Rinaldo Steller, Jennifer Kornprobst, Lisan Lantin · Foto: Tobias Metz
Lisan Lantin, Rinaldo Steller · Foto: Tobias Metz
Lisan Lantin, Jennifer Kornprobst, Rinaldo Steller · Foto: Tobias Metz
Jennifer Kornprobst, Rinaldo Steller, Lisan Lantin · Foto: Tobias Metz
Lisan Lantin, Jennifer Kornprobst, Rinaldo Steller · Foto: Tobias Metz
Lisan Lantin, Jennifer Kornprobst · Foto: Tobias Metz
Jennifer Kornprobst, Lisan Lantin, Rinaldo Steller · Foto: Tobias Metz
Jennifer Kornprobst, Lisan Lantin, Rinaldo Steller · Foto: Tobias Metz

Erschlagt die Armen!

Nach dem Roman von Shumona Sinha · Deutsch von Lena Müller


Reutlinger Nachrichten, 17. Oktober 2019

Perfide Dreiecksgeschichte

(von Jürgen Spieß)

"Gesellschaftspolitisches Theater kann zynisch und hintergründig sein. Vor allem, wenn es um ein so brisantes Thema wie die Unzulänglichkeit des europäischen Asylsystems geht."

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Schwäbisches Tagblatt, 8. Oktober 2019

Wenn Empathie in Aggression umschlägt

(von Peter Ertle)

Regisseurin Pia Richter kippt die Szenerie am LTT aus einem realistischen Setting ins Künstlich- Alptraumhafte, Klaustrophobische

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Schwarzwälder Bote, 8. Oktober 2019

Steriles Spiel in nüchterner Atmosphäre am Landestheater

(von Christoph Holbein)

„Erschlagt die Armen!“ im LTT-Oben offenbart sich als wütend-poetische Anklage

Es ist eine sterile, ja fast eine Krankenhausatmosphäre, in der Regisseurin Pia Richter ihre drei Protagonisten beim Schauspiel „Erschlagt die Armen!“ nach dem Roman von Shumona Sinha im LTT-Oben am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen agieren lässt. Zumeist eingetaucht in gelbes oder grelles Licht, gekleidet in Kostümen, die ein bisschen wie  die Uniform von Pflegern anmuten, und in einem kahlen Bühnenbild, in dessen Hintergrund ein Verpflegungs- und Getränkeautomat dominiert – für Bühne und Kostüme ist Julia Nussbaumer verantwortlich – winden sich Jennifer Kornprobst, Lisan Lantin und Rinaldo Steller durch den wütend-poetischen Text. Es geht um eine junge Frau, die in einem Pariser Gefängnis in Untersuchungshaft sitzt, weil sie am Vorabend in der Métro einem Migranten eine Weinflasche auf  dem Kopf zertrümmert hat. Im Polizeiverhör sucht sie – selbst aus Indien nach Frankreich eingewandert und Dolmetscherin in der Asylbehörde - nach einer Erklärung für ihren Gewaltausbruch und rekapituliert Szenen aus ihrem Pariser Alltag.

Pia Richter gießt das in ein Sammelsurium von Einzelsequenzen, lässt ihre Schauspieler hinter und vor Lamellen-Vorhängen -  welche die Akteure immer wieder auf- und zumachen oder auf Durchsicht stellen - sprechen, sitzen, stehen, laufen, wüten, laut denken und pantomimisch sich bewegen. Das nimmt mitunter skurrile Züge an, schwört für die Figuren unangenehme Situationen herauf und nimmt durch seine Intensität und den immer wieder hervorbrechenden Zynismus gefangen. Dabei gelingt es der Regisseurin, manche Szenen mit einer gewissen satirischen Ironie zu würzen. So schwankt die Szenerie zwischen bedrohlich und leise humorvoll. In den langen stillen Sequenzen offenbart das Schauspieler-Trio ein starkes Mienenspiel voller authentischer Mimik. Die insgesamt kurzen Parts sind ausgereizt und fast quälend ausgespielt. Und ein wenig Theaterpädagogik ist untergemischt, wenn Jennifer Kornprobst einen Hund mimt oder Lisan Lantin entgegen der Geschlechter-Klischees ihn, Rinaldo Steller, statt er sie auf den Armen trägt.

Liebesakte geraten da zu grotesker Akrobatik, Texte kommen aus dem Lautsprecher, Musik untermalt, die losen Szenen finden ihr Bindeglied in den immer wieder eingestreuten Befragungen der Migranten, die entsprechend choreografiert fast absurde Sinnbilder produzieren für die Hilflosigkeit der Befragten und in der Stille oder Eruption der Gefühle symbolisieren, wie Übersetzer, Beamte, Richter und Ärzte als Rädchen das Getriebe der europäischen Abschottungspolitik am Laufen halten.

Das soll die Botschaft sein, die allerdings in der schnellen Folge der Szenen, die ein wenig den roten Faden vermissen lässt, und im ständigen Rollentausch der drei Protagonisten, was das Nachspüren und Sich-darauf-einlassen nicht einfacher macht, etwas verloren geht, ein bisschen verhuscht. So wirkt die Inszenierung dann doch ein wenig zusammengebastelt. Masken, zerhackte Stimmen, Tanz, sexuelle Befriedigung – alles überschwemmt in dem stoßweisen Rhythmus des collagenartigen Spiels das Bühnengeschehen bis hin zur starken Steigerung hinein in die chorisch untermalte Szene, in der die Frau dem Migranten die Weinflasche auf den Kopf schlägt. Am Ende mündet alles in das frenetische und begeisterte Absingen der französischen Nationalhymne. Und es bleibt die bittere Erkenntnis, dass in dem bürokratischen Asyl-Apparat, in diesem menschenverachtenden System das Abstumpfen oder Eskalieren die einzigen Möglichkeiten sind, denn „es ist aufregender, alle zum Schweigen zu bringen, die eine Stimme haben“.


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