Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Yasmin Nasrudin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen
Lisan Lantin · Foto: Markus Maria Jansen

Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs

Doppelmonolog von Milo Rau


Reutlinger Nachrichten, 24. Januar 2019

Der Gutmensch und die Lust, schuld zu sein

(von Kathrin Kipp)

"Ein Rundumschlag also auf das Theater, auf die Charity, auf uns alle, bei dem Lisan Lantin mit völliger Hingabe die Abgebrühtheit ihrer Figur spielt."

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Schwäbisches Tagblatt, 4. Dezember 2018

Die Kapitalisten des Leidens im Visier

(von Wilhelm Triebold)

So etwas wie das Stück der Stunde: Milo Raus "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" rechnet auf der kleinen Oberbühne des LTT mit dem grassierenden Ablasshandel der Wohlmeinenden ab.

Vor kurzem erschien in der "Zeit" ein einleuchtender Artikel des Feuilletonisten Ulrich Greiner, der sich unter dem Titel "Die Lust, an allem schuld zu sein" Gedanken machte über den Hang, sich in einer Art "verweltlichter Erbsünde" wenn schon nicht wohlig, dann wenigstens wohnlich einzurichten im Hier und Jetzt.

Kann der Mensch, fragt Greiner, eigentlich reich und gut zugleich sein? Entlastet er sein "pseudochristliches Sündenkonto", indem er die ankommenden Flüchtlinge in einem Akt ungelenker Wiedergutmachung mit Willkommenskultur überschüttet - in den strikten (Binnen-)Grenzen seiner empathischen Möglichkeiten natürlich?

Dabei plagt den guten Menschen die Tatsache, so glücklich wie unverdient der "kulturell und wissenschaftlich dominanten Sphäre" anzugehören, "in die zu gelangen viele Menschen ihr Leben riskieren, allein dies macht ihn zum Täter. Er lebt (...) auf Kosten der Armen und Entrechteten."

Ein tragischer Konflikt, gewiss. Das griechische Drama bearbeitete solche Identitätskrisen, indem es den Helden (oder eben: Täter) ins kathartische Stahlbad schickte. Bis Ödipus seine Schuld einsah, die ihm keine Götter mehr abnehmen mochten. Bis ihm die Augen geöffnet wurden, bevor er sich endgültig blendete.

Dem Theatermacher Milo Rau schwebt anderes vor. Das erste der zehn Gebote, mit denen der frischgebackene Intendant des Genter Nationaltheaters (im "Genter Manifest") den Weg zu einem alternativen, politischeren Stadttheater vorzeichnen will, lautet: "Es geht nicht mehr nur darum, die Welt darzustellen. Es geht darum, sie zu verändern. Nicht die Darstellung des Realen ist das Ziel, sondern dass die Darstellung selbst real wird."

In letzter Konsequenz hieße das wohl, dem Wunsch jener Schauspielerin zu entsprechen, die in Raus Stück gegen Ende am liebsten das Publikum mit der Kalaschnikow niedermähen möchte. Aber keine Bange: Nicht nur die Premierenbesucher im LTT kommen mit heiler Haut davon. Das wird vermutlich in den weiteren Vorstellungen so bleiben.

Milo Raus Doppelmonolog, vielleicht so etwas wie das Stück der Stunde, wendet sich trotzdem engagiert und radikal gegen jeglichen "zynischen Humanismus" oder Betroffenheits-Idealismus, der gut gemeinte Hilfsreflexe als selbstkasteiende Entlastung, im Sinne eines persönlichen Ablasshandels, praktiziert. Doch auch dafür findet Rau ein ziemlich böses Wort, indem er von "Kapitalisten des Leidens" spricht: "Wir schlagen einfach aus den Opfern und Toten unserer Wirtschaft noch ein zweites Mal Kapital, indem wir sie im Kunstraum inszenieren und bemitleiden."

Insofern ist "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" eine zornige, aber auch gerissene Abrechnung mit jener Haltung, die gerne - mit leicht denunziatorischem Unterton - als Gutmenschentum gekennzeichnet wird. Die Wohlmeinenden treffen die Schutzsuchenden, und das vor dem Hintergrund von Grauen und Gräueln: Hier erzählt eine junge Frau, die es als Angehörige einer NGO-Hilfsorganisation ins kongolesische Herz der Finsternis verschlägt, von teils apokalyptischen, abtraumartigen Erfahrungen - das aber im prosaischen Berichtston des Dokumentartheaters, der den Schrecken nur noch tiefer sacken lässt.

Die LTT-Oberbühne wurde dazu von Ausstatter Vinzenz Hegemann in einen weißen Sakralraum ausgekleidet, in dem das Publikum die harte Kirchenbank drückt - nicht gerade eine Erbauungsstunde, eher ein siebzigminütiges Erweckungserlebnis. Zuerst schildert Gelegenheitsschauspielerin Yasmin Nasrudin, die Regisseur Thorsten Weckherlin im Tübinger DAI für diesen Auftritt castete, in ruhigem, unaufgeregtem Ton ihren Werdegang, ihre Herkunft, und was sie hierher führte ins fremde, kalte, dafür sichere Land.

Das kann man als Prolog verstehen, später als Klammer zum ebenso prosaischen Monolog über das Völker- und Massenmordinferno, als Hutu-Höllenknechte über zusammengepferchte Tutsi herfallen und sie niedermetzeln. LTT-Schauspielerin Lisan Lantin fällt während des nüchternen Boten-Berichts nie aus der Rolle, sondern im Gegenteil manchmal in die Rollen zurück, die eine Theaterbühne bereitstellt. Dann reflektiert sie ihren Berufsstand ohne viel Bibbern und Brimborium, mit kühl sezierend-inszenierendem Blick: Theater höchstens als hilfreiches Handwerk. Oder als Mundwerk, wenn schon alles andere versagt.

Wer sich auf Milo Raus dokumentarisches Bloßlegungstheater einlässt, dem kann es an die Nieren gehen. Oder auf die Nerven. Weckherlins zurückhaltende Regie setzt kaum auf Effekte und diese quasi minimalinvasiv in Szene - etwa, wenn ein anschwellender afrikanischer Geräuschpegel von der Akteurin per - live produzierten - Mikro-Phonschleifen hochgefahren wird. Ansonsten sucht und findet Lisan Lantin den Blickkontakt zu allen, denen dieser ungeheuerliche Bericht gilt. Und es scheint, er kommt an.

 

Unterm Strich

Die Ohnmacht des Theaters besteht darin, dass es uns die - mitunter ziemlich raue Welt - nur widerspiegelt und somit vorgaukelt. Milo Rau will das ändern. Zwar wird jetzt auch am LTT in Raus Doppelmonolog das Erzählte keineswegs real, sondern bleibt pures Erzähltheater. Das macht aber nichts, denn die Inszenierung erweist sich als packend und erhellend zugleich.


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nachtkritik.de, 3. Dezember 2018

Die Schreie der Sterbenden

(von Elisabeth Maier)

"Unmöglich, sich dem intensiven Spiel von Lisan Lantin und den erschütternd ehrlichen Bekenntnissen der schwarzen Performerin Yasmin Nasrudin zu entziehen"

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