Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Yasmin Nasrudin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen

Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs

Doppelmonolog von Milo Rau


Reutlinger Nachrichten, 24. Januar 2019

Der Gutmensch und die Lust, schuld zu sein

(von Kathrin Kipp)

"Ein Rundumschlag also auf das Theater, auf die Charity, auf uns alle, bei dem Lisan Lantin mit völliger Hingabe die Abgebrühtheit ihrer Figur spielt."

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Schwäbisches Tagblatt, 4. Dezember 2018

Die Kapitalisten des Leidens im Visier

(von Wilhelm Triebold)

So etwas wie das Stück der Stunde: Milo Raus "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" rechnet auf der kleinen Oberbühne des LTT mit dem grassierenden Ablasshandel der Wohlmeinenden ab.

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nachtkritik.de, 3. Dezember 2018

Die Schreie der Sterbenden

(von Elisabeth Maier)

"Unmöglich, sich dem intensiven Spiel von Lisan Lantin und den erschütternd ehrlichen Bekenntnissen der schwarzen Performerin Yasmin Nasrudin zu entziehen"

Dröhnende Bässe empfangen die Zuschauer. Die Spielfläche ist von weißen Kirchenbänken gesäumt, und Josef und Maria als hölzerne Heiligenfiguren ziehen die Blicke auf sich. Doch die Krippe vor ihnen ist leer. Die versöhnende Kraft des Jesuskindes fehlt in dieser Inszenierung, die einen in eine klaustrophobische Situation holt. Eng zusammengepfercht sitzt das Publikum in der Bühneninstallation. Hier ist es unmöglich, sich dem intensiven Spiel von Lisan Lantin und den erschütternd ehrlichen Bekenntnissen der schwarzen Performerin Yasmin Nasrudin zu entziehen.

Als Milo Rau, Vordenker des radikalen Dokumentartheaters, die Produktion mit der Schauspielerin Ursina Lardi, Consolate Siperius und seinem Team im Januar 2015 an der Schaubühne Berlin entwickelte, hatte die Willkommenskultur ihren Höhepunkt erreicht. Jeder wollte helfen, übernahm ein Ehrenamt oder spendete Geld für die Flüchtlinge. Auch die Intellektuellen kümmerten sich.

Fast drei Jahre später weht nicht nur in der schwäbischen Universitätsstadt Tübingen und ihrem ländlich geprägten Umland ein rauer Wind für die Geflüchteten. Ihre Helfer sehen sich im Internet mit Shitstorms konfrontiert, angestoßen von Rechtsradikalen. Nicht nur in Chemnitz brodelt nackte Gewalt.

In dieser Situation wagt sich Weckherlin, der Intendant des Landestheaters Tübingen, mit frischem Blick an den Text, der ursprünglich auf Interviews mit Mitarbeiterinnen von NGOs, Non-Governmental-Organisationen im Kongo, beruht. Milo Rau bezeichnet den Monolog der Intellektuellen, die ihre eigene Schuld erkennt, als Aufdeckungsdrama im Stil des Ödipus-Mythos.

Im Zentrum von Weckherlins Inszenierung steht nun die Schauspielerin Lisan Lantin, die vom mühsamen Aufdecken erzählt. Dem Vergewaltigen und Morden der Hutu-Rebellen steht sie hilflos gegenüber. Der junge Christophe, dem sie einst mit Geld aus der eigenen Tasche das Leben rettete, wird selbst zum Mörder. Und sie muss mit ansehen, wie er eine ihrer Freundinnen grausam missbrauchen und töten lässt.

Mit klassischer Musik dröhnt sie sich zu, um die Schreie der Sterbenden nicht mehr hören zu müssen. Die hoch gewachsene Spielerin wendet sich an die Zuschauer, kauert an der Wand. Übers Mikro produziert sie mit Klopfen, Zischen und Soundeffekten die Lärmkulisse des Kriegs, die der Musiker Markus Maria Jansen zu einer brutalen Komposition des Todes arrangiert hat. Stationen der Entwicklungshelferin kritzelt Lantin mit schwarzem Filzstift auf ein großes Blatt Papier. Ihre Verzweiflung holt die Schicksale der Menschen ganz nah heran. Ohne Betroffenheitskitsch prangert sie die falsche Moral der Menschen und ihrer Medien an, die das Foto vom ertrunkenen Flüchtlingsjungen am Strand zutiefst berührt, die aber zugleich den Genozid im Kongo einfach ignorieren oder totschweigen.

Anders als Milo Rau, der Anfang und Ende von einer Kriegswaise und Überlebenden des Genozids im Kongo sprechen lässt, hat Weckherlin für diese Zeitzeugen-Parts eine junge Frau mit afrikanischen Wurzeln engagiert, die in der schwäbischen Kleinstadt Leinfelden-Echterdingen aufwuchs. Sie erzählt in der Tübinger Fassung auch ihre eigene Geschichte, die sich von Raus Vorlage unterscheidet.

In ihrem Monolog kritisiert Yasmin Nasrudin auch die fehlende Vielfalt im deutschen Theaterbetrieb. "Ich bin hier, weil es keine schwarze Schauspielerin im Ensemble gibt." So bricht die Performerin die Theatersituation auf, verweist auf fehlende Vielfalt auf den Bühnen. Und erzählt den Zuschauern, wie sie selbst die Ausgrenzung erlebt. "Der Rassismus fängt im Kleinen an, schon im Kindergarten wollten mir die anderen Jungen und Mädchen die krausen Haare verwuscheln."

Aufmärsche von Neonazis brauchen Weckherlin und sein Regieteam nicht einzublenden, um die tägliche Angst der jungen Frau vor deren Übergriffen zu zeigen. Ihr kluges Regiekonzept setzt an Alltagserfahrungen an. Wenn Nasrudin in ihrer klaren, unkomplizierten Sprache eine Szene aus Quentin Tarantinos Film "Inglorious Basterds" über die Verbrechen der Nazi-Schergen an einer jungen Frau schildert, verfehlt das seine Wirkung nicht. Dieses Morden geht im Kongo und in vielen anderen Ländern weiter, Tag für Tag. Milo Raus dokumentarisches Theater überträgt Weckherlin in seiner stimmigen Regiearbeit überzeugend auf die aktuelle Debatte, in der die Konfrontationen sich derzeit verschärfen.

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