. Dem alles Dämonische und Diabolische fern liegt, als ob er lieber sämtliche ihm aufgebürdete Magister-Arbeit pflichtschuldigst zum Kopierer trägt. (…)
Dabei kann aus "Faust 1" sehr wohl herausgeklaubt werden, wie Machtverhältnisse oder Männer(fehl)verhalten funktionieren, um dann ins Kippen zu geraten. Und wie der Tatbestand der sexuellen Belästigung um sich greift, wenn jener Herr, der Margarete sein Geleit anträgt, später über sie verfügt und sie bedrängt.
Um dahin zu gelangen, wird dem Faust-Mephisto-Gespann zuerst einmal eine Art magischer Magenbitter verordnet. Nach gebührendem Zucken und Krampfen finden sich die beiden in der Rolle des jeweils anderen wieder. Faust, nunmehr dramatisch verjüngt, gebietet von da an über die schlanke hochgewachsene Gestalt Jürgen Herolds. Während Mephisto mit Andreas Guglielmetti bis zum Schluss als gedrungener gleichmütiger Hausdiener seines Amtes walten muss.
Ein Taschenspielertrick der Regie, solch ein diametraler Rollenwechsel. Vielleicht bedeutet er auch, dass beide nun auch immer charakterlich in der Haut des anderen stecken, ein bisschen Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Dafür spricht, dass nicht wie üblich Mephisto via Zauberkunst den armen Valentin ermordet, sondern Faust dies eigenhändig übernimmt. (…)
Schwarzwälder Bote, 19. Februar 2018
Ansätze sind da, doch die konsequente Ausführung fehlt
(von Christoph Holbein)
Inszenierung von Goethes "Faust" erweist sich als solide und konventionell
(…) Dabei sind durchaus Ansätze einer modernen Durchdringung des klassischen Stoffs vorhanden. Wenn die Musik – Markus Maria Jansen zeichnet dafür verantwortlich - aus der Jukebox klingt, wenn Faust bei seinem etwas zu sehr zelebrierten Eingangsmonolog mit Mayonnaise und Wein das Zeichen des Makrokosmos auf den wackeligen Tisch zeichnet, wenn durch Lichtwechsel verschiedene Atmosphären entstehen, dann weckt das die Erwartung, eine neue Sichtweise zu erfahren. Doch letztlich inszeniert Roos dann doch wieder konservativ, verlässt sich auf konventionelle Gänge und Gestiken, die teilweise Gefahr laufen, aus dem leisen Witz und der ironischen Färbung in den Slapstick abzudriften und aufgesetzt zu wirken. In der Szene zwischen Mephisto und Schüler hat das sogar noch eine frische, nett skizzierte Treffgenauigkeit.
Ein interessanter Kunstgriff gelingt dem Regisseur in der „Hexenküche“. Er koppelt die Verjüngung von Faust an ein personelles Wechselspiel: Die Schauspieler von Faust und Mephisto tauschen die Rollen. Aus dem jungen Mephisto wird der verjüngte, jugendliche Faust, aus dem alternden Faust ein alter Mephisto. Die Botschaft von Roos: Beide Figuren sind zwei Seiten eines Menschen, die untrennbar zusammengehören. Da hat Roos auch den Mut, zentrale Motive wie die Kästchenszene mal ohne Text und nur als Pantomime zu gestalten, und dennoch ist die Inszenierung nicht konsequent durchkomponiert. (…)
Regisseur Roos versucht, sanft zu modernisieren mit wenigen Versatzstücken, gibt dabei aber seinen Protagonisten mitunter zu wenig Material für das Spiel an die Hand. Zwar sorgt das Bühnenbild von Peter Scior mit seinen variablen, dreh- und verstellbaren Wänden für Räume, Licht- und Schattenspiele und damit Dramatik, der große Wurf gelingt der Inszenierung dennoch nicht.