Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Yasmin Nasrudin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen

Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs

Doppelmonolog von Milo Rau


Reutlinger Nachrichten, 24. Januar 2019

Der Gutmensch und die Lust, schuld zu sein

(von Kathrin Kipp)

"Ein Rundumschlag also auf das Theater, auf die Charity, auf uns alle, bei dem Lisan Lantin mit völliger Hingabe die Abgebrühtheit ihrer Figur spielt."

„In den 90ern waren wir alle DJs“, in den Nullerjahren holten sie „Tiere und Arbeitslose“ auf die Bühne, danach Behinderte. Spätestens seit 2015 Flüchtlinge. Und so machen auch die Theater mit dem Elend der Welt ihr gutes Geschäft. „Mein Regisseur wollte einen Flüchtling, der Dramaturg meinte aber: Das interessiert doch keinen mehr“, erklärt Schauspielerin Lisan Lantin, die in ihrer „Mitleids“-Rolle als Schauspielerin wiederum an „völlige Hingabe“ glaubt.

„Das hat fast was Religiöses“. Vielleicht haben Regisseur Thorsten Weckherlin und Ausstatter Vinzenz Hegemann ihr deshalb eine heilige Umgebung gebaut und das LTT-Oben in eine Kirche verwandelt. Die Zuschauer sitzen auf Kirchenbänken, also mitten im Zentrum unserer eurozentristischen Barmherzigkeit, die sich von ihrer Mitschuld an den globalen Ungerechtigkeiten mit „Entwicklungshilfe“ moralisch rein wäscht.

Ein Rundumschlag also auf das Theater, auf die Charity, auf uns alle, bei dem Lisan Lantin mit völliger Hingabe die Abgebrühtheit ihrer Figur spielt. In ihrer Rolle als ehemalige NGO-Mitarbeiterin und jetzige Schauspielerin bewegt sie sich nicht nur auf der Grenze zwischen dem Kongo und Ruanda, sondern auch zwischen Schauspiel, Dokumentation, Fiktion, Metatext und (Theater-)Realität.

Von Mord, Vergewaltigung und Rachefeldzügen erzählt sie per antiktheatraler „Mauerschau“, bei der das Abschlachten nicht gespielt, sondern von Augenzeugen berichtet wird. Und wie Ödipus sollen auch wir uns fragen, welche Schuld wir an den Katastrophen in Afrika haben und wie wir vom bis heute nachwirkenden Kolonialismus und von der (Rohstoff-)Ausbeutung profitieren.

Um die Unmittelbarkeit des Schreckens, an die wir uns schon längst gewöhnt haben, zu steigern, erzählt auch Yasmin Nasrudin „ihre“ Geschichte. Wie ihre Eltern erschossen wurden und sie adoptiert wurde. Genozidbedingt gab es damals eine richtige „Kinderwelle“, aus den Adoptionen wurde ein Riesen-Geschäft. Im Nachhinein erzählt Yasmin Nasrudin wiederum, dass sie heute am Tübinger d.a.i. arbeite und quasi nur aufgrund ihrer Hautfarbe für diese Rolle gecastet wurde. Und so spielt auch diese Figur mit den Grenzen zwischen Theater und Realität, mit eigener und fremder Autorenschaft. Warum aber sind wir von dem Foto des toten Flüchtlingsjungen am Strand heftigst emotionalisiert, aber bekommen kaum mit, wenn Millionen ermordet werden? Wie funktioniert Mitleid?

Im Stück genießt Yasmin mit ihrer Geschichte unser vollstes Mitleid, während uns Lisan Lantin vorwiegend schockt: wie sie als abgestumpftes Girl ihren Bericht wie eine bizarre Urlaubsreise zum Besten gibt, wie sie sich kaltblütig und rassistisch mit absurden Einzelheiten wichtig macht. Wie sie etwa im Lager „die Täter durchfüttern“ mussten, und wie sie das große Abschlachten beobachtet. Ihrer Abgebrühtheit zum Trotz kehrt immer derselbe Alptraum zurück, in dem ihr plötzlich klar wird: „Ich bin an allem Schuld. Ich bin die Mörderin, die Vergewaltigerin“, der Ödipus, der sich an seiner Schuld berauscht. 


[schliessen]


Schwäbisches Tagblatt, 4. Dezember 2018

Die Kapitalisten des Leidens im Visier

(von Wilhelm Triebold)

So etwas wie das Stück der Stunde: Milo Raus "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" rechnet auf der kleinen Oberbühne des LTT mit dem grassierenden Ablasshandel der Wohlmeinenden ab.

[mehr lesen]


nachtkritik.de, 3. Dezember 2018

Die Schreie der Sterbenden

(von Elisabeth Maier)

"Unmöglich, sich dem intensiven Spiel von Lisan Lantin und den erschütternd ehrlichen Bekenntnissen der schwarzen Performerin Yasmin Nasrudin zu entziehen"

[mehr lesen]






© 2016     Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Impressum