Sie heißen Frau Beyer, Herr Guglielmetti, Frau Kornprobst, Herr Krämer, Herr Ruchter und Herr Schnicke. Sie leben in einem Altersheim, das einmal Theater war - wer braucht im Jahr 2066 noch Theater? - das Theater, in dem sie vor 50 Jahren gespielt haben. Schön erfunden. Und doch so wahr. In der Premiere am Freitag spielten: Andreas Guglielmetti Herrn Guglielmetti. Jennifer Kornprobst Frau Kornprobst. Oliver Krämer Herrn Krämer. Michael Ruchter Herrn Ruchter. Und Patrick Schnicke? Herrn Schnicke.
Die Modellierung der Figuren (Bühne, Kostüme: Katrin Busching) legt es nahe, ausnahmsweise mal das gesamte LTT-Team Maske namentlich aufzuzählen: Peter Hering, Anne Kondschak, Kerstin Walter, Magdalena Moßner.
Langsam, schleppend, geschlagen mit allerlei Gebrechen, jede Gelegenheit für einen Haltegriff nutzend, stolpern sie herein, eine Armada der Hinfälligen. Herrn Krämers zahnloses Genuschel versteht niemand. Herr Ruchter spricht zu seinem Goldfisch im Glas. Die fürchterlich grimassierende Frau Kornprobst hat ihre Zunge nicht im Griff. Bei Herrn Schnicke ist es der Schließmuskel. Frau Beyer juchzt "Ich bindie Möwe" und liest 50 Jahre alte Probenpläne vor, in denen sie stets prominent vertreten ist. Herr Guglielmetti -
Lassen wir das. Das Publikum schüttelt sich schon. Die meisten vor Lachen. (...)
Und dann gibt es noch Schwester Laura. Sie singt mit den Alten nette Lieder und christlich bewegte Zuversichtssongs zum Mitklatschen, zynische Ausgeburten freundlichster Ignoranz. Schwester Laura kommt und geht durch ein schauderhaft durch Mark und Bein knarzendes Höllentor im eisernen Vorhang. Oh Tod! Hier ist dein akustischer Stachel.
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"Ewig jung" ist ein Songdrama, die dick aufgetragene Komödiemit ihrer märchenhaft-trashigen Handlung ist in erster Linie Staffage für die Lieder. Dass der Chor der Hinfälligen plötzlich mitreißende, mehrstimmig-diffizile Gesangskünste bietet , ohne unglaubwürdig zu werden - das gemeistert zu haben ist die große Leistung des neuen musikalischen Leiters Tobias Hofmann.
Und die Interpretationen sind vom Feisnten. "Scarborough Fair" wird nach berückender Zartheit zum Reggae. Jennifer Kornprobst piepst mit entzückender Plastikstimme "Barbie Girl". Der alten Frau Beyers dünnes Stimmchen gewinnt wundersam an Volumen, zum Beispiel wenn sie "All by myself" anstimmt und das Publikum in ein großes Einsamkeits-Mitgefühl zwingt, man kann sich da nicht erwehren. Die Lieder haben ihre Funktion. "I got you Babe" zeigt, was ein gemeinsam alt werdendes Paar aneinander haben kann. Und natürlich gibt es jede Menge Wildheit und Sex von "Born to be wild" bis zu "Sex Bomb".
Was das Schauspiel angeht, liefern sich die Herren Schnicke und Ruchter einen Laurel&Hardy-würdigen Schlagabtausch, wobei viel Asche des bereits verstorbenen Herrn Bringmann verstreut wird. Herr Guglielmetti wirkt als komischer Zauberkünstler und füllt den Begriff Standup-Comedy ganz neu: Ein lange scheiternder, endlich unter stürmischem Applaus gelingender Versuch, von der Bäuchlingslage in die Vertikale zu gelangen.
Solch hochkomödiantisch-theatersportliche Einlagen sind gleichzeitig Allegorien auf die ernsten Handicaps des Alters. Und auch manch anderer Jux (...) ist gleichzeitig ein brutal ernstes Symbol für Entwürdigung, wird genau darauf hin inszeniert und kommt haargenau so beim plötzlich mucksmäuschenstillen Publikum an. In solchen Szenen zeigt Tobias Hofmann auch als Schauspielregisseur Qualitäten.
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Unterm Strich
Eine Meisterleistung der Maskenabteilung, eine schöne Visitenkarte des neuen musikalischen Leiters, ein Songdrama übers Alter, das unser aller Hinfälligkeit ernst nimmt und gleichzeitig völlig veralbert (hier können sich die Geister scheiden). Hat ein paar zarte, nachdenkliche Momente, ist zumeist aber deftig pralle Komödie.