In einer Zeit, in der die Turboreisenden der Gegenwart zuhause bleiben müssen, mag einem Jules Vernes Rekordfahrer Phileas Fogg und mit ihm das ganze 19. Jahrhundert (Industrialisierung, Imperialismus, Kolonialismus) noch exzentrischer vorkommen: Wegen einer lukrativen Wette eilt der reiche Engländer mal kurz um die Erde, neuerdings in einer temporeichen Inszenierung des Jungen LTT (Regie: Fanny Brunner). Am Freitagabend war Premiere auf der Werkstattbühne des Landestheaters Tübingen.
Doch statt der steifen Figuren von einst dominieren vier Clowns das Geschehen, umgeben von altmodischen und aktuellen Requisiten. Man erkennt auch nicht gleich, welcher Schauspieler unter welcher Perücke oder unter welcher Narrenkappe steckt, und wer da mit rot, blau oder grün geschminkten Lippen spricht.
Allerlei Fabelwesen und wilde Tiere sind zu sehen, beruhigenderweise aus Karton. Eine altmodische Weltkarte ist auf der Bühne ausgebreitet. Auf ihr bewegen sich die Clowns mitunter mit einer gewissen Künstlichkeit, wie die Figuren eines Brett- oder Strategiespiels, vom markanten Ticken von mindestens zwei Uhren angetrieben (Bühne und Kostüme: Daniel Angermayr).
Fogg ist der Typ Mensch (beziehungsweise Mann), den auf der Reise kein Hindernis aufhalten kann, jedenfalls nicht lange: Der Zug ist weg? Kein Problem, ein Elefant steht bereit und damit ein scheinbar noch authentischeres Indien. Nebenbei retten er und sein Diener Passepartout eine junge Witwe (Kristin Scheinhütte als Aouda) vor dem Feuertod – und demonstrieren so die eigene kulturelle Überlegenheit: „Sie brauchen mir nicht zu danken. Es war selbstverständlich, dass wir Sie vor dem Scheiterhaufen gerettet haben.“ Wenn Aouda in der Folge immer wieder vorbringt: „Aber ich habe kein Geld“, ist immer eine Dringlichkeit herauszuhören. Hingegen wird Fogg eher zum Running Gag, wenn er zum x-ten Mal wiederholt: „Aber das ist überhaupt kein Problem. Ich habe Geld genug.“
Weil bei Abenteuergeschichten das Happy End meist garantiert ist, gewinnt der Engländer seine Wette auch im LTT. Doch was passiert, wenn die Geschichte an dieser Stelle nicht aufhört, wenn die Clowns immer noch da sind und ein bisschen bedröppelt Versatzstücke von Feme und Exotik zusammentragen? Während sich ein eigentümliches Gefühl ausbreitet, als wäre die Welt tatsächlich ratlos.
Das alles geht so rasant vor sich, dass man es ein paar Mal sehen müsste, um all die wunderlichen Details richtig auskosten zu können. Das großartige Spektakel, das den Bewohnern der Gegenwart allerlei Spiegel vorhält, ist hoffentlich in der nächsten Spielzeit noch ganz oft zu sehen (empfohlen ab 14 Jahren).