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Schauspiel von Wolfram Höll
Reutlinger Nachrichten, 27. März 2018
(von Kathrin Kipp)
„Drei sind wir“ ist ein lyrisches Erzähltheaterstück von Wolfram Höll, das 2016 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis prämiert wurde und derzeit auf der kleinen LTT-Oben-Bühne läuft: Franziska Beyer und Raphael Westermeier spielen dabei ein Paar, das seinen Entschluss, nach Kanada auszuwandern, durchzieht, obwohl die beiden gerade ein schwer behindertes Kind bekommen haben.
Das Kind nennen sie „Frühling“, und sie wissen, dass es bald sterben wird: „Jeder Tag, jede Woche, jeder Monat ist mehr, als man hoffen darf“, erklärt der Arzt.
Damit einher gehen natürlich viele widersprüchliche und intensive Gefühle. Die hat Wolfram Höll in ein verrätseltes und höchst selbstverliebtes Sprachkunstwerk aus Wort-, Satz- und Motivfetzen gesteckt, die sich so lange wiederholen, vervielfältigen, kreisen, aneinander reihen und reiben und variieren, bis sie beim nächsten Motiv landen. Und man als Hörer schon längst nicht mehr weiß, um was es eigentlich gerade noch ging.
Die Struktur des Textes folgt vielleicht der eines Genoms, das sich ja ebenfalls aus wenigen Einzelteilen in immer neuen Variationen zusammensetzt. Mitsamt der Störung durch die Genmutation Trisomie 18, die zur Folge hat, dass die Anzahl der Gliedmaße und Organe ebenfalls stark variieren. Wie auch immer, der Text bemüht sich, möglichst kryptisch die Chronik eines zu erwartenden Kindstodes zu beschreiben, bleibt inhaltlich dabei allerdings recht banal. Vermutlich so banal wie das Leben.
Und so geht’s eher weniger um konkrete Verlust-Psychologie, sondern darum, das „Innenleben“ des Trios in möglichst kunstvolle Verse zu stecken plus Natur- und Jahreszeitenbetrachtungen á la 19. Jahrhundert. Für ausgesprochene Lyrikfans eine Offenbarung, für Freunde des Actionstheaters eine eher langweilige Zumutung. „Jeden Tag ist da mehr, jeden Tag ist er mehr da“, der kleine Frühling, „jeden Tag ist er anders und doch derselbe“, während er sich „entwickelt“, wird er gewickelt und „wickelt sich um uns herum...“.
Weitaus aufregender als der so affektierte – wie außer Plattitüden nichts sagende Text – kommt die LTT-Inszenierung von Marlene Anna Schäfer (Regie) und Christin Treunert (Bühne) daher, die wenigstens was fürs Auge bietet: Nach einem großen Rauschen wird das nötigste Mobiliar vom Pärchen umzugsbedingt zusammengepackt und mit Möwengeschrei über den Ozean gesetzt: „Wir setzen dich über, wir übersetzen dich“. Von Anfang an stehen oder erstarren die Figuren im Wasser, ein schöner Effekt, der später noch verstärkt wird, indem es zu regnen anfängt: Natur pur, wie man es mit Kanada assoziiert, wo sich das Pärchen auf einer vielsagenden „Insel“ aussetzt, während die Sprühregenwand mit Licht und Gegenlicht tolle optische Effekte erzeugt.
Dazu das Geräusch von Rausch und Regen, das in etwa das Stimmungsbild des Pärchens wiedergibt. Franziska Beyer und Raphael Westermeier meistern den artifiziellen Monolog zu zweit bravourös, indem sie den Text absolut präzise im Erklär- und Erzählmodus wiedergeben, und sich durch alle möglichen Stimmungslagen dichten: von Elternglück, Rausch und Beseeltheit hin zu Angst, Aggression und Verzweiflung.
Und so menschelt es doch noch ein wenig auf der Bühne. Und wenn sich das Pärchen immer wieder umarmt, kommt sogar so etwas wie Interaktion auf. Raphael Westermeier darf irgendwann sogar das Mobiliar zerstören. Auch wenn der Text sonst kaum menschliche Regungen zulässt. Von dem man nicht weiß, was er erzählen will.
Auch nicht, wenn sich eine Stimme auf dem Anrufbeantworter meldet, die die Jahreszeit durchgibt, dadurch signalisiert, dass die Zeit vergeht und am Ende der Tod wartet: „Ich hole Frühling ab“. Vielleicht möchte der Text in seiner wohltemperierten Schönheit ja auch nur die gefühlte Sinnlosigkeit von Krankheit illustrieren.
Schwarzwälder Bote, 13. Februar 2018
(von Christoph Holbein)
„Drei sind wir“ – Stück von Wolfram Höll feiert am Landestheater Tübingen Premiere
(...) Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühlswelten, auf die Wolfram Höll in seinem Schauspiel »Drei sind wir« die Zuschauer mitnimmt. Im LTT-Oben des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen feierte das Stück jetzt eine eindrückliche und intensive Premiere.
Zwischen Klappbett, Garderobenständer und Wäschekorb im unterschwelligen Dauerrauschen – für das Bühnenbild zeichnet Christin Treunert verantwortlich – sucht die Inszenierung von Marlene Anna Schäfer nach Bildern, um das innere Erleben der Figuren für das Publikum fühlbar zu machen. Fahles Licht, Wasser auf dem Boden, Texte, die ineinander verweben, miteinander verwachsen, fast dadaistische Silbenspielerei gepaart mit Geräuschen wie das Gekreische der Möwen sorgen für eine stimmige Atmosphäre, die das Fundament bildet für rhythmische, musikalische Dialoge voller Momente des Glücks und dann wider der Verzweiflung.
Es ist wortlastiges Theater, das nicht aus der Aktion, sondern vielmehr aus der Dynamik des Textes, aus der Innerlichkeit dieser gelebten lyrischen Erzählung und vor allem aus der starken Mimik und Gestik der beiden Schauspieler Franziska Beyer und Raphael Westermeier schöpft. Regisseurin Marlene Anna Schäfer offeriert dabei eine angenehme, passende, unaufgeregte Statik und verzichtet auf eine aufgesetzte Dramatisierung.
Das ist alles genau komponiert aufeinander abgestimmt und textlich stark erarbeitet und durchdrungen. Die beiden Protagonisten steigern sich gegenseitig und kosten dabei auch mutig die lange Stille in vielen Szenen aus.
Während Beyer und Westermeier sich akrobatisch durch die Worte hangeln, mit den Silben spielen, regnet es auf der Bühne, wechselt das Licht, entstehen innere Monologe voller Gefühlsintensität, immer wieder unterbrochen durch eine Französisch sprechende Stimme aus dem Off, die den Gang der Geschichte vorwärts treibt.
Der Inszenierung gelingt es dabei, die Ohnmacht, die Trauer und die Wut mit eindringlichen symbolischen Bildern zu visualisieren und so für einen intensiven, nachwirkenden Theaterabend zu sorgen.
Schwäbisches Tagblatt, 12. Februar 2018
(von Peter Ertle)
Im LTT hatte "Drei sind wir" Premiere, ein Stück über Eltern, die ein besonderes Schicksal tragen.
(...)
"Drei sind wir" von Wolfram Höll (...) ist ein Theaterstück über ein Paar, das ein Kind mit einer seltenen Form einer Trisomieerkrankung erwartet, ein Kind, das eine Lebenserwartung von etwa einem Jahr hat. Und sie sagen ja zu diesem Kind. Und nehmen es mit auf ihren lange geplanten Kanadaaufenthalt.
Einerseits freut man sich jetzt als Theaterzuschauer, dass da mal jemand nicht die realistische Problematisierung wählt, sondern eine andere Form, eine poetische, der Sprache nachhorchende, mit ihr spielende, ästhetisierende Art und Weise. Darf man das, kann man das, bei so einem Thema? Ja, warum nicht, wenn es glückt.
Aber Höll glückt es nur momentweise, über lange Strecken bleibt es eine jede herumliegende Wort-Assoziation ausprobierende, in allen Facetten ausrollende, auswalzende Arbeit, die sich so von der Schwere des existenziellen Themas entfernt oder es zu eingenommen von der eigenen, experimentellen, aber längst hohl klappernden Artistik besingt.
(...) Kann mit so einem Sprachumgang ein Geschehen besser, tiefergehender verhandelt werden als in einem konventionellen Stück? Oder haben wir es mit der poetischen Form eines aus Schmerz tabuisierten Bezirks zu tun, polemisch gesprochen: Worüber man nicht reden kann, darüber kann man nur sprachmaniriert tiefgründeln? Die Rezensenten entschieden sich bisher eher für Ersteres. Wolfram Höll wurde für "Drei sind wir" der Mülheimer Theaterpreis verliehen, auch in Bern wurde er ausgezeichnet. Die Kombination aus diesem Thema und dem unkonventionellen Zugang prädestiniert das Stück geradezu dafür.
Die Inszenierung am LTT kann am grundsätzlichen Dilemma nichts ändern. Marlene Anna Schäfer, die sich am LTT vor 2 Jahren mit einer glänzenden Inszenierung von "Nach Korfu!" vorgestellt hat, macht aus dem wahlweise Dreivierfünfpersonenstück das Zweipersonenstück, das es im Kern auch ist, eine gute Entscheidung. Franziska Beyer und Raphael Westermeier lassen sich von der Sprachmusik tragen (und manchmal möchte man sie auch davor schützen), geraten nie aus dem Takt. Das Leben und die Bühne lässt sie nur bühnenbildnerisch im Regen und in Pfützen stehen. Sonst ist das eine sehr solide und genaue Produktion, mit nachdenklichen, zärtlichen, grambeschwerten und auch mal explodierenden Eltern.
(...)
Manchmal ist es sehr anrührend und die Verzweiflung der Protagonisten springt über, dies zu vermeiden wäre bei der Thematik auch das größere Kunststück gewesen. Man nimmt es trotzdem gern als gewissen Qualitätsnachweis.