Andreas Guglielmetti, Susanne Weckerle, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Andreas Guglielmetti · Foto: Martin Sigmund
Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Dennis Junge, Jennifer Kornprobst, Hannah Jaitner · Foto: Martin Sigmund
Dennis Junge, Gilbert Mieroph · Foto: Martin Sigmund

Die Stadt der Blinden

nach dem Roman von José Saramago · Deutsch von Ray-Güde Mertin · 16+


Schwarzwälder Bote, 6. Oktober 2021

Brachiale Inszenierung in grellem Licht fordert

(von Christoph Holbein)

Premiere von „Die Stadt der Blinden“ / Publikum wird nicht verschont

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Reutlinger General-Anzeiger, 2. Oktober 2021

Zerrbilder auf einer Leinwand

(von Thomas Morawitzky)

Das LTT zeigt »Die Stadt der Blinden« nach dem Roman von Literaturnobelpreisträger José Saramago

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Schwäbisches Tagblatt, 2. Oktober 2021

Oh Mensch, du sehender Blinder

(von Peter Ertle)

Der Saisonauftakt „Die Stadt der Blinden“ am LTT geht trotz Pandemie-Aktualität gründlich schief. Ein Verriss.

Nein. Es beginnt schon mit der falschen Entscheidung, hier das Meiste hinter einer Milchglasfolie (Bühne: Sandra Fox) spielen zu lassen. Vielleicht weil Umberto Eco etwas über einen „milchigen Nebel“ schrieb? Dass Zuschauer, die nur Schemen sehen, selbst in die Welt von Blinden eintauchen, ist ein Irrtum. Dass so interessante Unschärfen entstehen, stimmt auch nicht. In José Saramagos Roman ist alles, was wichtig ist, deutlich. Im LTT-Stück auch. Aber halt nicht gut.

Story: Menschen erblinden, eine Epidemie, die Erblindeten werden interniert, von Soldaten bewacht, bei Fluchtversuch erschossen. Not, Elend, Verteilungskämpfe. Das ist das Thema. Hat man die aktuelle Pandemie vor Augen, ein Flüchtlingslager, ein Gefangenenlager, gibt es ein paar assoziative Parallelen, klar, aber das ist es dann auch. Um die Situation besser darzustellen, hätte es einen anderen als diesen Roman und vor allem ein anderes Theaterstück gebraucht.

Am LTT waren schon feine Stücke Dominik Günthers zu sehen und dass das Ensemble spielen kann, muss nicht erwähnt werden. Doch dieses Schauspiel hat bisweilen die Qualität von schlechtem Schülertheater. Ständig wird mit falschen Mitteln etwas behauptet, das sich nicht selbst transportiert. Die Erblindeten tapsen und stoßen sich dauernd demonstrativ an oder halten ihre Hand vor Augen, als müssten sie prüfen, ob da nicht doch was zu sehen ist. So wie in schlechtem Theater Besoffene immer sofort torkeln und lallen müssen.

Die Nerven zwischen den Inhaftierten liegen sofort blank, kaum eine Steigerung von sublim bis heftig. Aggression auf Brachialstufe, Zwischentöne oder Spannungsbögen? Fehlanzeige.

Mit Geräusch-und Hallkulissen soll Unheimlichkeit erzeugt werden, geisterhaft zeichnen sich die Schemen der Spieler als Schattentheater ab, Existenzialismus, so grell und expressiv wie zäh und bemüht, nichts packt einen. Schockhaft hellstes Zuschauerlicht dazwischen, Ohrfeigen für die Augen, ganz hinten ein Spiegel, wo man sich selbst sehen kann. Ja, wir alle sind gemeint, schon verstanden, wir sollen wachgerüttelt werden von diesem Stück. Oh Mensch!

Der gesamte Text des hochgelobten Autors ist in dieser Bühnenfassung bieder, völlig humorfrei, vermutlich ist die Lage einfach zu ernst, wenn nicht gar hoffnungslos. Die paar eingeschleusten Witze eines erblindeten Teslafahrers, dem sein inzwischen ebenfalls erblindeter Kollege das Auto geklaut hat, wirken dann wieder absolut deplatziert. Ein gemeinsames Singen der Inhaftierten ergreift nicht, wirkt nur lächerlich. Und wenn dann auch noch eine Gruppe männlicher Erblindeter sich über die weiblichen Erblindeten hermacht, wird’s ganz gruselig, aber klar, der Punkt Mann/Frau musste auch noch rein in dieses Dystopietheater, das sich dauernd mit Dramatik aufpumpt.

Wir kennen Flüchtlingslager, KZs, Archipel Gulag, Guantanamo, Sartre, Camus, Kafka, Beckett, wir haben soeben eine vergleichsweise sanfte Pandemie erlebt. Sagt uns „Die Stadt der Blinden“ etwas, das wir uns noch nicht vorstellen konnten? Oder das wir uns vorstellen konnten, auf glaubhaft-eindrückliche Weise? Nein. Nichts.


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