Insa Jebens, Dennis Junge, Lucas Riedle · Foto: Tobias Metz
Solveig Eger, Insa Jebens, Dennis Junge, Lucas Riedle, Sabine Weithöner · Foto: Tobias Metz
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Sabine Weithöner · Foto: Tobias Metz
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Dennis Junge · Foto: Tobias Metz
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Solveig Eger, Lucas Riedle, Insa Jebens · Foto: Tobias Metz
Insa Jebens, Solveig Eger, Sabine Weithöner, Lucas Riedle · Foto: Tobias Metz
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Lucas Riedle · Foto: Tobias Metz

Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)

Von Elfriede Jelinek · 14+


Theater der Zeit, 4. Januar 2024

Die Vielstimmigkeit des Modewahns

(von Elisabeth Maier)

Pia Richter liest die Textflächen der österreichischen Nobelpreisträgerin politisch. Hinter den Thesen der Literatin spürt sie der Identitätssuche von Menschen nach, die in der globalisierten Wirtschaft um Haltung ringen. Das zeitkritische Potenzial rettet die 36-jährige Regisseurin in die wilden, sinnlichen Bilder ihrer Theatergeneration.

In einer überlebensgroßen Gucci-Tüte verliert sich der Kunde. Die Modemarke verschluckt den Menschen. Im Kampf mit den Styles seiner Zeit steht er als Verlierer da. „Kunde, der verzweifelt versucht sich in eine zu kleine Hose zu zwängen“ heißt die Figur in Elfriede Jelineks Theaterstück „Das Licht im Kasten“, das 2017 am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Den Untertitel hat die Autorin in Klammern gesetzt: (Straße? Stadt? Nicht mit mir!) Im Landestheater Tübingen zeigt der Schauspieler Dennis Junge die Hilfslosigkeit des Konsumenten, der von Markenzwängen und Modetrends verschluckt wird. Seine Hose klemmt, doch er zieht sie über die nackten Beine. Das geht nur mit Gewalt. Die Regisseurin Pia Richter liest die Textflächen der österreichischen Nobelpreisträgerin politisch. Hinter den Thesen der Literatin spürt sie der Identitätssuche von Menschen nach, die in der globalisierten Wirtschaft um Haltung ringen.

Aus ihrer Leidenschaft für Mode macht Elfriede Jelinek keinen Hehl. Die Literatin inszeniert sich selbst liebend gerne in wechselnden Styles. Doch dabei ist sie selbst im System gefangen. In dem Stück aus dem Jahr 2017 untersucht sie die Mechanismen hinter dem eigenen Faible, greift aktuelle Diskurse auf. Wegwerf-Kultur, Ausbeutung in der internationalen Textilindustrie und Geschlechter-Klischees sind ihre Themen. Mit Vorhängen in Lila- und Orangetönen hat Bühnenbildnerin Lise Kruse einen Raum geschaffen, der an ein Modegeschäft erinnert. Die Vorhänge werfen Falten.

Auf einem runden Podest in der Mitte präsentieren sich die Akteur:innen so, als kämpften sie um die nackte Existenz. Als zynischer Verkäufer bedient Lucas Riedle die Träume der Kund:innen: „Soll ich Ihnen sagen, wie Sie aussehen könnten? Sie wollen im Umkreis jedes möglichen Aussehens hervorstechen, und das muss natürlich geregelt sein – wie der Verkehr.“ In seiner blauen Anzug-Uniform, auf die Umrisse des nackten Körpers gezeichnet sind, wirkt er künstlich. Mit seinen Worten lullt er die Konsument:innen ein. In diesem Spiel ist nichts echt. Verkaufsstrategien beflügeln Riedles Sprache, die verlockend klingt.

Mit dem Zerfall ihres Körpers hadert Sabine Weithöner. Als „mittelalte Frau beim Umziehen in der Kabine“ spielt Sabine Weithöner mit den Grenzen ihres Körpers. Mit kreativen Tüll-Kreationen lässt sie Lise Kruse zwischen Opulenz und figurumschmeichelnder Garderobe hin- und hertreiben. Am Ärmel baumelt das Preisschild. Die Angst der Frau, dem Schönheitsideal des 21. Jahrhunderts nicht mehr zu genügen, zeigt Weithöner in Blicken und Gesten. Mit ihrem verführerischen Spiel befreit sie sich aus Jelineks Textflächen, die sich immer wieder im Diskurs verheddern. Sacht verrückt Richter die Szenerie ins Surreale. In der Boutique ohne Namen landen die Menschen in einem Alptraum, der nichts mehr mit Lebensqualität zu tun hat.

Wie die Persönlichkeit im Konsumrausch zunehmend zerfällt, zeigt Solveig Eder. Beladen mit Einkaufstüten geht es im Leben der jungen Frau nur noch um Konsum. Klug analysiert Elfriede Jelinek, wie der Modewahn die Menschen zunehmend von ihrer Existenz entfremdet. Besonders bitter zeigt sich das bei den einsamen Käufen im Internet. Insa Jebens philosophiert über die Generation, die ihren Kaufrausch online auslebt. Hinter ein paar unüberlegten Klicks lauert die Schuldenfalle.

In die Faszination des Schönen hüllen Pia Richter und das Ensemble der Landesbühne ihr Publikum ein. Jelineks starke Sprachbilder übersetzt die Regisseurin in eine kraftvolle, rhythmische Choreografie. So bringt sie die Musikalität in Jelineks Sprache schön zum Klingen. Gerade die Passagen, die vordergründig etwas verkopft klingen, entfalten so ihren sinnlichen Reiz. Das klappt besonders schön, wenn die Spieler:innen im Chor sprechen: „Die Kleidung ist Schrift, der Mensch wird durch sie umschrieben, als wagte man sich nicht an seinen lavaheißen Kern heran …“ Stimmen und Gegenstimmen konfrontiert die Literatin, die selbst eine jahrelange musikalische Ausbildung genossen hat, in ihren Texten. Diese Melodie erfasst Pia Richter mit ihrer Theatersprache, die gerade in den Augenblicken der Sprachlosigkeit überzeugt. Hinter Jelineks ökonomischen Thesen spürt sie Menschen auf, die das Sprechen verlernen. Sie verstecken sich in riesigen Einkaufstüten oder sie erstarren in kalten Selfie-Posen. Solche Künstlichkeit, die globale Ökonomien prägt, prangert die 77-jährige Dichterin an. Das zeitkritische Potenzial rettet die 36-jährige Regisseurin in die wilden, sinnlichen Bilder ihrer Theatergeneration.

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Schwarzwälder Bote, 12. Dezember 2023

Graziler Walk auf dem sprachlichen Laufsteg

(von Christoph Holbein)

Die Inszenierung des Stückes „Das Licht im Kasten“ am Landestheater Tübingen vermittelt eindrucksvoll die Leidenschaft von Elfriede Jelinek für Mode.

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Kritik Reutlinger General-Anzeiger, 5. Dezember 2023

Die Welt als Wille und Warenkorb

(von Thomas Morawitzky)

Das LTT lotet mit Elfriede Jelineks »Licht im Kasten« die seltsamsten Winkel des Modewahns aus

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Kritik Schwäbisches Tagblatt, 5. Dezember 2023

Machen Kleider Leute?

(von Justine Konradt)

Ein Fest für Design-Fans: Das LTT zeigt Elfriede Jelineks Mode-Stück „Das Licht im Kasten“ mit einer Balance zwischen Komik und Ernsthaftigkeit – und einer üppigen Garderobe.

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Nachtkritik.de, 3. Dezember 2023

Vor diesem Rock bin ich ein Nichts!

(von Verena Großkreutz)

Von Haute Couture bis Billigmarke: Elfriede Jelinek schaut mit "Das Licht im Kasten" in die Modewelt und findet den menschlichen Abgrund. Und Regisseurin Pia Richter hat in Tübingen dafür Sprache und Atmosphäre parat.

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