Dennis Junge, Sabine Weithöner, Jennifer Kornprobst, Jürgen Herold · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Jürgen Herold · Foto: Martin Sigmund
Jürgen Herold, Dennis Junge · Foto: Martin Sigmund
Dennis Junge, Sabine Weithöner, Nicolai Gonther, Jürgen Herold, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Dennis Junge, Jürgen Herold · Foto Martin Sigmund
Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Sabine Weithöner, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Jennifer Kornprobst, Nicolai Gonther · Foto: Martin Sigmund

Medea

Tragödie von Euripides · Deutsch von Peter Krumme


Reutlinger Nachrichten, 15. Juli 2020

Verloren in der Fremde

(von Jürgen Spieß)

Ragna Guderian inszeniert Euripides’ „Medea“ am Landestheater Tübingen.

Kreon zupft verzweifelt an seinem Bass, Jason mäandert zwischen lautstarker Verteidigung und männlicher Ignoranz und Medea, die Verlassene, kennt kein Erbarmen: Ragna Guderians „Medea“-Inszenierung am Tübinger LTT ist ein fesselndes Ehedrama mit exzellenten Darstellern und einem verstörenden Ende. Theater in Coronazeiten – das fand bis vor kurzem überhaupt nicht statt und spielt auch nach wie vor in den öffentlichen Überlegungen so gut wie keine Rolle. Jetzt spielen einige Theater wieder, mit weniger verkauften Tickets, Mundschutzpflicht im Foyer und begrenzten Zuschauerzahlen. So auch das Landestheater Tübingen mit der vor fast 2500 Jahren von Euripides geschriebenen Tragödie „Medea“. Hier sind die Laufwege in den Theatersaal mit Bändern abgegrenzt, der große Saal ist zu etwa einem Drittel gefüllt und damit ausverkauft. Auch auf der Bühne herrscht coronabedingt Mindestabstand. Die Darsteller tragen zum Teil Mundschutz und Skibrillen, ein Kontrabassbogen dient zuweilen als Abstandshalter, und auf der Bühne werden wiederholt transparente Folien heruntergelassen, die die Figuren vor zu viel Nähe schützen. Einen leibhaftigen Kuss gibt es auch zwischen Medea und Jason – aber natürlich nur mit einer schützenden Folie zwischen den Lippen.

In den ersten Minuten, die noch von ausgelassener Feierlaune bestimmt sind, ist das Publikum gar durch einen durchsichtigen Vorhang von der Bühne getrennt. Erzählt wird die Geschichte der Kolcherin Medea (Jennifer Kornprobst) und des Griechen Jason (Nicolai Gonther), die mit ihren beiden Kindern als Flüchtlinge bei König Kreon von Korinth (Rolf Kindermann) leben. Obwohl Medea für ihren Ehemann das Goldene Vlies geraubt, ihm das Leben gerettet und um seinetwillen ihren Bruder getötet hat, wird sie von Jason verlassen. Er heiratet Kreusa, die Tochter Kreons, angeblich um den Kindern aus dem Elend des Flüchtlingsschicksals zu helfen. Das sieht Medea aber ganz anders und ist nicht bereit, die Aufkündigung des Eheschwurs zu akzeptieren. Daraufhin beschließt Kreon, die verlassene und mit wilden Drohungen um sich werfende Medea zu verbannen.

Damit nimmt das Unglück aber erst richtig seinen Lauf, denn Medea entscheidet sich, ihre eigenen Kinder zu töten. Dies scheint ihr die furchtbarste Strafe und Rache an Jason zu sein. Hintergrund dieser Tragödie ist der Zusammenstoß der frühasiatischen mit der früheuropäischen Kultur vor zweieinhalbtausend Jahren. Medea, die mit billigen Hochplateauschuhen und barbarischem Verhalten auftritt, ist die Fremde, deren maßloses Wesen den Idealen der feinen, griechischen High Society strikt entgegengesetzt ist. Welche Welten da zwischen den beiden einstigen Liebenden liegen, macht vor allem Jennifer Kornprobst mit ihrer intensiven Darstellung der verletzten und mit sich ringenden Medea sichtbar. Aber auch Nicolai Gonther als ignoranter Jason und Dennis Junge, Sabine Weithöner, Hannah Jaitner und Jürgen Herold sind im Chor, als Puppenspieler und in kleineren Rollen präsent.

Die anderthalbstündige Inszenierung der Freiburger Regisseurin ist eine eigenwillige Version einer beinahe 2500 Jahre alten Tragödie, mit einer abhängigen Frau in einer Männergesellschaft, mit im Chor gesprochenen und schrägen Livetönen, mit einer Inszenierung, die der Sprache, ihrem Klang, ihrem Rhythmus vertraut. Guderian erzählt die Geschichte von Medea als eine unendliche. Erzählt sie als Menschheitsgeschichte zwischen Leid und Wahnsinn, die sich auch auf die heutige Gesellschaft übertragen ließe, auch wenn der Mord der Mutter an den eigenen Kindern Fragen aufwirft. Ihre Medea ist die Rächerin, die lieber ihre Kinder und die Nebenbuhlerin umbringt, als sie dem untreuen Mann zu überlassen. Nicht zuletzt ist ihre Medea eine Immigrantin, die in der Fremde heimisch werden und den Zwiespalt zwischen Anpassung und Selbstbestimmung überbrücken will.

Eindrücklich ist auch das einer Ausgrabungsstätte nachempfundene Bühnenbild von Ranga Guderian, die weißen, klassizistischen Kostüme (Marianne Hollenstein) und der Einsatz von zwei Puppen (Dorothee Metz), einem Golem-ähnlichen Wesen und einer kleinen, lebensecht wirkenden Mädchenpuppe, die wohl das Seelenleben der Hauptfigur und ihrer Kinder darstellen sollen. Bei der Premiere gab es lange anhaltenden Beifall für ein nicht nur komplexes, sondern auch gut inszeniertes Schauerdrama.


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Schwarzwälder Bote, 25. Juni 2020

Hass und Verzweiflung im Gittergestänge

(von Christoph Holbein)

Die Inszenierung der Tragödie »Medea« am LTT besticht durch viele Einfälle

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Reutlinger General-Anzeiger, 23. Juni 2020

Schmerz als Geben und Nehmen

(von Christoph Ströhle)

Ragna Guderian befremdet und fesselt mit ihrer »Medea«-Inszenierung am LTT. 

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Schwäbisches Tagblatt, 23. Juni 2020

Die Fremde aus Kolchos

(von Peter Ertle)

Aus aller Welt (aber schon 2500 Jahre alt): Um sich an ihrem Mann zu rächen, der sie für eine andere verließ, tötete eine Frau in Korinth nicht nur ihre Konkurrentin, sondern auch die beiden gemeinsamen Kinder. „Medea“ von Euripides – packend am LTT.

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nachtkritik.de, 21. Juni 2020

Vor dem Mord bitte Hände waschen

(von Thomas Rothschild)

Dem LTT ist eine eindringliche Inszenierung gelungen, die nach und nach einen zunehmenden Sog entwickelt. 

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